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Pakete liegen in einem Paketzentrum von DHL.
© Tom Weller/dpa

„Das wird sich nicht mehr umkehren“: Fünf problematische Folgen des massiven Onlinehandels

Seit einem Jahr boomt der Onlinehandel wegen der Pandemie. Doch was richtet er dabei an? Von weggeworfenen Waren bis zu überquellenden Papiertonnen.

Seit Beginn der Pandemie waren Online-Shops oft die einzige Option, Möbelstücke oder einen Pullover zu kaufen. Doch so bequem wie die digitalen Möglichkeiten sind, ziehen sie auch negative Konsequenzen nach sich.

Druck auf stationäre Geschäfte

Es war ihr Jahr: Otto verschickte 33 Prozent mehr Pakete als im Vorjahr. Home24 steigerte seine Erlöse um 42 Prozent und Zalando setzte acht Milliarden Euro um.

Insgesamt stieg der Brutto-Umsatz von Waren im E-Commerce 2020 um 14,6 Prozent auf 83,3 Milliarden Euro, wie der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (BEVH) mitteilte. „Diese Entwicklung wird sich nicht mehr umkehren“, sagt Verbandspräsident Gero Furchheim. Für 2021 setzt seine Branche auf ein Wachstum von 12,5 Prozent.

Die Lage für stationäre Händler wird gleichzeitig immer verheerender. Das zeigte zuletzt eine Umfrage des Handelsverbandes Deutschland (HDE) unter mehr als 2000 Händlern. Demnach sehen sich sechs von zehn Unternehmen ohne weitere staatlichen Hilfen in Insolvenzgefahr.

Und selbst wenn bald wieder mehr Kundschaft kommt: Die Menschen haben sich in den vergangenen Monaten an das Einkaufen im Netz gewöhnt. Fast drei von vier Nutzer:innen wollen laut der BEVH-Studie künftig genauso viel wie jetzt im Internet bestellen – oder sogar mehr. Vor einem Jahr hatte das nur jeder Zweite vor.

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Während das Geschäft boomt, werden die Arbeitsbedingungen bei Amazon und Zalando regelmäßig kritisiert. Die Unternehmen brauchen in der Logistik vor allem An- und Ungelernte, die wenig verdienen. Die Gewerkschaft Verdi bemängelt zudem die Corona-Infektionsraten in den Logistikzentren. Es lägen Fotos und Berichte von Beschäftigten vor, die zeigten, wie Hygiene, Abstandhalten und Sauberkeit vernachlässigt werden. Auch in der Zustellbranche gibt es geringe Löhne für ein hohes Pensum. Vollzeitbeschäftigte Paketboten bekamen 2020 durchschnittlich 2924 Euro im Monat. Weil sie in der gleichen Zeit immer mehr Waren ausliefern, sind sie viel öfter krank als der Durchschnittsbeschäftigte.

Retouren und weggeworfene Waren

Das T-Shirt wurde in verschiedenen Farben, die Turnschuhe in zwei Größen bestellt – 2020 haben die Deutschen rund 315 Millionen Pakete wieder zurückgeschickt. 2019 waren es 301 Millionen, wie die Forschungsgruppe Retourenmanagement der Universität Bamberg analysiert hat. Die Retourenquote ist zwar gefallen – 2019 wurden 17,8 Prozent der ausgelieferten Pakete wieder zurückgeschickt, 2020 15,9 Prozent. In der Summe sind es trotzdem mehr. Bei Kleidungsstücken geht mehr als jedes zweite bestellte Paket zurück an den Absender.

Kund:innen kostet das oft nichts, die Händler schon. Es fallen Kosten für den Transport und die Bearbeitung der Ware an. Das Kontrollieren von Makeln und erneute Verpacken ist arbeitsintensiv und rechnet sich oft nicht. 2018 deckten die „Wirtschaftswoche“ und das ZDF-Magazin Frontal 21 auf, dass Amazon zurückerhaltene Artikel deswegen massenhaft vernichtet.

„Sie retournieren später, es wird intensiver ausprobiert“

Ob sich das Verhalten der Kund:innen in der Pandemie verändert hat? Ja! „Sie retournieren später, es wird intensiver ausprobiert und folglich wird auch mehr entsorgt“, sagt Björn Asdecker, Leiter des Bamberger Forschungsteams. Laut einer Analyse weist ein größerer Anteil der Retouren Gebrauchsspuren auf. Werden diese Artikel trotzdem an den nächsten Kunden geschickt? Von Zalando heißt es: Der Großteil der Käufer:innen sende die Artikel in „einwandfreiem Zustand“ zurück, sodass 97 Prozent aller retournierten und überprüften Artikel wieder über den Shop verkauft werden könnten. Hätten Kleidungsstücke Mängel, wie etwa einen fehlenden Knopf, würden sie im Outlet zu reduzierten Preisen angeboten.

Die Deutschen kauften letztes Jahr online viele Möbelstücke.
Die Deutschen kauften letztes Jahr online viele Möbelstücke.
© imago/Westend61

Bei Otto seien 90 Prozent der retournierten Kleidungsartikel nicht getragen worden und noch originalverpackt. Diese Ware könnte sofort wieder in den Verkauf. Länger getragene oder verschmutze Kleidung werde gereinigt, gebügelt und dann wieder angeboten. Auch unbeschädigte Möbel würden bei Otto erneut verschickt werden. Beschädigte Ware wird repariert. Das Prozedere bei Home24: Zurückgesendete Möbel werden angeblich in einem der fünf Outlets weiterverkauft. „Gerade im Möbelsegment sind Retouren sehr teuer, weshalb es für mich wenig Sinn macht, Möbel mit Makeln auszuliefern, da dies eine weitere teure Retoure provoziert“, sagt Björn Asdecker. Was die vielen Rücksendungen noch für Konsequenzen haben? Die Umwelt wird belastet.

Unzufriedene Verbraucher

Die Angaben der Unternehmen decken sich nicht mit Bewertungen auf den Internetseiten der angeschriebenen Unternehmen, wonach durchaus Möbelstücke mit Macken geliefert werden. Das beobachtet auch die Verbraucherzentrale in Berlin. „Wir haben in letzter Zeit einige Anfragen zu Problemen mit Möbelbestellungen erhalten. Oftmals geht es dabei um eine Farbe, die nicht der auf dem Bildschirm gezeigten entspricht oder Vergleichbares. Aber auch die Lieferung mangelhafter Ware war bereits Thema“, heißt es. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen würde Beschwerden über „mangelhafte oder minderwertige Neuware erhalten, die im Missverhältnis zum beworbenen Angebot stehen“.

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Ein weiteres Ärgernis seien die Kundendienste. Die Verbraucherzentralen in Berlin, Bremen und Nordrhein-Westfalen schildern Fälle, bei denen eine Stornierung verweigert wird – oder der Hersteller eine Nachbesserung der kaputten Ware verspricht, aber dies nicht einhält. Außerdem hätten Käufer:innen Probleme, überhaupt Kontakt zu den Kundendiensten aufnehmen zu können und ihr Problem zu erläutern. Häufig würden Verbraucher an den Hersteller des Produkts verwiesen, obwohl der Onlineshop der Vertragspartner ist. Folglich können unzufriedene Käufer ihre mangelhafte Ware nicht zurückgeben und ihr Geld erstattet bekommen.

Eine starke Vermüllung

Deutschlands Müllabfuhren haben im vergangenen Jahr sechs Prozent mehr Plastik eingesammelt als zuvor, was auch für das Verschicken von Produkten genutzt wird. Das ergab eine Umfrage des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE) unter seinen Mitgliedsfirmen. Auch die Mülltonnen für Papier und Pappe quellen über. Während die Menge des grafischen Papiers, vor allem Zeitungspapier, wegen der Digitalisierung erneut zwar deutlich sank, landeten wesentlich mehr Kartons im Müll.

Schon vor der Pandemie fielen 609 Kilogramm Siedlungsabfall je Einwohner in Deutschland an. Damit lag die Menge deutlich über dem EU-Durchschnitt von rund 502 Kilogramm je Einwohner. Höhere Werte gab es nur in Dänemark (844 Kilogramm), Luxemburg, Malta und Zypern (642 Kilo). Die niedrigsten Mengen verzeichneten Rumänien (280 Kilo) und Polen (336 Kilo). Siedlungsabfall umfasst Papier und Pappe, Kunststoffe, Glas, Metalle, Lebensmittel- und Gartenabfälle sowie Textilien. Es ist all jener Müll, der in Haushalten, im Handel, Gewerbe und in Büros anfällt.

„Außer-Haus-Verzehr und Versandhandel lassen gerade in Corona-Zeiten die Müllberge in der Hauptstadt weiter wachsen“, kritisiert der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Gerade Kunststoffe würden aber nur selten recycelt. Oft lande das Erdölprodukt in der Natur oder heize in der Müllverbrennung das Klima weiter an. Neben dem Schaden für die Umwelt und das Klima steigen mit den Abfallmengen auch die Kosten für die Stadt – und letztlich auch die Bewohner:innen.

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