Klimaschutz: Endspiel 2030
Seit „Dieselgate“ ist die Debatte über den Verbrennungsmotor aktuell – Klimaschutz und Luftqualität verlangen eine Neuerfindung des Autos.
Ein halbes Jahr nach Bekanntwerden des Betrugs bei den Abgaswerten von VW-Dieselautos hat Rainer Baake (Grüne) die Diskussion über die Zukunft des Verbrennungsmotors eröffnet. Der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium sagte auf einer Veranstaltung des Tagesspiegel-Politikmonitorings bei den Berliner Energietagen, dass eine „Dekarbonisierung“ der Wirtschaft nur gelingen könne, wenn ab 2030 keine Diesel- oder Benzinautos mehr zugelassen würden. Der Pariser Klimagipfel war vier Monate her, und die Anforderung, die Weltwirtschaft in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts von ihren Treibhausgasen zu befreien, war noch frisch in Erinnerung.
Baake, Vordenker der deutschen Energiewende, hatte zuvor schon in einem Beitrag für „Die Zeit“ seinen Gedanken ausgeführt: Weil in bestimmten Industrieprozessen und in Teilen der Landwirtschaft die Vermeidung von Kohlendioxid (CO2) nicht vollständig möglich sei, müssten Stromerzeugung und Verkehr bis 2050 ohne Treibhausgase auskommen. In der Sache widerspricht kaum jemand. Aber die Konsequenz, dass das Ende des Verbrennungsmotors damit in Reichweite liegt, haben damals noch nicht alle erfasst.
Der klimapolitische Druck auf das Auto wird zunehmen
Als der Bundesrat Anfang Oktober in einer Stellungnahme zur Mobilitätsstrategie für die Europäische Union zum gleichen Schluss kam und ein Verbot für die Neuzulassung von Verbrennungsmotoren ab 2030 vorschlug, lief die Debatte ganz anders. Da hatten Autoindustrie, Zulieferer und Lobbyisten in Parteien und Gewerkschaften begriffen, dass das nicht weniger als eine Neuerfindung des Automobils bedeuten würde – einschließlich eines vollständigen Wandels der Zulieferindustrie mit Zehntausenden Arbeitsplätzen.
Der Aufschrei war gewaltig. Unverdrossene Verfechter der Diesel-Technik, wie der Maschinenbau-Professor Thomas Koch, der das Institut für Kolbenmaschinen am Karlsruher KIT leitet, finden ohnehin, die Aufregung über „Dieselgate“ sei „übertrieben“. Die hohe Strafe, die VW in den USA für die Nutzung von Abschalteinrichtungen bei der Abgasreinigung entrichten muss – 13,5 Milliarden Euro – hält Koch für Industriepolitik im Sinne der amerikanischen Autoindustrie.
Wie die Debatte ausgehen wird, ist ungewiss. Aber eines ist klar: Der klimapolitische Druck auf das Auto wird zunehmen. Denn die Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Treibstoffverbrauch und dem beim Verkauf behaupteten Verbrauch ist immer größer geworden. Die Brüsseler Nichtregierungsorganisation Transport & Environment hat schon seit Jahren beobachtet, dass die Werte stark voneinander abweichen. 2001 lag der reale CO2-Ausstoß im Schnitt um acht Prozentpunkte höher als von Autobauern angegeben, 2014 waren es 40 Prozentpunkte. Keines der neu zugelassenen Autos hält demnach die CO2-Vorgaben ein.
Deutschland hält die Luftreinhalterichtlinie nicht ein
Das gilt allerdings auch für die anderen Abgase; Stickoxide zum Beispiel. Die Stickoxide hätten die angeblich sauberen Dieselmotoren von VW mittels einer Reinigungsstufe ja gerade zurückhalten sollen. Auch die Stickoxidwerte entsprechen bei den meisten Autos nicht den gesetzlichen Vorgaben. Jahrelang hatten das trotzdem alle Verantwortlichen ignoriert. Das Umweltbundesamt hatte schon vor mehr als zehn Jahren auf die Diskrepanz zwischen den Anbieterangaben und den realen NOx-Messwerten in den Städten hingewiesen. Aber niemand wollte es hören. Nach Dieselgate war das zum ersten Mal ein echtes Thema.
Dabei liegt die Dringlichkeit schon seit Jahren auf der Hand. Deutschland und weitere neun EU-Staaten halten chronisch die Luftreinhalterichtlinie nicht ein, weil die Stickoxid-Belastung zu hoch ist, und weil auch der Feinstaubausstoß nur langsam zurückgeht. Der Karlsruher Motorenprofessor Thomas Koch hält das zwar für „technisch gelöst“, wie er der „Stuttgarter Zeitung“ in einem Interview sagte. Aber an den Messstellen für Feinstaub und NOx ist das noch längst nicht angekommen.
"Blaue Plakette" liegt auf Eis
Um den Städten die Chance zu geben, die Luftqualität zu verbessern, hatte Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) im Sommer eine „blaue Plakette“ ins Gespräch gebracht. Wer sie nicht hat, dürfte in bestimmte stark NOx-belastete Stadtteile nicht mehr einfahren. Aber Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) wehrte sich und verweigerte die Debatte über das Konzept.
Vorläufig dürfte es wohl nicht kommen. Aber Deutschland wird sich mit der Luftqualität weiterhin beschäftigen müssen. Die EU-Kommission hat Deutschland nämlich mehrfach wegen der Nicht-Einhaltung der Grenzwerte verklagt. Das kann sehr teuer werden.