Ratingagentur Standard & Poor's: Frankreich-Panne mit Folgen
Die US-amerikanische Ratingagentur Standard & Poor’s hat die Bonität Frankreichs aus Versehen kurzzeitig herabgestuft. Welche Folgen hat diese Panne?
Es war genau 15.57 Uhr am Donnerstag, als die US-amerikanische Rating-Agentur Standard & Poor's (S & P) an ihre Kunden die Mitteilung verschickte, Frankreichs mit der Topnote „AAA“ bewertete Kreditwürdigkeit werde herabgestuft. Nach rund zwei Stunden wurde die Meldung wieder zurückgezogen. Es habe sich um einen „technischen Fehler“ gehandelt, teilte S & P ohne nähere Erläuterung mit. Doch die Märkte hatten schon reagiert.
Im Handel mit französischen Staatsanleihen wurden kurzfristig Risikoaufschläge verlangt. Und das reichte aus, um den Verantwortlichen in Paris und den Partnern in der Euro-Zone einen Vorgeschmack auf das zu verleihen, was passieren würde, sollte Frankreich tatsächlich seine Bestnote als Schuldnerland verlieren. Für seine Staatsanleihen müsste es höhere Zinsen zahlen, das Haushaltsdefizit würde größer, der Schuldenberg weiterwachsen und darüber hinaus geriete der Euro-Rettungsplan in Gefahr.
Entsprechend groß war die Empörung über die Panne, die Finanzminister François Baroin als „ziemlichen Schock“ empfand. Die Börsenaufsicht AMF ordnete eine Untersuchung an. Finanzexperten forderten eine „extrem harte Strafe“.
Auch in Partnerländern wie Deutschland wurden nach dem Vorfall wieder Rufe nach einer Beschneidung der Macht der Rating-Agenturen laut. Dass die Panne mit der Entschuldigung als „technischer Fehler“ erledigt sei, wollten Finanzexperten nicht gelten lassen. „Irgendjemand muss die Mitteilung doch verfasst haben“, sagte der Ökonomieprofessor Christian Saint-Etienne.
Von einer Farce spricht Folker Hellmeyer, Chef-Analyst der Bremer Landesbank. Es stelle sich die Frage, wie ein Text vorbereitet sein könne, wenn dies gar nicht beabsichtigt sei. Hellmeyer sieht Verbindungen in die USA und Interessenskonflikte der Agentur mit ihren Eigentümern. Die weltgrößte Rating-Agentur gehört dem Medienkonzern McGraw-Hill, der wiederum im Besitz zahlreicher institutioneller Investoren aus den USA ist.
Diese Einschätzung teilt Eugen Keller vom Bankhaus Metzler. Man habe an den Finanzmärkten schon etliche nicht nachvollziehbare Entwicklungen gesehen. „Doch versehentliche Verlautbarungen einer Ratingverschlechterung ist der bisherige Höhepunkt.“ Der Vorgang habe einen sehr faden Beigeschmack. „Solche Einschätzungen werden bei den Agenturen in großer Runde diskutiert und dann wird entschieden.“ In diesem Fall zweifelt Keller allerdings an, dass dies passiert ist. Es sei eher vorstellbar, dass irgendjemand die Meldung verfasst und möglicherweise vorschnell herausgegeben haben.
Lesen Sie auf Seite 2, wie es wirklich um Frankreich steht.
Laut Fidel Helmer vom Bankhaus Hauck&Aufhäuser zeigt der Skandal bei S&P, dass Europa endlich eine eigene, unabhängige Ratingagentur braucht. Auch der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger fordert, die Rolle von Ratingagenturen nach der Panne zu überdenken. Die irrtümliche Herabstufung Frankreichs sei „sehr ärgerlich“, sagte Oettinger dem Tagesspiegel. „Deswegen gilt für mich, dass die Fixierung auf das Urteil von Ratingagenturen überdacht werden muss.“ Allerdings dürfe der ärgerliche Vorfall für die EU-Kommission bei den anstehenden Entscheidungen über die künftigen Aufgaben der Ratingagenturen kein Anlass sein, überzureagieren, sagte Oettinger weiter.
Tatsächlich ist die Sorge, dass Frankreich sein „Triple A“ verlieren könnte, keineswegs aus der Luft gegriffen. Bereits im August hatte Moody's, die andere große US-Rating-Agentur, bekannt gegeben, dass es Frankreich wegen seiner Schuldenpolitik unter besondere Beobachtung stelle. Das Warnsignal war in Paris sofort verstanden worden. Präsident Sarkozy veranlasste es, den Franzosen wenige Monate vor den Wahlen im nächsten Frühjahr ein Sparbudget zu verordnen, um Frankreichs Haushaltsdefizit bis 2013 auf die Brüsseler Stabilitätsmarke von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu reduzieren und 2016 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen.
Wie ernst die Lage ist, kann Sarkozy am sogenannten „Spread“, dem Unterschied der Zinsen für langfristige Schuldenpapiere zwischen Frankreich und Deutschland ablesen, die er nach eigener Aussage „jeden Morgen“ studiert. Noch nie seit 1997 war diese Differenz so groß wie heute. Die französische Regierung muss inzwischen zweimal so viel Geld aufwenden, um sich an den Finanzmärkten zu refinanzieren, wie die deutsche. Das sei zwar, wie die französische Zeitung „Le Figaro“ schreibt, nur halb so viel wie Italien aufwenden müsse. Während sich Italiens Staatsschulden auf 1900 Milliarden belaufen, betragen die Frankreichs 1700 Milliarden. Die italienische Krise habe inzwischen auch Frankreich „angesteckt“, meint das der Regierung nahestehende Blatt. Jacques Attali, der frühere Berater des sozialistischen Präsidenten François Mitterrand, der auch für Sarkozy als Gutachter tätig wurde, hält die Debatte über Frankreichs AAA-Note daher für müßig: „De facto haben wir sie schon verloren.“