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Arbeitnehmer klagen über zunehmende Belastung durch ständige Erreichbarkeit - auch außerhalb der regulären Arbeitszeit.
© dpa

Stress im Beruf: Gewerkschaft fordert Recht auf Unerreichbarkeit

In Zeiten ständiger Erreichbarkeit dehnt sich die Arbeitszeit oft in den Feierabend aus. Erst am Montag teilte BMW mit, die Freizeit seiner Mitarbeiter besser zu schützen. Der Gewerkschaft IG Metall reicht das nicht.

Während der Tagesschau noch einmal die E-Mails checken, eine SMS an den Kollegen schicken oder das Büro kurz zurückrufen: Die ständige Erreichbarkeit durch Smartphones und andere Geräte ist für viele Beschäftigte zu einem Problem geworden. Zwar stellen immer mehr Unternehmen Regelungen zur flexiblen Arbeit von zu Hause aus auf, doch die IG Metall sieht bei dem Thema einen generellen Handlungsbedarf. "Eine konkrete gesetzliche Forderung wie ein Mailverbot nach 18 Uhr haben wir derzeit noch nicht. Aber wir wollen unbedingt mit Arbeitgebern und Gesetzgebern über das mobile Arbeiten sprechen", sagte eine Pressesprecherin der Gewerkschaft am Dienstag dem Tagesspiegel.

Bei einer Studie der IG-Metall aus dem letzten Jahr sagten vier Prozent der 514.000 Befragten, dass ihr Betrieb eine 24-Stunden-Erreichbarkeit erwarte. Von fast jedem zehnten werde sie häufig gefordert, von jedem Dritten selten und über die Hälfte der Befragten gab an, nie so flexibel sein zu müssen. Doch auch wenn Unternehmen die Erreichbarkeit ihrer Mitarbeiter nach Feierabend nicht prinzipiell voraussetzen, schalten viele Menschen ihr Handy zu Hause nicht aus: Fast jeder Dritte gab nach einer Studie der Techniker Krankenkasse (TK) vor einem halben Jahr an, immer mobil erreichbar zu sein. Bei den 18- bis 25-Jährigen waren es 87 Prozent, in der Gruppe der 26- bis 35-Jährigen beinahe 50 Prozent.

Automobilhersteller stellen Regelungen auf

Wie einzelne Unternehmen ihre Mitarbeiter vor einer zu hohen Stressbelastung schützen, zeigte zuletzt BMW. Der Autobauer gab am Montag bekannt, dass er mit der Arbeitnehmervertretung eine Vereinigung geschlossen habe, die seinen Büromitgliedern ein Recht auf Unerreichbarkeit nach Feierabend garantiert. Damit ist BMW in der Automobilbranche nicht allein. Auch Daimler setzt auf Funkstille in der Freizeit: Wer nicht im Dienst ist, kann seine E-Mails seit Dezember auf Wunsch automatisch löschen lassen. Der Absender erhält dann eine Abwesenheitsnachricht mit den Kontaktdaten eines Vertreters. Wie viele Beschäftigte die Möglichkeit wirklich nutzen, konnte eine Sprecherin nicht sagen.

Bei Audi gibt es nach Angaben des Ingolstädter Konzerns seit kurzer Zeit eine Betriebsvereinbarung, die das mobilen Arbeiten mit Laptop und Smartphone regelt. Mitarbeitern, die von zu Hause arbeiten wollten, werde in Abstimmung mit dem Vorgesetzten die jeweilige Arbeitszeit angerechnet. Der Betriebsrat von Volkswagen hatte der totalen Erreichbarkeit bereits 2011 den Kampf angesagt und Tarifbeschäftigten mit einem Dienst-Smartphone die E-Mails in Randzeiten, am Wochenende oder an Feiertagen abgeschaltet. Ähnliche Regelungen soll es auch bei Eon, Puma und der Telekom geben.

Forderung nach bundesweit einheitlicher Regelung

Betriebliche Vereinbarungen hält IG-Metall-Vorstandsmitglied Christiane Benner zwar für erstrebenswert. Sie sieht aber ebenso die Politik in der Pflicht und macht sich wie Gewerkschaftschef Detlef Wetzel für strengere Regelungen stark. „Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene sind zu begrüßen. Voraussetzung sind aber oft ein bereits gutes Arbeitsklima und eine gute Unternehmenskultur.“ Daher sei der Gesetzgeber gefragt: „Ich könnte mir vorstellen, dass man Eckpunkte formuliert, die am Ende in ein Gesetz fließen könnten. Es geht darum, das Recht auf Abschalten zu verankern und der Entgrenzung der Arbeit Einhalt zu gebieten.“ Auch Annelie Buntenbach, DGB-Vorstandsmitglied, sagte dem Tagesspiegel am Dienstag: „Wir brauchen eine Anti-Stress-Politik und klare Regeln für die Erreichbarkeit von Mitarbeitern nach Feierabend."

Passage im Koalitionsvertrag

Das Bundesarbeitsministerium in Berlin äußert sich zu dem Thema nur knapp und verweist lediglich auf die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Darin steht: "Öffentliche Verwaltung und Tarifpartner sind aufgefordert, die Rechte der Beschäftigten für eine erweiterte Arbeits-Autonomie und verbesserte Work-Life-Balance für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu stärken (z. B. Regelungen zur Nichterreichbarkeit)." Betriebliche Vereinbarungen seien zu begrüßen. Diese Meinung teilt auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. „Kein Arbeitnehmer ist verpflichtet, mehr zu leisten, als er vertraglich schuldet. Umgekehrt gilt aber auch: Engagement und Leistungsbereitschaft sollten nicht zwangsweise eingeschränkt werden“, heißt es in einer Stellungnahme. Einen Bedarf für gesetzliche Regelungen gebe es nicht.

Mögliche Folgen: Depressionen und Burnout

Die Krankenkasse DAK betonte in ihrem Gesundheitsreport 2013 allerdings das größere Risiko von Depressionen bei höherer Erreichbarkeit. Von Arbeitnehmern, die ständig erreichbar sind, leide fast jeder Vierte unter einer Depression. Das seien rund zwei Prozent der Arbeitnehmer. „Für diese kleine Gruppe hat der Wegfall der Grenze zwischen Beruf und Privatleben einen hohen Preis“, sagte der DAK-Vorsitzende Herbert Rebscher. Je ausgeprägter die Erreichbarkeit zu Hause sei, desto eher würden die Beschäftigten zudem von Stress und Burnout berichten. Deswegen raten Experten zu ausreichend Regenrationszeiten.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch die Umfrage der IG Metall im letzten Jahr: Die meisten der Befragten konnten mit der geforderten Flexibilität in ihrem Beruf gut umgehen. Dafür wünschten sie sich aber auch eindeutige Gegenleistungen wie verbindliche Vereinbarungen zur Beschäftigungssicherung (93 Prozent), Ausgleich durch Entgeltzuschläge (88 Prozent), ausreichend lange Ankündigungsfristen (88 Prozent) und die Zusage, kurzfristig Freizeit nehmen zu können (93 Prozent). (mit dpa)

Marie Rövekamp

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