House of Wirecards: Erst Bilanzfälschung als Vorwurf, jetzt noch Marihuana-Deals und Geheimdienstkontakte
Der mutmaßliche Drahtzieher ist weiter auf der Flucht, täglich kommen neue Verdachtsmomente hinzu. Ein – bestimmt noch nicht abschließender – Überblick.
Der Wirtschaftskrimi um Wirecard bekommt beinahe täglich neue Kapitel. Ging man anfangs sogar noch davon aus, dass die in der Bilanz fehlenden 1,9 Milliarden Euro tatsächlich auf irgendwelchen Konten in Asien liegen, ist inzwischen von diversen strafrechtlich relevanten Vorgängen die Rede. Die Behörden ermitteln, doch der vermeintliche Kopf hinter dem Kartenhaus Wirecard ist noch immer auf der Flucht. Betrug, Bilanzfälschung, Untreue, Marktmanipulation und Steuerhinterziehung?
Seinen Anfang nahm der Bilanzskandal, als die Wirtschaftsprüfer von EY die Jahresbilanz für 2019 nicht testieren wollten. Es fehlten 1,9 Milliarden in der Gesamtrechnung, von denen der Dax-Konzern einige Tage später eingestehen musste, dass sie "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit" nicht existieren. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Betrugsverdacht. Auch der Vorwurf der Bilanzfälschung sowie der bewussten Weitergabe falscher Informationen steht im Raum.
Doch auch wegen Steuerhinterziehung könnte Wirecard möglicherweise belangt werden. So berichten mehrere Medien, dass hohe Summen aus dem Konzern in Steueroasen umgeleitet wurden. Aus Ermittlerkreisen heißt es, über fragwürdige Berater- und Kreditverträge seien aus dem Konzern hohe Millionensummen abgezweigt worden. Der Vorstand habe etwaige Sorgen kleingeredet.
Seit dieser Woche ermitteln deutsche Staatsanwälte allerdings noch umfassender als bisher bekannt. Neben Betrug, Untreue, Bilanzfälschung und Marktmanipulation steht für die Strafverfolger in München als weiterer Verdacht auch Geldwäsche im Raum.
"Wir ermitteln wegen Geldwäscheverdachts gegen Verantwortliche des Unternehmens und gegen Unbekannt", sagte eine Sprecherin am Donnerstag. Die Behörde gehe entsprechenden Anzeigen aus dem laufenden und aus dem vergangenen Jahr nach. Eine Wirecard-Sprecherin lehnte eine Stellungnahme ab.
Schon 2010 und 2015 nahmen die Münchener Strafverfolger Wirecard wegen Geldwäscheverdachts ins Visier. Ein umfangreiches Ermittlungsverfahren sei 2012 nach zwei Jahren mangels Tatverdachts aber eingestellt worden, sagte eine Sprecherin. In einem weiteren Verfahren durchsuchten die Münchener Ermittler im Jahr 2015 im Auftrag der USA Büros von Wirecard. Was aus diesem Verfahren wurde, ist nicht bekannt.
Betrug bei Marihuana-Handel
Doch nicht nur in Deutschland wird gegen Wirecard ermittelt. Auch in den USA, in Singapur und auf den Philippinen stoßen die Praktiken des Unternehmens aus Aschheim auf Skepsis. So war Mittwoch bekannt geworden, dass US-Behörden einer möglichen Verwicklung Wirecards in einen 100 Millionen Dollar schweren Bankbetrug bei Handel mit Marihuana nachgehen.
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Demnach sollen zwei Geschäftsleute zusammen mit Zahlungsabwicklern US-Banken über die Herkunft der Gelder getäuscht haben. Nach einem Bericht der "Irish Times" wurden auf Wunsch der Münchener Staatsanwaltschaft auch Büros der Firma in Dublin durchsucht.
Über den flüchtigen Vorstand Jan Marsalek kommen ebenfalls immer neue Informationen ans Licht. So verfügte der 40-Jährige, gegen den ein Haftbefehl vorliegt, laut der "Financial Times" mehrfach über Geheimdienstinformationen. Demnach nutzte Marsalek die Dokumente, um bei seinen Gesprächspartnern zu prahlen - darunter soll auch die geheime Formel von Nowitschok gewesen sein, dem Nervengift, das bei dem Mordversuch an dem russischen Ex-Agenten Sergej Skripal eingesetzt wurde.
Geheimdienst-Kontakte und FPÖ-Informant
Doch das Prahlen allein hat ihm wohl nicht gereicht. Viel soll er die Informationen aus dem österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) sowie dem Innenministerium an die rechtspopulistische FPÖ weitergegeben haben. Laut der österreichischen Zeitung "Die Presse" gibt es SMS-Protokolle zwischen dem früheren FPÖ-Politiker Johann Gudenus und dessen Vertrauten Florian S., in denen Marsalek erwähnt wird.
Die guten Kontakte zum österreichischen Geheimdienst sollen Wirecard auch bei anderen Problemen geholfen haben. So berichten Medien, die Verfassungsschützer hätten dem Unternehmen bei einem "Problem in Dubai" geholfen haben. In diesem Fall habe ein Notar Wirecard rund 150 Millionen Dollar geschuldet, Marsalek sei für die Lösung des Problems zuständig gewesen.
Marsalek soll zudem eine Vorliebe für ausschweifende Partys haben. Gerne lud er offenbar ins Münchener Luxushotel "Mandarin Oriental" ein und servierte Sushi auf nackten Frauenkörpern. Was grundsätzlich eher eine Frage des guten Geschmacks als des Strafrechts ist, hat im Falle von Wirecard aber doch eine relevante Komponente: Denn die Rechnung bezahlte der Manager eben des Konzerns, der das digitale Bezahlen weltweit durchsetzen wollte, dem Vernehmen nach stets in bar.
Thorsten Mumme