zum Hauptinhalt
Im Einsatz: Bis zu vier Stunden haben Bauern Zeit, bei einem Düngereinsatz die Gülle aufzubringen. Das ist zu lang, sagen Kritiker und warnen vor der Bildung von giftigem Ammoniak in der Luft.
© Carsten Rehder/dpa

Zu viel Gülle auf Feldern: Giftiges Grundwasser, giftige Luft

Großer Mist: Die EU-Kommission und ein breites gesellschaftliches Bündnis fordern strengere Gesetze in Deutschland.

Ab diesem Freitag stinkt es wieder, wenn man aufs Land fährt. Die Schonzeit ist vorbei: In ländlichen Regionen werden Landwirte wie jedes Jahr um diese Zeit damit beginnen, in großer Menge Gülle auf ihre Felder kippen. Nach der Winterpause werden die Böden jetzt fit gemacht für das neue Agrarjahr. Und die Gülle – Harn und Kot von Schweinen und anderen Nutztieren – dient dabei als billiger Dünger für Pflanzen.

In kleinem Maßstab funktioniert das gut. Denn in den Ausscheidungen der Tiere steckt Stickstoff, den die Pflanzen für das Wachstum brauchen. Die Gülle sorgt dafür, dass Futterpflanzen gedeihen, mit denen der Landwirt seine Tiere ernähren kann. Ein idealer Kreislauf.

Die Gülle von 100.000 Schweinen kann der Boden nicht schlucken

Doch von idealen Verhältnissen ist Deutschland weit entfernt – vor allem in Regionen mit großen Tiermastbetrieben. „Wenn die Gülle von 100.000 Mastschweinen in der Nähe der Ställe ausgebracht wird, kann kein Boden diese Mengen aufnehmen“, sagt Martin Hofstetter, Landwirtschaftsexperte von Greenpeace. Die Folgen sind dramatisch: Stickstoffüberschüsse und Sauerstoff werden zu Nitrat, das in vielen Gegenden Deutschlands das Grundwasser belastet.

Mehr als 25 Prozent der Messstellen in Deutschland weisen nach Angaben der Bundesregierung überhöhte Nitratwerte auf. Betroffen sind vor allem Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen mit ihren riesigen Scheinemastanlagen. Für den Menschen wird es gefährlich, wenn sich Nitrat zu Nitrit wandelt. Nitrit behindert den Sauerstofftransport im Blut und steht im Verdacht, krebserregend zu sein.

Nicht nur das Grundwasser, auch die Luft wird giftig

Aber nicht nur das Grundwasser ist belastet. Auch Flüsse, Seen und Meere leiden unter der Überdüngung. Und auch die Luft wird schlechter. Verbindet sich der Stickstoff mit Wasserstoff, entsteht Ammoniak. Das Gas riecht nicht nur stechend, es wirkt auch ätzend auf Lunge, Haut und Augen.

Ammoniak bildet sich, wenn die Gülle nicht schnell genug auf den Feldern verteilt wird. Die gute Landluft wird so zu giftiger Luft. Vom Feinstaub, den man aus der Dieseldiskussion kennt und der durch den Stickstoffdünger auch in der Landwirtschaft ein großes Thema ist, ganz zu schweigen.

EU-Kommission fordert Änderungen von der Bundesregierung

Der Widerstand gegen diese Klima- und Umweltverschmutzung wächst. Die EU-Kommission fordert von der Bundesregierung eine Reform der Düngeverordnung. Änderungsvorschläge will Brüssel bis zu diesem Donnerstag sehen. Dass es Ärger mit der EU gibt, ist nicht neu.

Bereits im vergangenen Jahr hatte der Europäische Gerichtshof Deutschland verurteilt, weil die Regierung zu wenig gegen Nitrate im Grundwasser unternommen hat. Zwischenzeitlich haben sich die Rechtsgrundlagen in Deutschland geändert, nach Meinung der Kommission besteht das Problem aber weiter fort.

Greenpeace und Wasserwirtschaft kämpfen gegen Gülleverschmutzung

Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) wird von zwei Seiten in die Zange genommen. Denn nicht nur auf EU-Ebene, auch in Deutschland nimmt der Druck zu. Elf Organisationen haben sich zusammengeschlossen, um gemeinsam gegen die Gülleverschmutzung zu kämpfen.

Seite an Seite stehen dabei Verbände, die sich sonst eher auf verschiedenen Seiten gegenüberstehen: So ziehen Greenpeace und der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) dieses Mal an einem Strang, mit dabei ist auch die Gewerkschaft Verdi. Eigentlich hatten die Verbände nur eine Reform der alten Düngeverordnung durchsetzen wollen, doch jetzt hat sich das Bündnis nach Tagesspiegel-Informationen entschlossen weiterzumachen.

Die vor zwei Jahren beschlossene Reform reicht bei weitem nicht aus, meinen sie. „Das Bündnis wird öffentlichen Druck machen, um das Bewusstsein für die wachsende Problematik der Überdüngung für die Grundwasserressourcen zu schärfen“, sagte Martin Weyand, BDEW-Hauptgeschäftsführer für den Bereich Wasser, dem Tagesspiegel.

Sauberes Trinkwasser wird teurer

Dass sich die Wasserwirtschaft engagiert, hat einen ganz handfesten Grund. Denn für die Wasserbetriebe wird es immer teurer, das Grundwasser von den Nitraten zu reinigen. Erlaubt sind maximal 50 Milligramm Nitrat je Liter, in Gegenden mit intensiver Landwirtschaft sind diese Werte überschritten.

In den betroffenen Gebieten könnte Trinkwasser um bis zu 60 Prozent teurer werden, warnt der BDEW. Die durchschnittliche Jahresrechnung eines Drei-Personen-Haushalts könnte von 217 Euro auf 353 Euro steigen. Berlin, das keine nennenswerte Landschaft hat, ist von diesem Problem nicht betroffen. Andere umso mehr.

Niederländer transportieren ihren Mist nach Deutschland

Eigentlich sollte das Problem mit der Reform der Düngeverordnung erledigt sein. Seitdem gibt es eine Obergrenze für den Stickstoffeinsatz und längere Düngerfreie Zeiträume. Zudem soll der Düngereinsatz besser dokumentiert werden. Doch einer Studie der Universität Kiel zufolge verpuffen die Maßnahmen. Die Verordnung enthalte derartig viele Ausnahmen und Schlupflöcher, dass ein Schutz von Wasser und Boden nicht gewährleistet ist, kritisieren auch BDEW und Greenpeace.

BDEW-Hauptgeschäftsführer Weyand fordert eine deutliche Einschränkung der Ausnahmen und ein Aktionsprogramm, um den Nährstoffeintrag in gefährdeten Gebieten nachhaltig zu reduzieren. Greenpeace hält eine bessere Technik auf dem Feld, größere Güllelager und kürzere Düngezeiten für nötig.

Was das Problem noch verschärft, ist der Gülletourismus. So exportieren niederländische Bauern ihren Mist gern nach Deutschland – wo ein Teil der Gülle plötzlich verschwindet. Greenpeace-Experte Hofstetter macht dafür auch die mangelnden Kontrollen verantwortlich. Während in den Niederlanden das Gülleaufkommen und der Gülleeinsatz streng überwacht werden, gibt es in Deutschland kein vergleichbares Aufsichtssystem. Und zu viele Tiere. Den Schaden haben die Natur, das Klima und die Menschen.

Zur Startseite