Krisengipfel mit Verkehrsminister Scheuer: Flughäfen und Flugsicherung sind in Finanznot
Die Rettung der Lufthansa reicht nicht, warnt die Wirtschaft. Auch Flughäfen und Flugsicherung leiden. Die Bundesregierung lädt zum Krisengipfel.
Jetzt hat es die nächste Airline erwischt. Die viertgrößte deutsche Fluglinie Sundair hat ein Schutzschirmverfahren eingeleitet – eine Sanierung, die die Pleite abwenden soll. Der Ferienflieger hatte nach der Pleite von Germania viele Strecken übernommen und flog Gewinne ein. Dann ließ die Pandemie den Luftverkehr einbrechen. Der gerichtliche bestellte Sanierer Lucas Flöther macht bei Sundair da weiter, wo er gerade aufgehört hat. Bei Condor hatte der Sachverwalter denselben Job.
Der Luftverkehr leidet auch im elften Monat der Pandemie so stark wie keine andere Branche. Besserung ist auch im Herbst und Winter nicht in Sicht. „Wir können die Kosten gar nicht schnell genug senken, um die eingebrochenen Einnahmen auszugleichen“, sagte Alexandre de Juniac, Chef der International Air Transport Association (IATA). „Das vierte Quartal 2020 wird extrem schwierig sein, und es gibt kaum Anzeichen dafür, dass die erste Hälfte des Jahres 2021 deutlich besser ausfallen wird.“
Die Lufthansa musste am Donnerstag ein weiteres Milliardenminus verkünden. Die Zahl der Passagiere bleibt niedrig, viele Flugzeuge stehen nutzlos herum, was ihren Wert einbrechen lässt. Der Verlust im dritten Quartal summierte sich so auf knapp zwei Milliarden Euro. Der Umsatz in den ersten neun Monaten des Jahres brach von knapp 28 Milliarden Euro auf elf Milliarden ein. In den nächsten Wochen stellt sich der Konzern, vor der Krise die viertgrößte Airline-Gruppe der Welt, auf eine Art Winterschlaf ein. Selbst die Zentrale am Frankfurter Flughafen wird fast völlig geschlossen.
Auch Flughäfen könnten Hilfen bekommen
Am Freitag wird Lufthansa-Chef Carsten Spohr bei einem Luftfahrt-Gipfel die Bundesregierung über die Lage informieren. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) will dabei vor allem über Hilfen für die Flughäfen sprechen, um die Infrastruktur für den Luftverkehr zu retten. Die meisten deutschen Airports sind in staatlicher oder halbstaatlicher Hand, aber nicht alle Kommunen sind finanzstark genug, um die Verluste in der Coronakrise abzufedern. Eine Milliarden Euro will Scheuer dafür von Finanzminister Olaf Scholz (SPD), verkündete der Verkehrsminister in dieser Woche.
Zwar wurde mit dem Rettungspaket für die Lufthansa die hierzulande wichtigste Säule des Luftfahrtsystems bereits stabilisiert, doch die Finanznot von Flughäfen und auch der Flugsicherung wächst von Woche zu Woche. Aus der Nachfragekrise droht im nächsten Jahr eine Strukturkrise zu werden, warnen Wirtschaftsvertreter. Längst geht es aus Sicht der Branche um mehr, als nur Verluste abzufedern.
„Die sich dramatisch zuspitzende Lage bedroht das gesamte Luftverkehrssystem“, sagte Matthias von Randow dem Tagesspiegel. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) warnt vor „irreparablen Strukturbrüchen“. 60.000 Arbeitsplätze stünden allein in Deutschland bei Fluglinien, Airports und Dienstleistern auf dem Spiel. „Die in der Krise angehäuften Schulden etwa durch Rettungskredite drohen zudem auf Jahre hinaus die Finanzkraft zu schwächen mit direkten Folgen für die Investitionen etwa in die Digitalisierung und Energieeffizienz des Luftverkehrs“, so von Randow.
Der BDL-Chef bringt eine lange Wunschliste mit zum Gipfel am Freitag. Um die „unverschuldet“ in die roten Zahlen gerutschten Flughäfen zu stützen, sollten Bund und Länder die sogenannten Vorhaltekosten übernehmen, die durch den – politisch angeordneten – Weiterbetrieb der Airports trotz weitgehenden Stillstands des Luftverkehrs entstehen. „Die Kosten für diese Betriebspflicht haben sich allein zwischen März und Juni auf rund 740 Millionen Euro summiert“, sagte er.
Der Bund soll bei der Flugsicherung einspringen
Da die staatliche Flugsicherung auch in den kommenden Jahren mit hohen Einnahmeverlusten rechnen muss, sollte die Bundesregierung das durch den Bundeshaushalt ausgleichen und „Vorsorge treffen, damit es nicht im kommenden Jahr durch eine Explosion der Flugsicherungsgebühren zu Verwerfungen im Gesamtsystem Luftverkehr kommt“, so von Randow. In den nächsten fünf Jahre geht es um insgesamt rund 1,2 Milliarden Euro. Auch die bislang gestundeten Kosten für die Sicherheitskontrollen am Boden, sollten den Unternehmen erlassen und vom Bund übernommen werden.
Um wieder mehr Flugreisen zu ermöglichen, müssten zudem die Kriterien für Reisebeschränkungen dem tatsächlichen Wissensstand über die Verbreitung des Virus angepasst werden. „Eine pauschale Einstufung ganzer Länder als Risikogebiet, ist oft nicht sachgerecht“, sagt von Randow. „Durch die Testzentren an den Flughäfen haben wir viele Daten, die wir auch nutzen sollten.“
Der BDL schlägt etwa vor, bei der Festlegung von Risikogebieten auch den Anteil der positiv getesteten Einreisenden zu berücksichtigen und nicht nur die Inzidenz vor Ort. Ein Beispiel: Bei Einreisenden aus Italien fallen nur rund 0,2 Prozent der Tests am Flughafen positiv aus – das Einschlepp-Risiko ist gering. Bei anderen Ländern, etwa auf dem Balkan, sei dieses Risiko dagegen um ein Vielfaches höher. Die Erfahrungen aus dem Sommer hätten gezeigt, „dass die Positivrate in den klassischen touristischen Zielen, in denen sich die Reisenden an die AHA-Regeln gehalten haben, verschwindend gering war“.
Auch die Schnelltests dürften am Freitag zur Sprache kommen. Die Branche hofft, dass der Einsatz die Wiederaufnahme von Flügen etwa in die USA oder nach Asien ermöglicht. Um die wirtschaftliche Schäden durch die Reisebeschränkungen einzudämmen, brauche es „eine gezielte Teststrategie, also verbindliche negative Tests bei Abflug oder Rückkehr“, forderte Lufthansa-Chef Spohr im Tagesspiegel.
Felix Wadewitz
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