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Der VW-Prozess wirft seine Schatten voraus. In ein bis zwei Monaten könnte es losgehen.
© imago/Christian Ohde
Update

VW-Abgasskandal und Schadenersatz: Ermittler weiten Kreis der Verdächtigen aus

Betrug und unlauterer Wettbewerb - das zumindest ist der Verdacht gegen die Beschuldigten im VW-Abgasskandal. Und auch aus einer anderen Richtung droht VW größerer Ärger.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat ihre Ermittlungen zum VW-Abgas-Skandal massiv ausgeweitet. Die Zahl der Beschuldigten habe sich von sechs auf 17 erhöht, sagte Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe am Dienstag in Hannover. Unter den Personen befinde sich aber nach wie vor kein Vorstandsmitglied, betonte Ziehe. Die Beschuldigten stammen demnach „alle aus dem Umfeld des VW-Konzerns im weitesten Sinne“. Es gehe weiterhin um den Verdacht des Betrugs und mögliche Verstöße gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb.

Exakt fünf Monate nach der schlagzeilenträchtigen Razzia bei Volkswagen werde das Bild der Ermittler zu den Hintergründen für die Manipulationen von Diesel-Fahrzeugen immer besser, sagte Ziehe. Nach wie vor laufe die Zeugenbefragung und Auswertung der konfiszierten Akten. In den nächsten Tagen würden auch die neuen Personen auf der Liste der Beschuldigten Nachrichten erhalten und dann auch befragt werden. Am 8. Oktober hatten die Ermittler der Staatsanwaltschaft Braunschweig Gebäude und Büros von Volkswagen in Wolfsburg durchsucht. Dabei hatten sie viele Akten und Computer sichergestellt.

Anlegeranwälte sehen Chance auf Schadenersatz

Die Chancen von VW-Aktionären haben sich unterdessen nach Darstellung von Anwälten verbessert, von dem Autohersteller Schadenersatz für erlittene Kursverluste zu bekommen. Volkswagen hatte in einer Erwiderung auf Klagen von Aktionären angekündigt, ein Musterverfahren vor Gericht anzustreben. Einen entsprechenden Antrag stellte VW beim Oberlandesgericht Braunschweig. Auch Anlegeranwälte haben Musterklagen beantragt.

„Damit ist die Eröffnung eines Verfahrens nur noch eine Frage der Zeit“, sagte Mario Poberzin, Rechtsanwalt in der Berliner Kanzlei Kälberer & Tittel, die eine „dreistellige Zahl“ von VW-Aktionären vertritt. „Das ist ein guter Schritt, der die Chancen geschädigter Anleger verbessert“, sagte Poberzin dem Tagesspiegel. In ein bis zwei Monaten sei mit dem Beginn des Verfahrens zu rechnen.

Auch der Tübinger Anlegeranwalt Andreas Tilp ist optimistisch: „Die Chancen auf einen Prozesserfolg klagender geschädigter VW-Aktionäre haben sich damit deutlich erhöht“, sagte er. Seine Kanzlei hat nach eigenen Angaben hierzulande die erste Aktionärsklage gegen VW eingereicht. Die Anwälte werfen dem Konzern vor, bei der Affäre um manipulierte Dieselfahrzeuge die Finanzwelt zu spät mit einer Pflichtmitteilung informiert zu haben. Nach Bekanntwerden der Dieselaffäre war die VW-Aktie massiv abgestürzt. Am Montag fiel der Kurs zuletzt um 4,5 Prozent.

VW: Vorstände trifft keine Mitschuld

VW sieht die Lage völlig anders. Nach der bisherigen internen Aufklärung gebe es keine Ansatzpunkte für Anlegerklagen. Insbesondere sei die Behauptung falsch, den Vorstand – neben Ex-Chef Martin Winterkorn vor allem den heutigen Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch und VW-Chef Matthias Müller – könne eine Mitschuld treffen. Vielmehr glaubt VW beweisen zu können, dass der gesamte Vorstand erst wenige Wochen vor dem öffentlichen Auffliegen der Affäre von den Software-Manipulationen wusste. Pötsch war früher Finanzvorstand, Müller Porsche-Chef.

Wie Volkswagen in der Erwiderung allerdings schreibt, wurde Winterkorn bereits im Mai 2014 über Auffälligkeiten bei Diesel-Fahrzeugen in den USA in einer Notiz informiert. Unklar ist, ob Winterkorn sie auch las. „Die Frage ist: Durfte er die Notiz nach den Compliance-Regeln des Unternehmens überlesen“, sagte Mario Poberzin. „Wenn ja, müsste man dies VW anlasten.“ Seine Kanzlei vertritt einzelne Privatanleger, die jeweils einen Schaden von bis zu 160.000 Euro geltend machen.

Wie aus der 113 Seiten umfassenden Erwiderung des VW-Konzerns weiter hervorgeht, hielt der Vorstand in der Abgasaffäre Informationen vorübergehend bewusst zurück. Dadurch wollte der Konzern nach Darstellung seiner Anwälte verhindern, dass Verhandlungen mit der US-Umweltbehörde EPA gefährdet werden. „Bei einer öffentlichen Diskussion wären die Möglichkeiten einer geordneten und mit den zuständigen US-Behörden abgestimmten Abarbeitung der Diesel-Thematik in den USA maßgeblich gefährdet worden“, heißt es. In der zweiten April-Hälfte will VW öffentlich über den Stand der internen Ermittlung und Aufklärungsarbeit informieren.

Musterverfahren senken das Prozesskostenrisiko

In einem Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz wird eine von vielen Klagen beispielhaft verhandelt und es werden jene Fragen geklärt, die sich auf alle Kläger gleichermaßen beziehen. Dieser Musterentscheid dient dann als Vorlage für die Entscheidungen unterer Instanzen. Dem Bundesjustizministerium zufolge können einzelne Anleger ihren Schadenersatzanspruch in Musterverfahren besser durchsetzen, weil schwierige Sachverhalte und Rechtsfragen nur einmal und mit Bindungswirkung für alle geschädigten Anleger geklärt werden. Dadurch sinkt auch das Prozesskostenrisiko.

VW-Aufsichtsrat Wolfgang Porsche sprach derweil VW-Chef Matthias Müller das Vertrauen aus: „Ich finde, dass Matthias Müller einen wirklich guten Job macht“, sagte Porsche. „Ich hoffe, er macht den Job noch lange.“ Konzern und Aufsichtsrat sollten nicht von externen Managern geleitet werden, die das Unternehmen nicht kennen. „Man muss die Strukturen in Wolfsburg verstehen, sonst hat man keine Chance.“ Vom neuen Aufsichtsratsvorsitzenden Pötsch erwarte er sich generell eine starke Führung. „Und es hängt jetzt ziemlich viel von ihm ab.“ Die Familien Porsche und Piëch hatten sich im Oktober für den ehemaligen VW-Finanzchef als Aufsichtsratschef stark gemacht. Porsche sprach sich auch für eine neue Gesprächskultur in den Führungsgremien des VW-Konzerns aus. „Wenn wir zum Beispiel feststellen, dass wir in einzelnen Bereichen bei Volkswagen einen Personalüberhang haben, muss man frühzeitig über konstruktive Lösungen nachdenken können“, sagte Porsche am Rande des Genfer Autosalons. „Damit wird vermieden, dass man dann im Fall einer Krise von heute auf morgen Menschen entlassen muss.“ Porsche sagte, in der VW-Führung müsse mehr miteinander und weniger übereinander geredet werden. „Und das ist etwas, was wir im Konzern noch verbessern müssen“, sagte der VW-Aufsichtsrat.

VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh begrüßte den Vorstoß: „Ich teile die Auffassung von Herrn Dr. Porsche voll“, sagte er. Osterloh forderte, dass der Vorstand der Kernmarke VW-Pkw um dessen Chef Herbert Diess in dem Kontrollgremium öfter über die Personalsituation berichten solle, etwa über den Abbau von Leiharbeitsstellen. „Das kommt aktuell zu kurz.“ mit dpa, AFP, rtr

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