Gemischte Reaktionen auf historische Entscheidung: EZB kauft Staatsanleihen für 60 Milliarden Euro - pro Monat
Die Europäische Zentralbank (EZB) kauft bis September 2016 massenhaft Staatsanleihen der Euro-Länder. Der Dax springt auf einen neuen Rekordwert - der Euro stürzt ab.
Die Europäische Zentralbank (EZB) wird ab März bis Ende September 2016 monatlich für 60 Milliarden Euro Staatsanleihen und andere Wertpapiere aus den Euro-Länder aufkaufen. Das sagte EZB-Chef Mario Draghi
am Donnerstag in Frankfurt. Die Europäische Zentralbank (EZB) stemmt sich damit mit weiteren Sondermaßnahmen gegen einen drohenden Preisverfall im Euroraum. 80 Prozent der Ausfallrisiken sollen bei den nationalen Notenbanken bleiben, zwanzig Prozent auf alle Euroländer verteilt werden. Zugleich beschloss der EZB-Rat bei seiner Sitzung in Frankfurt wie erwartet, den Leitzins im Euroraum auf dem Rekordtief von 0,05 Prozent zu belassen. “Die Inflationsdynamik ist anhaltend schwächer als erwartet“, begründete Draghi die Maßnahmen. Sie sollen solange fortgeführt werden, bis die Teuerung in der Euro-Zone wieder nach dem Geschmack der EZB ist. Damit hält sich Draghi eine Hintertür offen, womöglich noch mehr zu kaufen, falls erforderlich. Die Währungshüter streben eine Inflationsrate von mittelfristig knapp zwei Prozent an. Davon sind sie derzeit aber meilenweit entfernt.
Mit dem Anleihenkaufprogramm - im Fachjargon quantitative Lockerung oder „QE“ genannt - druckt die Notenbank frisches Zentralbankgeld, um damit Wertpapiere zu kaufen, vor allem Staatsanleihen. Das frische Geld kommt im Idealfall über die Banken, denen Anleihen abgekauft würden, in Form von Krediten bei Unternehmen und Verbrauchern an und hilft der Konjunktur auf die Sprünge. Zieht das Wirtschaftswachstum an, würde das auch die zuletzt extrem niedrige Inflation wieder anheizen. Damit würden Sorgen vor einem gefährlichen Preisverfall auf breiter Front - also einer Deflation - vorerst beendet.
Volkswirte streiten über die Wirkungen von Anleihekäufen
Die Wirkung von Anleihenkäufen ist aber unter Volkswirten und Notenbankern umstritten, etwa weil die Zinsen bereits extrem niedrig sind und weitere Sondermaßnahmen daher nur sehr begrenzt wirken dürften. Zudem wird befürchtet, dass die EZB den Reformeifer in Krisenländern bremst, wenn sie den Staaten in großem Stil Schuldscheine abkauft. Draghi kassierte für seinen Schritt am Donnerstagnachmittag daher sowohl Kritik als auch Lob.
Politiker aus dem Lager der europäischen Sozialdemokraten reagierten positiv auf die Entscheidung der EZB. „Diese Maßnahme führt zu weiterer Stabilität, Vertrauensbildung und Ruhe in der Euro-Zone - was wir dringend brauchen, um wieder Wachstum zu schaffen“, sagte EU-Parlamentschef Martin Schulz dem Tagesspiegel. Er sei sich darüber im Klaren, „dass die Fachwelt, oder diejenigen, die sich dazu zählen, diese Entscheidung durchaus unterschiedlich beurteilt“. Indes sei die Reaktion der Märkte „durchaus positiv, und nicht nur das stimmt mich optimistisch“, sagte der SPD-Politiker weiter.
Auch Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, der im Großherzogtum der sozialdemokratischen Regierungspartei LSAP angehört, begrüßte die Ankündigung von EZB-Chef Mario Draghi. „Ich habe absolutes Vertrauen, dass die EZB die richtigen Entscheidungen für die Geldpolitik und die Geldwertstabilität trifft“, sagte Asselborn dem Tagesspiegel. „Alles, was dazu dient, die Wirtschaft anzukurbeln und die Rezession zu bekämpfen, ist zu begrüßen“, sagte Asselborn weiter. In vielen Ländern im Süden der Euro-Zone müsse die Arbeitslosigkeit bekämpft werden, fügte er hinzu. Mit ihrer Entscheidung verhalte sich die EZB letztlich nicht anders als die US-Notenbank Federal Reserve oder die britische Zentralbank, so Asselborn. Zudem habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) bestätigt, dass die Option der Anleihekäufe unter bestimmten Bedingungen im Mandat der Europäischen Zentralbank enthalten sei.
Verbände, Banken und Versicherungen üben scharfe Kritik
Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, kritisierte dagegen die Entscheidung. "Die EZB ist zum Gefangenen der eigenen Ankündigungen geworden. Sie hat ohne Not nun ihren letzten Trumpf ausgespielt. Dabei überwiegen eindeutig die Risiken: Die Wirkung des Ankaufs von Staatsanleihen auf die Preisentwicklung in der Euro-Zone ist unsicher. Zugleich schwächt er den Druck zu dringend notwendigen Reformen in den Mitgliedstaaten."
Geldhäuser und Versicherungen übten scharfe Kritik. “Der Schritt der EZB ist eine Zumutung“, sagte Alexander Erdland, Präsident des Versicherungsverbands GDV. Es sei ungewiss, ob das Programm wie von der EZB erhofft zu mehr Investitionen und steigenden Preisen führe. “Sicher ist hingegen, dass weiterer Schaden für die Sparkultur in Deutschland angerichtet wird“, erklärte Erdland. “Denn das Ankaufprogramm verstärkt den Druck auf festverzinsliche Wertpapiere, die eine Säule der privaten Altersvorsorge sind.“ Die großen deutschen Bankenverbände halten das EZB-Vorgehen für übertrieben. “Ich kann auf breiter Front keine wirklichen Deflationsgefahren erkennen, die es zu bekämpfen gilt“, sagte Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon. Durch den Aufkauf von Staatsanleihen setze sich die Notenbank zudem immer mehr der Gefahr aus, neben der Geldpolitik auch Fiskalpoltik zu betreiben. “Damit setzt sie ihre Unabhängigkeit aufs Spiel.“ Fahrenschon fürchtet wie andere Politiker und Banker in Deutschland, dass durch das Vorgehen der EZB der Druck auf schwächelnde südeuropäische Länder sinkt, ihre Wettbewerbsfähigkeit durch Reformen zu stärken.
Bankenverband sieht Gefahr von Spekulationsblasen
Statt in Staatsanleihen könnten Investoren die steigende Liquidität künftig in riskantere Anlageformen stecken, fürchtet Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Privatbankenverbandes BdB. “Dann steigt spürbar die Gefahr von Vermögenspreisblasen, von falschen Risikobewertungen und fehlgelenkten Investitionen.“ Auch das Risiko von Währungsturbulenzen und Abwertungswettläufen nehme zu, was erfahrungsgemäß zu weniger Investitionen führe. “Mit dieser aktionistischen Politik trägt die EZB zur Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger bei“, sagte Uwe Fröhlich, der Präsident des Genossenschaftsverbands BVR. Die Notenbank müsse sich nun in ruhigeres Fahrwasser bewegen und auf weitere Liquiditätsspritzen verzichten. “Der Euroraum braucht eine geldpolitische Pause.“ Zudem forderte Fröhlich die EZB auf, die negativen Zinsen abzuschaffen, die Banken derzeit auf Einlagen bei der Notenbank bezahlen müssen. “Ein Ende des geldpolitischen Experiments mit negativen Zinssätzen wäre für die Sparer in Europa ein positives Signal, das deren Verunsicherung entgegenwirken würde.“
IWF lobt Anleihenkaufprogramm
Der Internationale Währungsfonds (IWF) lobte das Milliardenprogramm der EZB. Das Programm werde helfen, „die Kreditkosten in der Eurozone zu senken, die Inflationserwartung zu erhöhen und das Risiko einer in die Länge gezogenen Phase niedriger Inflation zu reduzieren“, sagte die IWF-Chefin Christine Lagarde am Donnerstag laut einer in Washington verbreiteten Mitteilung. Allerdings müsse die lockere Geldpolitik auch durch wirtschaftspolitische Entscheidungen unterstützt werden, mahnte Lagarde. Dazu gehörten Strukturreformen und die Ankurbelung der Nachfrage.
Mit Blick auf die bevorstehende Parlamentswahl in Griechenland erklärte derweil ein IWF-Sprecher, unabhängig vom Ausgang der Wahl sei ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone nicht denkbar. In den Umfragen vor der Wahl führt derzeit das Linksbündnis Syriza, das den Sparkurs im Land beenden will.
mit dpa und Reuters
Die Rede von EZB-Chef Mario Draghi im (englischen) Wortlaut gibt es hier.