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China finanziert zahlreiche Bauvorhaben in Osteuropa.
© REUTERS

Brüssels-Handelsrouten gen Osten: EU und China konkurrieren um Partnerschaften in Osteuropa und Zentralasien

Brüssel plant, sein Infrastrukturnetzwerk TEN-T auszubauen. Ähnlich wie China mit der neuen Seidenstraße - doch Peking war häufig schneller.

Das Wort „China“ nahm niemand in den Mund, als die Mitglieder des EU-Verkehrsausschusses über den Initiativbericht sprachen. Und doch schwebt das Reich der Mitte mit seinem gewaltigen Seidenstraßenprojekt wie eine Gewitterwolke über dem Dossier, das eine bessere Anbindung der europäischen Infrastruktur an Asien zum Ziel hat.

Erarbeitet wird der Bericht federführend vom Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten. Diese Woche beschäftigt er aber auch die Abgeordneten im Verkehrsausschuss, bis zu diesem Mittwoch werden dort letzte Änderungsvorschläge erarbeitet. Im Frühjahr, wenn Corona der Sache keinen Strich durch die Rechnung macht, wird das Plenum über den Initiativbericht zu Asien abstimmen.

Engere Kooperation mit Mittel- und Ostasien

Hauptanliegen ist eine engere Anbindung der europäischen Infrastruktur an Mittel- und Ostasien. Dazu gehören neben engerer Kooperation in Sachen Digitalisierung und Energiepolitik vor allem eine Abstimmung von TEN-T; dem Netz der europäischen Transportkorridore, an die chinesische Seidenstraße.

Bis 2030 soll das Kernnetz von TEN-T fertig gestellt werden, bislang zählen rund 25.000 Kilometer Trassen und 23.000 Kilometer an Straßen dazu. Allein dafür plant die EU, bis Ende des Jahrzehnts ein Paket von rund 1,5 Billionen Euro zu schnüren.

Derzeit wird das Ausbauprogramm überarbeitet. Vor Jahresende möchte die EU-Kommission eine vollständige Bewertung über den derzeitigen Baufortschritt veröffentlichen, im zweiten Quartal 2021 soll ein Aktionsplan für TEN-T folgen.

Kein Äquivalent zur Seidenstraße

Die Erweiterung der Transportkorridore nach Asien sei kein Versuch der EU, ein Äquivalent zur Seidenstraße aufzubauen, versichert der zuständige Berichterstatter Reinhard Bütikofer (Bündnis 90/ Die Grünen) gegenüber Tagesspiegel Background. „Uns geht es darum, Alternativen anzubieten. Ökologische, ethische und wirtschaftliche.“

Besonders in Zentralasien – Kasachstan, Kirgisische Republik, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan – gebe es „Entwicklungsbedürfnisse, die zu lange ignoriert worden sind“. Das gilt zweifelsfrei auch für die EU, die in vielen dieser Länder zwar noch immer Hauptinvestor, aber nicht primärer Handelspartner ist.

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Dabei stammten 2016 rund 45 Prozent der EU-Importe aus asiatischen Ländern. 70 Prozent der Güter kommen per Schiff nach Europa, ein Viertel per Luftfracht. Mit der Konkurrenz durch die neue Seidenstraße gerät die EU unter Handlungsdruck, diesen Markt zu sichern.

Kritik an der EU-Strategie

Dennoch gibt es bislang „kein umfassendes strategisches Konzept“ dazu, kritisiert Jacopo Maria Pepe, Experte für Konnektivitätspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik in einem Beitrag des Berlin Center for Caspian Region and Eurasian Studies.

Die 2018 von der EU-Kommission entworfene Konnektivitäts-Strategie, die eben eine Anknüpfung der europäischen Transportkorridore an die Seidenstraße schaffen sollte, sei „ein technisches Dokument ohne politische Komponente und ohne klare Vorstellung davon, wie die EU mit der One-Belt-One-Road-Initiative und der Eurasischen Wirtschaftsunion zusammenarbeiten“.

Brüssels Blick galt eher dem Westbalkan

Neu ist die Idee, das TEN-T-Netzwerk Richtung Asien auszuweiten, keineswegs. Vergangene Projekte, wie der 1993 geplante Verkehrskorridor Europa-Kaukasus-Asien (TRACECA), sind allerdings nie fertig gestellt worden. In den vergangenen Jahren galt der Blick Brüssels daher dem näher gelegenen Westbalkan.

Im Rahmen ihrer östlichen Partnerschaft investierte die EU bislang 35 Millionen Euro in die noch nicht fertiggestellte Schnellbahnstrecke Budapest – Novi Sad – Belgrad, die letztendlich Salzburg mit der griechischen Hafenstadt Thessaloniki verbinden soll. Auch die Schieneninfrastruktur wird bis weit über den Westbalkan geplant, dazu einigte sich Brüssel jüngst über neue Anschlussverbindungen mit Armenien, Azerbaijan, Belarus, Georgien, Moldova und der Ukraine.

Es geht auch um geopolitischen Einfluss

Zahlreiche Luftverkehrsabkommen sind parallel in Planung, seit vergangenem Jahr existiert bereits eines zwischen der EU und China, in wenigen Monaten könnte ein weiteres mit den ASEAN-Staaten fertig verhandelt werden, das den weltweit größten Luftverkehrsmarkt für über eine Milliarde Menschen schaffen könnte. Dazu soll ein EU-unterstütztes Zoll-Transitsystem im asiatischen Wirtschaftsraum geschaffen werden.

Dass es dabei auch um geopolitischen Einfluss geht, daraus machte der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, auf einem Treffen der zuständigen Minister der EU und der ASEAN-Staaten im September keinen Hehl: Die EU dürfe nicht zulassen, dass ihre Handelsbeziehungen „von anderen untergraben werden“ – das Wort China fiel auch hier nicht.

„Keiner von uns – weder die ASEAN noch die EU – ist bereit, Teil eines ,Einflussbereichs’ zu werden.“ Der Fokus seines Berichts über die europäisch-asiatische Anbindung solle vor allem eins anbieten: Ein alternatives Kooperationsmodell für die zentralasiatischen Staaten, erklärt Bütikofer.

Florence Schulz

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