Kultursenator Klaus Lederer: „Es ist absurd, welche geringe Rolle das Digitale in der Kultur spielt“
Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) über teure Onlinetickets, den neuen Innovationsfonds und den Nachholbedarf von Theatern oder Museen bei der Digitalisierung.
Herr Lederer, wie digital ist die Berliner Kultur?
Durch die schlechte Finanzlage der Stadt gab es einen jahrelangen Investitionsstau, auch personell. Und wenn Institutionen nur Mangel verwalten, sind auch die Möglichkeiten Neues zu implementieren extrem beschränkt. Aber inzwischen gibt es eine große Lust, neue Impulse aufzunehmen. Schauen Sie sich die Berlinische Galerie an oder das Stadtmuseum. Wir brauchen Beispiele. Denn eigentlich haben wir ein sehr gutes Umfeld. Es passiert gerade viel, aber die digitale Affinität ist noch nicht in allen Kultureinrichtungen gleichermaßen ausgeprägt. Es gibt immer wieder Leuchtturmprojekte, aber zu wenig Kontinuität.
Wo tut sich besonders viel?Wo tut sich besonders viel?
Wir haben zum Beispiel mit „Parallelwelten“ von Kay Voges am Berliner Ensemble eine Premiere erlebt, bei der an zwei Bühnen, die sich viele Kilometer voneinander entfernt in Dortmund und Berlin befinden, gleichzeitig eine Theateraufführung gestaltet wurde. Wir haben einen Lehrstuhl für digitale Theaterarbeit an der Hochschule Ernst Busch oder die Digital Concert Hall bei den Philharmonikern, die für eine globale Zugänglichkeit sorgt und darüber hinaus ein Archiv des Kulturerbes schafft.
Wie unterstützt der Senat solche Entwicklungen?
Es gibt zum Beispiel Digis, ein gemeinsames Projekt mit dem Zuse-Institut, das Kulturgüter wie Museums- und Galeriebestände digitalisiert. Oder den Coding-da-Vinci-Hackathon, der nun in den nächsten vier Jahren von der Bundeskulturstiftung finanziert wird. Es muss aber noch viel mehr passieren, denn digitale Arbeitsweisen sind im Kulturbereich längst keine Selbstverständlichkeit. Von der Kunstproduktion bis zur Zugänglichmachung gibt es viel Potenzial. Wer virtuell nicht präsent ist, läuft Gefahr, auch real bald nicht mehr wahrgenommen zu werden. Denn es reicht nicht zu sagen, wir müssen auf Facebook ein paar Fotos von unseren Aufführungen veröffentlichen und einen Praktikanten suchen, der das machen kann.
Und der neue Innovationsfonds, den Sie gerade aufsetzen soll das ändern?
Das ist nicht der Topf, mit dem wir den digitalen Nachholbedarf des Kulturbereichs lösen können, sondern eher ein Experimentierfonds. Wir wollen damit Lücken zwischen der Digitalisierung von Kulturgütern und Investitionen in die digitale Infrastruktur schließen, kooperative Formen des Umgangs ausprobieren, Netzwerke schaffen und stärken und letztendlich auch unsere Förderinstrumente entsprechend anpassen. Der Innovationsfonds ist ein Pilotprojekt und der Erarbeitungsprozess der Richtlinien und Förderinstrumente ist uns wichtig. Wir wollen die Lust an der Digitalen Affinität wecken, das Wissen verbreitern. Und endlich gibt es dafür ein Instrument.
Wieviel Geld steht zur Verfügung?
Wir haben in diesem Jahr mit einer Viertelmillion Euro angefangen, im nächsten Jahr steht eine halbe Million Euro zur Verfügung. Damit kann man natürlich keine Bäume ausreißen, doch wir haben jetzt gemeinsam mit der Technologiestiftung Berlin und vielen Interessierten in einem offenen Prozess angefangen, zu identifizieren, wo es Leerstellen gibt und wie genau die Förderkriterien und Richtlinien aussehen sollen. Wenn der Bedarf feststeht, wird es künftig hoffentlich auch mehr Mittel geben.
In welche Richtung sollen mögliche Projekte denn gehen?
Es geht darum, die Lust am Digitalen zu wecken und Prozesse in Gang zu setzen, die Wissen und Kultur vervielfältigen. Das kann verschiedenste Formen haben und kann von digitalen Plattformen und Apps, über die Wissensvermittlung zum Umgang mit Digitaltechniken bis hin zur Beförderung von Kooperationsbeziehungen reichen.
Geht es konkreter?
Mich fragen oft Musiker, ob ich nicht Räume kenne, wo sie proben können. Ich selbst habe da aber gar keinen kompletten Überblick. Es wäre doch charmant, wenn es eine App oder Plattform gäbe, die es vielen ermöglicht, auf Ressourcen die wir haben, auch zuzugreifen. Es gibt auch oft Diskussionen um Tickets. Es ist ja abenteuerlich, dass ich noch Gebühren dafür bezahlen muss, dass ich mir eine online bezahlte Konzertkarte selbst ausdrucke. Und es gibt genug Berliner Institutionen, um von einem gemeinsamen Alternativsystem zu profitieren.
Aber die Ideen sollen ja nicht von uns kommen, möglicherweise sehen wir dann ganz andere Projekte und Ideen, die wir uns jetzt noch gar nicht vorstellen können.
Wie kann die Digitalisierung die Kunst sonst generell bereichern?
Das Digitale ist im Alltag so präsent, dass es eigentlich absurd ist, welch geringe Rolle diese Instrumente im Kulturbereich spielen. Dabei wird selbst der analoge Kultursektor davon am Ende profitieren. Bestes Beispiel sind Streamingdienste, die dazu führen, dass wieder mehr Menschen in Konzerte gehen. Ich trete auch der Befürchtung entgegen, dass das Digitale das Analoge perspektivisch ersetzen könnte und bin überzeugt, dass durch die Nutzung digitaler Instrumente auch die Neugier „aufs Analoge“ gesteigert werden kann.
Welche Aufgaben sehen Sie für die großen Kultureinrichtungen?
Von den großen Institutionen erwarte ich, dass das Digitale Teil ihrer DNA wird. Damit Zugangshürden für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen senken, aber auch Menschen die aus anderen Gründen nicht die Möglichkeit oder auch kein Interesse haben, die vorhandenen Kulturangebote wahrzunehmen, eben dafür zu gewinnen. Mein Ziel ist es generell, dass Kunst nicht etwas für einen kleinen Kreis an Leuten ist, um ihr Distinktionsbedürfnis zu befriedigen, sondern es sollte ein Grundnahrungsmittel für die ganze Breite der Bevölkerung sein.
Die Kommunikation auch im Kulturbereich wird sich komplett verändern. Wenn Kulturangebote für nachfolgende Generationen nicht mehr attraktiv und zeitgemäß sind, werden sie unter erheblichen Legimitationsdruck geraten. Es ist, und das wird zunehmend erkannt, ein Eigeninteresse des Kultursektors, hier den Anschluss zu gewinnen.
Oliver Voß