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Ohne Maske kein Dienst in der thailändischen Ehrenwache. Und in Europa geht man ohne immer seltener auf die Straße.
© AFP

Auf der Suche nach Schutz vor dem Virus: Genügend Masken erst im Herbst

In Deutschland fehlen Hersteller, Maschinen und Filtermaterial. Zudem wird Vlies aus heimischer Produktion im Ausland verarbeitet.

Peter Brunsberg hat sich Ende der vergangenen Woche einen Transporter ausgeliehen und ist nach Bielefeld gefahren. Bei Dürkopp Adler besorgte sich der Berliner ein paar Nähmaschinen, die dringend in Marzahn gebraucht werden.

Dort, in einer ehemaligen Sporthalle, produziert Brunsbergs Firma Bagjack mit 20 Leuten Schutzmasken. Die ersten Prototypen sind fertig und die Zulassung vom Institut für Arbeitsschutz liegt auch vor. 5000 Stück sollen jeden Tag in Marzahn genäht werden.

4,2 Millionen Stück pro Woche

Brunsbergs kleine Firma ist Teil des Maskenkonsortiums Fight, zu dem sich mehrere Firmen und Forschungseinrichtungen vor allem aus Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen zusammengeschlossen haben, um 4,2 Millionen Masken pro Woche zu produzieren. Das ist eine Menge und doch nur ein Bruchteil dessen, was hierzulande gebraucht wird. Das Bundesgesundheitsministerium hat gerade ein Volumen von 50 Millionen Masken pro Woche ausgeschrieben. Am heutigen Dienstagabend endet die Abgabefrist, spätestens Mitte August müssen die Bewerber die ersten Masken liefern. Wer sich an der Ausschreibung beteiligt, muss eine Verpflichtung abgeben, welche Menge zu welchem Preis bis zum 15. August geliefert werden kann. 50 Millionen wird es erst im Herbst geben, wahrscheinlich nicht vor November. Es fehlt schlicht an Herstellungskapazität und vor allem gibt es zu wenig Vlies.

Alles aus China

1985 hat die Unternehmensgruppe Reifenhäuser Reicofil aus Troisdorf bei Bonn eine erste Spinnvliesanlage in Betrieb genommen – in China. Die deutsche Textilindustrie wurde über die Jahrzehnte zum überwiegenden Teil von asiatischen Unternehmen ersetzt. Und die Nähmaschinenhersteller Dürkopp Adler und Pfaff sind inzwischen auch in chinesischer Hand. Die derzeit so extrem heiße Ware Schutzmasken stammt fast ausschließlich aus China.

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„Nachdem die Lieferketten nach Asien ausgefallen sind, haben sich unsere Unternehmen in einem Kraftakt neue Lieferketten für die Herstellung von Schutzkleidung aufgebaut“, beschreibt Uwe Mazura, Chef des deutschen Textilverbandes, die Situation. „Die Coronakrise zeigt uns mit ihrer ganzen Wucht, wie wichtig eine eigene Industrie hier in Europa ist.“ Dabei gibt es hier noch immer eine Textil- und Modeindustrie mit 1400 Unternehmer und 135 000 Mitarbeitern. Vor allem Familienunternehmen produzieren neben Wäsche und Heimtextilien hochwertige Garne und Stoffe sowie technische Textilien für die Autoindustrie, Luft- und Raumfahrt sowie den Bau. Auch Vliese werden in Deutschland hergestellt, aber in größerem Umfang nur bei zwei mittelständischen Unternehmen: Sandler in Franken und Innovatec in Troisdorf bei Bonn. Sandler beliefert jetzt vor allem den niederbayerischen Autozulieferer Zettl, der im Auftrag der bayerischen Landesregierung die Produktion auf Masken umgestellt hat. Sandler nimmt keine Aufträge mehr entgegen und bittet potenzielle Kunden, sich nicht vor Juni zu melden.

Aus Troisdorf ins Ausland

Die Anlagen der nordrhein-westfälische Innovatec produzieren derzeit Vliesmaterial für rund zehn Millionen Masken am Tag. Das ist eine Menge und würde den Bedarf hierzulande decken. Doch das Vlies geht ausschließlich ins Ausland, sehr viel nach Frankreich, aber auch Maskenhersteller in Schweden und Holland, Spanien, Bosnien und Rumänien verarbeiten nach Unternehmensangaben das Material aus Troisdorf. Alle diese Länder hatten schneller eigene Masken auf dem Markt als die Bundesrepublik, die nun aufzuholen versucht und deshalb die Herstellung von Maskenvlies mit 40 Millionen Euro fördert.

30 Prozent zahlt der Bund

Innovatec entscheidet sich diese Woche, ob man eine neue Anlage bei der schweizerischen Oerlikon oder beim Troisdorfer Nachbarn Reifenhäuser Reicofil für einen höheren einstelligen Millionenbetrag bestellt. Die Bundesregierung beziehungsweise der deutsche Steuerzahler ist mit 30 Prozent der Investitionssumme dabei. „Wir haben ohne Ende Anfragen“, heißt es bei Reifenhäuser, und man wisse kaum, wie man die Aufträge abarbeiten solle. Der Maschinenbauer hat die Lieferzeit für Anlagen zur Produktion der entscheidenden mittleren Materialschicht für Atemschutzmasken auf 3,5 Monate reduziert. Doch dann bedarf es weiterer Monate, bis die gigantische Vliesanlage montiert ist und auch in Betrieb gehen kann. Bestenfalls Oktober, so kalkuliert man bei Innovatec, könnte man starten, realistisch sei November. Anders gesagt: Die von der Bundesregierung angepeilten 50 Millionen Masken pro Wochen stehen erst im Herbst zur Verfügung. Vielleicht auch erst im Winter, wie man beim Maskenkonsortium Fight meint.

Viel Arbeit an der Nähmaschine

Bis dahin sollte es jedenfalls auch Maschinen geben, die mehr oder weniger automatisch Vlies und Bänder und Bügel zusammenbringen, die Masken falten und per Ultraschall schweißen, damit nicht Tausende an der Nähmaschine sitzen müssen. Immerhin gibt es derzeit diese Arbeitskräfte: Der Berliner Bagjack-Chef Brunsberg hat sich für ein paar Monate Näherinnen ausgeliehen, die eigentlich im Messebau beschäftigt sind. Vor dem Herbst sind Messen hierzulande eher unwahrscheinlich.

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