Bayer will Monsanto schlucken: Gentechnikexpertin: "Fall von vorausschauender Leichenfledderei"
55 Milliarden Euro will Bayer für den US-Saatgutkonzern ausgeben. Die Aktie stürzt ab, Umweltschützer und die Grünen sind empört.
Der Mann kann Geheimnisse für sich behalten. „Ich will die Bude nicht auf den Kopf stellen“, hatte Werner Baumann im April den Journalisten des Kölner Boulevardblatts „Express“ erzählt. Die Bude, das ist die Bayer AG. Der Aspirin-Produzent ist Deutschlands größter Pharmakonzern, knapp 117.000 Menschen arbeiten weltweit für das Leverkusener Unternehmen, seit der Übernahme von Schering auch einige tausend in Berlin. Im April war Baumann noch Strategiechef, seit dem 1. Mai steht der 53-Jährige an der Spitze des Dax-Konzerns. Und zieht jetzt neue Saiten auf: Baumann will die größte Übernahme stemmen, die ein deutsches Unternehmen jemals gewagt hat. 62 Milliarden Dollar, umgerechnet 55 Milliarden Euro, will Bayer für den US-Saatgutkonzern Monsanto ausgeben und zusammen mit den Amerikanern zum weltgrößten Hersteller für Agrochemie, also für Saatgut und Pflanzenschutzmittel, aufsteigen. „Das ist der nächste richtige Schritt für das Unternehmen“, sagte Baumann am Montag.
„Wir sind seit Langem von Monsanto beeindruckt“, berichtet der Bayer-Chef. Offensichtlich hat er den Coup schon seit Langem geplant. Denn sein Vorgänger an der Konzernspitze, Marijn Dekkers, hatte Übernahmepläne für Monsanto zwar auch geprüft, aber verworfen. Kaum ist der Niederländer weg, gibt Baumann, begeisterter Autofahrer und stolzer Besitzer des ersten Golf GTI-Modells, Gas. Erst verkündete der frischgebackene Konzernchef sein grundsätzliches Interesse an Monsanto, am Montag nannte er Details. 122 Dollar bieten die Leverkusener für eine Monsanto-Aktie. Das ist ein Aufschlag von 37 Prozent verglichen mit dem Schlusskurs vom 9. Mai, dem Tag, bevor Bayer den Amerikanern die Übernahmeofferte machte. Bezahlt werden soll der Deal mithilfe einer Kapitalerhöhung und mit neuen Schulden.
Die Bayer-Aktie schmiert ab
Die Börse reagierte entsetzt. Über fünf Prozent verloren die Aktien des einstigen Börsenlieblings allein am Montag und rutschten unter die Marke von 85 Euro. Seit März vergangenen Jahres, als Bayer-Aktionäre noch 146 Euro für ihren Anteilsschein bekamen, haben die Anleger 40 Prozent abschreiben müssen. Aktionärsschützer befürchten noch Schlimmeres. „Sollte sich die Übernahme als Flop erweisen, wird das die nächsten Jahre die Gewinnentwicklung drücken“, sagte Jürgen Kurz, Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), dem Tagesspiegel. Kurz glaubt zwar nicht, dass Bayer bei einem Scheitern existenziell gefährdet wäre. „Sollte sich der Deal als falsch erweisen, werden aber die Aktionäre noch jahrelang darunter leiden“, warnt er. Immerhin hat Bayer schon jetzt Nettoschulden von 16,5 Milliarden Euro, der Monsanto- Deal treibt diese noch in die Höhe. Monsanto-Aktien legten dagegen zu.
Monsanto hat die Übernahmeschlacht begonnen
Ob die Amerikaner das Angebot annehmen werden, ist noch offen. Monsanto sieht sich selbst eher als Jäger, nicht als Gejagten. Mit ihrem erfolglosen Versuch, die Schweizer Syngenta zu übernehmen, hatten die Amerikaner 2015 eine Übernahmeschlacht losgetreten. Syngenta geht nun an den chinesischen Staatskonzern Chem-China, die US-Konzerne DuPont und Dow Chemical wollen fusionieren. Angesichts der wachsenden Weltbevölkerung gelten Saatgut, Gentechnik und Pestizide als Wachstumsgeschäft. Analysten sind sich einig, dass Bayer und Monsanto dabei gut zueinanderpassen.
Bayer ist stark bei Pestiziden und vor allem in Asien und Europa unterwegs, Monsanto ist Weltmarktführer bei Saatgut, Anbieter von Genmais und -soja und in Amerika stark. Mit dem Deal werde Bayer im zukunftsträchtigen Geschäft mit Agrochemikalien und Pflanzenschutz weltweit die Nummer eins, sagt Thomas Schiessle vom Analysehaus Equits. Nach Ansicht von Professor Christoph Schalast von der Frankfurt School of Finance ist die gesamte Branche im Umbruch. Da müsse man mitspielen. „Überhaupt ist beeindruckend, was sich ein deutsches Unternehmen traut. Das kannte man bislang nur von Amerikanern und Chinesen“. Ähnlich sieht es Börsenhändler Carsten Sommerfeldt von Tradegate. „Strategisch ist die Übernahme sinnvoll“, sagt auch Markus Mann, Fondsmanager bei Union Investment, „jedoch nicht zu jedem Preis.“ Der Kaufpreis sei am Limit und dürfe nicht weiter steigen.
Monsanto ist verhasst
Umweltschützer sehen Monsanto dagegen auf dem absteigenden Ast. „Monsanto hat seine besten Zeiten hinter sich“, meint Heike Moldenhauer, Gentechnikexpertin des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschlands (BUND). Die Übernahme sei ein „Fall von vorausschauender Leichenfledderei“.
Tatsächlich laufen die Geschäfte der Amerikaner nicht mehr so rund wie früher. In der EU streiten die Mitgliedstaaten darüber, ob das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat, das Monsanto unter dem Markennamen „Roundup“ vertreibt, in Europa weiter eingesetzt werden darf. Auch sonst gibt es reichlich Kritik an Monsanto. Mit seiner strengen Lizenzpolitik zwingt das Unternehmen Bauern, jedes Jahr neues Saatgut von Monsanto und dazu passende Pestizide zu kaufen. Unter Umweltschützern ist der US-Gentechnikkonzern das meistgehasste Unternehmen weltweit. „In Zeiten, in denen der Name Monsanto weltweit für rücksichtslose Agrarindustrie und wachsenden Chemieeinsatz auf dem Acker steht, kann man sich nur wundern, dass Bayer sich derart ins Zentrum der Debatte einer Ernährungswende stellen will“, sagte die Grünen-Politikerin Renate Künast dem Tagesspiegel. „Ich frage mich, ob Bayer – ähnlich wie die Energiekonzerne – die Zeichen der Zeit zu spät erkennt.“