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Streikende Mitarbeiter stehen vor der Betriebsstätte des Online-Händlers in Leipzig. Im Streit mit dem Onlineriesen Amazon um den Abschluss von Tarifverträgen stellt sich die Gewerkschaft Verdi auf einen Marathon ein.
© dpa

Streik für einen Tarifvertrag: Flexibel gegen Amazon

Trotz ständiger Streiks hat Verdi bislang keinen Tarif für die 13 000 Amazon-Beschäftigten erreicht. Jetzt wird die Strategie geändert.

Der Weg zu einem Tarifvertrag ist manchmal lang. 2009 begann die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit der Werbung von Mitgliedern im Warenverteilzentrum von Amazon im hessischen Bad Hersfeld, vier Jahre später gab es den ersten Arbeitskampf und in diesen Tagen mobilisiert Verdi wieder seine Mitglieder an einem halben Dutzend Amazon-Standorten. Die Auslieferung stoppen können die Streiks nicht, aber vielleicht verzögern. Und sie sollen „die Kosten in die Höhe treiben“ für den US-Versandkonzern, der Gewerkschaften und Tarifverträge ablehnt.

Bislang hat Amazon mit Aushilfskräften als Streikbrecher Erfolg gehabt, weil meist absehbar war, wann Verdi zum Ausstand aufrufen würde. Das ist jetzt anders. Mit einer flexiblen Streiktaktik per Nadelstiche soll das Unternehmen mürbe gemacht werden. In den meisten der neun deutschen Amazon-Standorte hat Verdi Streikleitungen, die kurzfristig entscheiden, ob ein Streik Sinn macht. Wenn wenig zu tun ist oder wenn sich viele Aushilfskräfte im Logistikzentrum befinden, macht ein Streik keinen Sinn.

Die Auseinandersetzung kostet Millionen

Einige Millionen Euro hat Verdi bislang in das Prestigeprojekt Amazon gesteckt. Die Mittel werden gebraucht für Mitgliederwerbung und -betreuung in den einzelnen Werken und für Streikgelder. Verdi-Chef Frank Bsirske will um jeden Preis verhindern, dass der US-Konzern zum Trendsetter wird und der Tarif im deutschen Handel ausstirbt. Nach eigenen Angaben hat Verdi in den Amazon-Zentren, die jeweils zwischen 1500 und 2000 Mitarbeiter haben, rund 30 Prozent der Belegschaft organisiert. Alles in allem gehören demnach mehr als 4000 Amazon-Beschäftigte der Gewerkschaft an. Damit lässt sich immer wieder Ärger machen – aber reicht die Arbeitskampfkraft aus, um Tarifverhandlungen zu erzwingen?

Der Stundenlohn beträgt 10,30 Euro

Amazon lehnt eine kollektive Regelung der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen ab und wirbt stattdessen mit Löhnen, „die am oberen Ende dessen liegen, was in vergleichbaren Jobs bezahlt wird“. Der Stundenlohn beträgt mindestens 10,30 Euro und dazu gibt es „monatliche Bonuszahlungen, Mitarbeiteraktien, einen Mitarbeiterrabatt sowie eine kostenlose Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung“. Und ein Weihnachtsgeld von 400 Euro – das sind indes nur ein Drittel des tariflichen Weihnachtsgeldes, wie Verdi betont. Die Gewerkschaft räumt aber durchaus ein, dass die Löhne nicht so schlecht sind – Amazon zahlt einen Euro mehr als Zalando – und erklärt das höhere Lohnniveau auch mit dem Streikdruck: Amazon habe nach und nach die Stundenlöhne hochgesetzt, um die Mitarbeiter ruhig zu stellen.

Ein Gesundheitstarifvertrag als Ziel

Auch deshalb greift Verdi nun ein Thema auf, das viele Amazon-Mitarbeiter beschäftigt: In einem Gesundheitstarifvertrag sollen Arbeitsbedingungen und dabei vor allem Erholungszeiten geregelt werden. Nach Angaben von Verdi ist nicht selten ein Fünftel der Belegschaft krank; Versandmitarbeiter, die sogenannten Picker, legen bis zu 20 Kilometer am Tag zurück. Dazu gibt es „permanente Kontrolle und Arbeitshetze“, heißt es bei Verdi. Amazon versucht mit einem Health-Bonus die Mitarbeiter im Betrieb zu halten, Verdi will die Arbeitsbelastung per Tarif reduzieren. Dafür wird auch in den Tagen und Wochen nach Weihnachten gestreikt. Der Vorstand der Gewerkschaft hat bereits Streiktage genehmigt, die dann von den Verdi-Streikführern in Bad Hersfeld, Leipzig, Rheinberg, Werne, Graben oder Koblenz abgerufen werden können. Damit es Tarifverhandlungen gibt. Irgendwann.

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