Wenn der Flieger nicht abhebt: Entschädigung erst ab zwölf Stunden Verspätung?
Streit ums Geld beim verspäteten Flug: Das deutsche Verbraucherministerium stellt sich gegen die EU-Komission. Es geht um ein paar hundert Millionen Euro.
Berlin - In drei Wochen beginnt die erste große Reisewelle in diesem Jahr. Die Flugzeuge bringen dann Hunderttausende an die Mittelmeerküsten oder zu den Stränden in Übersee. Mit den üblichen Begleiterscheinungen: Verspätungen, Flugausfällen, Wartezeiten und Frust. Noch haben Reisende, die solche Strapazen erdulden müssen, recht gute Karten. Kommt der Flieger mit dreistündiger Verspätung oder mehr an, können sie eine Entschädigung verlangen. Je nach Entfernung muss die Fluggesellschaft 250, 400 oder 600 Euro zahlen, es sei denn, Stürme, Vulkanausbrüche, Streiks oder höhere Gewalt sind an der Unpünktlichkeit schuld. Nur dann kommt die Airline um eine Entschädigung herum.
Die EU-Kommission will das ändern. Auf Druck der Luftfahrtbranche hat Verkehrskommissar Siim Kallas vorgeschlagen, Reisende erst bei Verspätungen ab fünf Stunden zu entschädigen, bei längeren Entfernungen sogar erst nach neun oder zwölf Stunden. Beim Europaparlament ist der Este mit seinem Vorstoß gescheitert. Nun sind die Mitgliedstaaten am Zuge, die Verhandlungen laufen. „Bisher hat die Regierung immer den Kurs der EU-Kommission unterstützt“, sagt Markus Tressel, tourismuspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion. „Jetzt muss sich die Bundesregierung bewegen und für den Erhalt des bestehenden Schutzniveaus kämpfen.“
"Gerechter Ausgleich" für Airlines
Im Bundesjustiz- und Verbraucherschutzministerium fällt der Appell des Grünen auf fruchtbaren Boden. Bei den Beratungen habe man deutlich gemacht, dass Schwellen von fünf oder sogar zwölf Stunden nicht akzeptabel seien. „Wir werden deshalb Gespräche sowohl mit den Fluggesellschaften als auch mit den Verbraucher- und Kundenorganisationen führen“, sagte eine Sprecherin dem Tagesspiegel. „Verbraucherinnen und Verbraucher dürfen am Ende nicht schlechter dastehen als vorher.“ So sehe es auch der Koalitionsvertrag vor: „Das Schutzniveau muss erhalten bleiben“, betont die Sprecherin von Verbraucherschutzminister Heiko Maas (SPD).
Der Koalitionsvertrag gilt auch für das CSU-geführte Verkehrsministerium von Alexander Dobrindt. Bei den Fluggastrechten sind beide Ministerien gefragt. In dieser Woche soll eine gemeinsame Position gefunden werden. „Wir wollen die Fluggastrechte stärken und mehr Rechtssicherheit für die Verbraucher“, beschreibt ein Sprecher die große Linie. Das Ministerium strebe aber einen „gerechten Ausgleich“ zwischen den Fluggesellschaften und den Passagieren an.
70 Prozent aller Passagiere verlieren ihre Entschädigungsansprüche
Von einem „fairen Ausgleich“ spricht auch Klaus-Peter Siegloch, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft. Die Branche unterstützt den Vorschlag der EU-Kommission. Siegloch warnt davor, den Passagieren bei Verspätungen zu schnell Schadenersatz zu gewähren. Dies könne in letzter Konsequenz dazu führen, dass mehr Flüge annulliert werden müssten. „Dann fällt der Flug halt aus“, sagt Siegloch.
Für die Fluggesellschaften geht es um viel Geld. Das zeigen Berechnungen des Internetportals Flightright. Nach der von der EU-Kommission geplanten Neuregelung würden rund 70 Prozent der Reisenden ihre Entschädigungsansprüche verlieren. Allein in Deutschland würden die Fluggesellschaften so 384 Millionen Euro sparen, europaweit wären es sogar 2,5 Milliarden Euro im Jahr, hat das Potsdamer Unternehmen berechnet.
Die meisten kennen ihre Rechte nicht
Dabei kommen die Fluggesellschaften schon heute billiger davon, als sie müssten. Von den rund 200 Millionen Passagieren, die jährlich von deutschen Flughäfen starten oder dort landen, könnten etwa 1,4 Millionen Reisende eine Entschädigung fordern, weil ihr Flug gestrichen worden ist, hat das Internetportal Fairplane – ein Konkurrent von Flightright – ermittelt. Durchschnittlich seien das 380 Euro, unterm Strich kämen so gut 530 Millionen Euro zusammen. Tatsächlich zahlen die Airlines aber nur vier Prozent dieser Summe, kritisiert Fairplane-Geschäftsführer Andreas Sernetz: „Die meisten Flugreisenden kennen ihre Rechte nicht. Davon profitieren die Fluggesellschaften, indem sie versuchen, Passagiere mit Essensgutscheinen oder Bonusmeilen milde zu stimmen.“
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