BDI und DGB streiten über Eurobonds: Gewerkschaften klar dafür, Industrie dagegen
Die Sozialpartner in Deutschland streiten über die Instrumente einer solidarischen Finanzpolitik in Europa.
Die deutsche Industrie bekräftigt ihre Ablehnung von Euro- oder Coronabonds, während die Gewerkschaften Gemeinschaftsanleihen befürworten. "Eurobonds sind nach meiner Auffassung völlig richtig", sagte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann dem Tagesspiegel.
Dagegen meint Industriepräsident Dieter Kempf, Solidarität "mit den besonders betroffenen Mitgliedsstaaten geht auch ohne die Einführung von Eurobonds". Auf dem Tisch würden derzeit "nicht nur die offenkundig umstrittenen Möglichkeiten liegen, den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM zu nutzen oder Eurobonds zu begeben". Kempf verwies auf den EU-Haushalt und "die Chance, die Europäische Investitonsbank EIB zu stärken". Alles in allem sollte eine Lösung der öffentlichen Finanzierungsprobleme "auch in der drohenden akuten Wirtschaftskrise ohne pauschale Vergemeinschaftung von Schulden und Haftungsrisiken gelingen", sagte der Präsident des Bundesverbandes der Industrie (BDI) dem Tagesspiegel.
ESM wird abgelehnt
Doch vor allem Italien lehnt den ESM ab. Der DGB-Vorsitzende Hoffmann erklärt das auch mit der "vom ESM verordnete Austeritätspolitik, die unter anderem zur Zerschlagung der Tarifsysteme geführt hat". ESM-Kredite flossen in der Eurokrise nur unter Auflagen. Die öffentlichen Ausgaben, etwa für Renten und das Gesundheitssystem, mussten in Griechenland, Spanien und Portugal teilweise extrem gekürzt werden. Damals war bereits über Eurobonds diskutiert worden. "In Südeuropa versteht kein Menschen die Blockadehaltung der Deutschen. Die Südeuropäer sind entsetzt über uns, weil sie auch genau wissen, welche Vorteile wird durch den Euro haben", sagte Hoffmann dem Tagesspiegel. Ökonomische Vorbehalte gegen Coronabonds seinen nicht plausibel. „Bei zehnjährige Staatsanleihen gibt es für den Bund derzeit einen Negativzins von 0,4 Prozent, Eurobonds dagegen würden mit 0,2 Prozent verzinst", rechnet Hoffmann vor. "Die Differenz von 0,6 Prozent macht für unseren Haushalt eine paar hundert Millionen Euro im Jahr aus – das ist absolut verkraftbar", sagte der DGB-Vorsitzende. Die deutsche Wirtschaft müsse ein großes Interesse daran haben, "dass die südeuropäischen Länder nicht in die Knie gehen, das würde die Exportmöglichkeiten deutlich verschlechtern".
Die EU-Staaten haben kürzlich nach zähen Verhandlungen ein erstes Hilfspaket von mehr als 500 Milliarden Euro für Arbeitnehmer, Unternehmen und Staaten in der Corona-Krise geschnürt. Es sieht unter anderem Kreditlinien des ESM von bis zu 240 Milliarden Euro vor. Italien und acht weitere Staaten, darunter auch Frankreich, befürworten weiterhin gemeinsame Staatsanleihen der EU-Staaten, die aber vor allem von Deutschland, Österreich und den Niederlanden abgelehnt werden. Das Europaparlament hatte am vergangenen Freitag für so genannte Recovery-Bonds votiert, das sind europäische Anleihen, die durch den EU-Haushalt abgesichert sind. Damit sollen künftige Investitionen finanziert werden. Industriepräsident Kempf fordert ein "mehrjähriges europaweites Wachstumsprogramm". Er plädiert für massive staatliche Ausgaben "zur Stabilisierung der Industrie, ,zur Digitalisierung und zum Klimaschutz, um private Investitionen in einer auf absehbaren Zeit miserablen weltwirtschaftlichen Lage zu erleichtern", wie Kempf dem Tagesspiegel sagte.
Die EU braucht mehr Geld
In einem Punkt sind sich der BDI-Präsident und der DGB-Vorsitzende einig: Die Europäische Gemeinschaft braucht mehr Geld. Kempf erwartet "eine höhere Bereitschaft der Mitgliedstaaten, die EU mit den Mitteln auszustatten, die für die Bewältigung der Herausforderungen erforderlich sind". Und Hoffmann wiederum erinnert an den Koalitionsvertrag der Bundesregierung, "in dem zusätzliche Mittel in Aussicht gestellt werden". "Im Juli übernimmt Deutschland die Ratspräsidentschaft, dann brauchen wir ein Konjunktur- und Zukunftspaket", sagte der Gewerkschaftschef dem Tagesspiegel.
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