Immer mehr Fälle von Überschuldung: Finanzielle Bildung könnte viele vor der Schuldenfalle retten
Fast jeder zehnte Bürger macht sich Sorgen um seine eigene finanzielle Situation. Beim Weg aus der Misere muss man früh ansetzen. Ein Gastbeitrag.
Viele Haushalte sind durch Jobverlust und Einkommenseinbußen in die Schuldenfalle geraten. Das sorgt für immensen Stress bei den Betroffenen. Laut Statistischem Bundesamt wurden 2020 circa 588.000 Menschen in Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen beraten, 6000 mehr als 2019 – trotz der eingeschränkten persönlichen Beratungsmöglichkeiten. Hinter den Zahlen stecken aber nicht nur individuelle Schicksale, nicht zurückgezahlte Kredite können auch die Finanzstabilität gefährden.
Schaut man in die Portemonnaies der Deutschen, sind diese nach über einem Jahr Pandemie sehr unterschiedlich gefüllt. Viele sind in der komfortablen Situation, einiges an Geld gespart zu haben. Weniger Reisen, geschlossene Geschäfte und eine ordentliche Portion Konsumvorsicht haben sie vielfach weniger ausgeben lassen. Deutlich wird das an den merklich gestiegenen Sparquoten und entsprechend gesunkenen Konsumausgaben.
Doch dann gibt es die andere Seite: diejenigen, die aufgrund von Corona Einkommenseinbußen hinnehmen mussten oder gar ihren Job verloren haben. Besonders betroffen sind die Selbstständigen und Geringverdienenden, aber auch all jene, bei denen das Kurzarbeitergeld nicht ausreicht, um das tägliche Leben zu finanzieren.
Corona hat Portemonnaies voller gemacht - oder geleert
Bestehende und neue Kredite drohen dann zum Problemfall zu werden. Schon vor der Pandemie waren circa zehn Prozent der Deutschen überschuldet, oft nach einem Jobverlust. Nach aktuellen Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) von Anfang des Jahres macht sich knapp jeder zehnte Befragte derzeit große Sorgen um seine eigene wirtschaftliche Situation. Deshalb ist es jetzt wichtiger denn je, darüber nachzudenken, wie man sowohl den Betroffenen helfen als auch für künftige Fälle vorbeugen kann.
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Um aus einer Überschuldung herauszufinden, ist es zunächst einmal notwendig, sich einen Überblick über die finanzielle Lage zu verschaffen. Ein Schritt, der mit großen Ängsten einhergehen kann und durch komplexe Kreditkonditionen noch erschwert wird. Wie sieht meine finanzielle Situation aus und wie hoch sind meine Schulden? Wann und wie kann man umschulden? Welchen Kredit zahlt man zuerst ab?
Finanzielle Bildung kann hier zielgerichtet ansetzen und helfen. Finanziell gebildet zu sein bedeutet zunächst einmal, ein grundlegendes Verständnis von Zinsen, Inflation und Risikodiversifikation zu haben. 2018 gab mehr als ein Drittel der Haushalte in der SOEP-IS-Befragung an, nicht regelmäßig sparen zu können. Die Wahrscheinlichkeit, regelmäßig fünf Prozent des monatlichen Einkommens zu sparen, war für diejenigen mit einer höheren finanziellen Bildung fast doppelt so hoch. Dies zeigt zunächst einmal, dass finanziell Gebildete besser auf Krisen vorbereitet waren. Finanzielle Bildung heißt aber auch, das Wissen und die Möglichkeiten zu haben, Schulden effizient zu managen. Es heißt auch zu lernen, sich im Fall der Fälle Hilfe zu holen. Menschen mit mehr Finanzwissen nutzen eher professionellen Rat.
Wissen hilft gegen Überschuldung - auf jedem Einkommensniveau
Finanzwissen hilft erwiesenermaßen dabei, sich vor Überschuldung zu schützen und das auf jedem Einkommensniveau. Finanzielle Bildung ist also ein Mittel der Prävention. Hohe finanzielle Bildung macht es wahrscheinlicher, mehr zu sparen, in Aktien zu investieren und dabei diversifizierter anzulegen, also ein geringeres Einzelrisiko einzugehen.
Die finanzielle Bildung ist in Deutschland sehr ungleich verteilt. Besonders Geringverdienende, Menschen mit geringerer Bildung sowie Frauen schneiden bei Umfragen schlechter ab. Dabei haben genau diese Gruppen geringere Rücklagen. Eine Strategie zur finanziellen Bildung ist notwendig, um die finanzielle Resilienz der besonders gefährdeten Gruppen zu verbessern.
Finanzielle Bildung ist aber nicht der einzige und alleinige Weg. Selbstverständlich muss außerdem ein konsequenter Verbraucherschutz bei Kreditverträgen sein. Für diejenigen, die schon in finanziellen Engpässen stecken, sind die Ressourcen zu abstraktem Finanzwissen nicht ausreichend. Für sie sind die gemeinnützigen Beratungsstellen eine wichtige Anlaufstelle. So informiert in Berlin die Schuldner- und Insolvenzberatung über staatliche Hilfen im Kontext der Coronakrise, Möglichkeiten des Zahlungsaufschubs z.B. bei Mietschulden, hilft bei Umschuldung und bietet telefonisch und per E-Mail kostenlose individuelle Beratungen an. Es ist wichtig, diese Schuldner- und Insolvenzberatungen noch bekannter zu machen und ihre ausreichende Finanzierung zu garantieren.
Jana Hamdan ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Weltwirtschaft am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin.
Jana Hamdan