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Im September 2017 stellten Siemens-Vorstandschef Joe Kaeser (li.) und sein Alstom-Kollege Henri Poupart-Lafarge in Paris die geplante Fusion vor. Beide Unternehmen müssen sich nun Alternativen suchen. Bei Siemens ist ein Börsengang der Schienenfahrzeugsparte möglich oder vielleicht doch noch eine Kooperation mit Bombardier.
© dpa

Alstom und Siemens: EU-Kommission pfeift deutsch-französische Fusion zurück

Die Zugsparten von Siemens und Alstom dürfen nicht zusammengelegt werden. Die Politik bedauert die Entscheidung, Bombardier ist erfreut.

In Berlin fielen die Reaktionen unterschiedlich aus: Die Bundesregierung bedauerte die Entscheidung der EU-Kommission gegen die Fusion der Schienenfahrzeugsparten von Siemens und Alstom. In der Zentrale von Bombardier Transportation dagegen war man erfreut. Das Verbot des Zusammenschlusses der beiden Wettbewerber sei gut für Bahnfahrer und Steuerzahler, denn beide Gruppen „hätten den Preis für die Fusion gezahlt", meinte das Bombardier-Management.

Die Genugtuung des kanadischen Konzerns, dessen Schienenverkehrsbereich von Berlin aus gesteuert wird, ist verständlich. Denn bevor im Spätsommer 2017 Siemens und Alstom ihre Pläne vorstellten, hatten Siemens und Bombardier über eine Zusammenarbeit verhandelt. Auf höchster politischer Ebene - Emmanuel Macron und Angela Merkel - war dann jedoch das deutsch-französische Fusionsprojekt eingefädelt worden. Zum Ärger der Kanadier – und der Kartellbehörden, die sich nun bestätigt sehen. Die Politik ist düpiert. Berlin nehme die Entscheidung mit Bedauern zur Kenntnis, sagte Merkels Sprecher Steffen Seibert. Eine global wettbewerbsfähige Bahnindustrie bleibe ein wichtiges industriepolitisches Anliegen für Deutschland und Europa. Die Regierung werde sich nun dafür einsetzen, das Kartellrecht mit Blick auf Globalisierung und Digitalisierung zu modernisieren.

Die Minister intervenierten vergeblich

Vor zwei Wochen noch hatten sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und der französische Finanzminister Bruno Le Maire für die Fusion eingesetzt und dabei auch auf die Zugeständnisse verwiesen, mit denen die beiden Konzerne der EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager entgegengekommen seien. Auch die Konzerne führten am Mittwoch in ihrer Stellungnahme zum Fusionverbot ihre Zugeständnisse ins Feld. „Das Zusagenpaket war weitreichend und hat alle von der EU-Kommission geäußerten Bedenken in Bezug auf Signaltechnik und Hochgeschwindigkeitszüge (über 250km/h) berücksichtigt“, teilten Siemens und Alstom mit. „Eine Reihe renommierter und etablierter europäischer Akteure“ habe Interesse an dem Zusagenpaket gezeigt und somit „seine Durchführbarkeit bestätigt“. Die Fusion hätte „erheblichen Mehrwert“ für die europäische Bahnindustrie, für Kunden, Reisende und Pendler gebracht, „ohne den europäischen Wettbewerb zu beeinträchtigen“.

Zudem wäre ein Konzern geschaffen worden, „der dem zunehmenden Wettbewerb durch Konkurrenz von außereuropäischen Unternehmen gewachsen gewesen wäre“. Gemeint ist der staatliche chinesische Schienenkonzern CRRC, der vor einigen Jahren im Zuge einer Fusion zum mit Abstand weltweit größten Zughersteller geworden war.

Die Zusagen reichten der EU nicht

Das Verbot der Fusion Alstom-Siemens wegen Verstößen gegen die Wettbewerbsordnung der EU war erwartet worden. Die zuständige Kommissarin Margrethe Vestager machte am Mittwoch deutlich, dass der Zusammenschluss den Markt im Bereich von Hochgeschwindigkeitszügen und der Signaltechnik gravierend verändert hätte: „Siemens und Alstom sind beide Schwergewichte bei der Zugtechnologie. Ein Zusammenschluss hätte zu höheren Preisen bei der Signaltechnik, die für die Sicherheit von Passagieren sorgt auch bei der nächsten Generation von Hochgeschwindigkeitszügen, geführt.“ Die Kommissarin machte die Konzerne, die zusammen einen Umsatz von rund 15 Milliarden Euro im Jahr machen und 65 000 Mitarbeiter haben, für die gescheiterte Fusion verantwortlich: „Die beiden Unternehmen waren nicht bereit, die Maßnahmen vorzuschlagen, die die Bedenken zerstreut hätten.“

Die Kommission hatte Siemens und Alstom aufgefordert, sich von substantiellen Teilen ihrer Geschäfte zu trennen, so dass eine marktbeherrschende Stellung ausgeschlossen wird. Die Kommission habe seit Juli eine intensive Analyse vorgenommen, 800 000 Dokumente studiert und mit Wettbewerbern und Gewerkschaften gesprochen. Eine Fusion hätte nicht zuletzt den Steuerzahlern geschadet: „Der Staat bezahlt in vielen Ländern die Schieneninfrastruktur, das Pendeln wäre teurer geworden." Siemens und Alstom seien jeweils für sich wichtige Spieler auf dem Weltmarkt: „Sie gewinnen ihre Ausschreibungen, sie sind präsent, sie können konkurrieren.“ Kurzum: Eine Fusion sei nicht erforderlich für die internationale Wettbewerbsfähigkeit, sondern schränke vielmehr den Wettbewerb, zumindest in der EU, ein.

Angst vor den Chinesen

Der chinesische Staatskonzern CRRC macht doppelt so viel Umsatz wie Siemens und Alstom zusammen und könnte demnächst auch in Europa auftreten und den Platzhirschen Siemens und Alstom zusetzen. Vestager widerspricht dieser Argumentation: „Das Geschäft von CRRC beschränkt sich zu 90 Prozent auf China.“ Der Staatskonzern habe bisher nur einige U-Bahnen in den USA verkauft, sei auf dem Gebiet der Signaltechnik gar nicht in der EU unterwegs und habe bislang nicht einen einzigen Hochgeschwindigkeitszug außerhalb Chinas verkauft, sagt Vestager.

Dessen ungeachtet will Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) nun zusammen mit Frankreich eine Initiative zur Änderung des EU-Wettbewerbsrechts und der Fusionsregeln starten: „Es ist wichtig, dass Europa sich so aufstellt, dass wir unsere Interessen mit Aussicht auf Erfolg in einem marktwirtschaftlichen Wettbewerb in anderen Ländern weltweit vertreten können“, sagte der deutsche Minister am Mittwoch. Vestager hält dagegen: „Der Fall Siemens/Alstom liefert nicht den Beweis, dass wir die Wettbewerbsregeln in der EU ändern müssen."

IG Metall kritisiert die EU scharf

Die IG Metall, die die Fusion befürwortet und nach eigenen Angaben „umfangreiche Zusagen für die Beschäftigen“ von Siemens und Alstom erhalten hatte, kritisierte Brüssel. „Die EU muss ihre marktliberale Ideologie gepaart mit Binnenzentrierung überwinden und registrieren, dass Globalisierung und Geopolitik auch die Bedingungen für Beschäftigung und Unternehmen in Europa verändern“, sagte Jürgen Kerner, Hauptkassierer der Gewerkschaft und Aufsichtsratsmitglied von Siemens. Die Gewerkschaft ist seit Jahren in Sorge um die Arbeitsplätze an den deutschen Standorten. Hierzulande arbeiten in der Schienenindustrie gut 52 000 Personen, die meisten bei Siemens und Bombardier, aber auch Stadler ist zu einer Branchengröße geworden und Alstom produziert unter anderem in Salzgitter. Das Zuggeschäft von Bombardier wird von Berlin aus gesteuert, in Pankow baut Stadler Züge und Siemens ist stark mit der Signaltechnik in der Hauptstadt vertreten. „Die Frage ist, ob wir von Wettbewerbern überrollt werden oder in Europa ein Gegengewicht aufbauen“, hatte der Verband der Schienenindustrie für die Fusion geworben. Vergeblich.

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