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An der Leine. Wer in Berlin schnell laden will, wie auf diesem Agenturfoto, muss lange nach einer Säule suchen.
© dpa

Elektromobilität im Praxistest: Eine Woche mit dem Elektroauto unterwegs

Wie kommt man mit dem E-Auto im Alltag klar? Wie oft muss man die Batterie laden - und wo? Ein Fahrtenbuch.

TAG 1: STARTEN
Das fängt ja gut an. Das Elektroauto, mit dem ich unterwegs sein werde, wird treffsicher zum Anpfiff des Spiels Deutschland–Südkorea geliefert. Der Spediteur übergibt mir den weißen Nissan Leaf, während die Nation auf das WM-Achtelfinale hofft. Ich habe es eilig, will den Wagen einparken. Hier ist der Startknopf, check! Und jetzt? In einem E-Auto brummt kein Motor. Nur ein Fiepen ist zu hören. Läuft er schon? Und ist das die Gangschaltung? Der freundliche Spediteur hilft mir: Den Knopf auf der Mittelkonsole einfach nach hinten schieben – dann fährt das Auto nach vorne. Eigentlich logisch … Der Wagen setzt sich lautlos in Bewegung, ein Getriebe gibt es nicht, das typische Elektro-Feeling stellt sich ein. Ich schaffe es vor der Halbzeitpause zum Spiel, aber mit dem Achtelfinale wird es nichts. Der Weltmeister parkt im Hof: Der Nissan Leaf, nun in der zweiten Generation, ist das weltweit am häufigsten verkaufte Elektroauto. 340 000 Mal weltweit, 6500 davon in Deutschland. Mal sehen, wie er sich macht.

TAG 2: RECHNEN

Das viertürige E-Autos kostet in der Vollausstattung gut 40 000 Euro (Grundpreis: 31 950 Euro). Die Lithium-Ionen- Batterie ist zu 82 Prozent aufgeladen. Das reicht laut Bordcomputer für 230 Kilometer. Damit schaffe ich es theoretisch knapp zehn Mal zur Arbeit und zurück nach Hause. Wer elektrisch fährt, muss rechnen. Mithilfe des Computers macht das Spaß. Auf dem Display werden Reichweite und Stromverbrauch laufend angezeigt, die weißen Balkendiagramme wandern auf und ab. „Gasgeben“ frisst – wie beim Verbrennungsmotor – Kilometer, aber auch die Klimaanlage, Sitzheizung oder das Gebläse reduzieren den Aktionsradius deutlich. Trotzdem: Auf den kurzen Wegen in der Stadt muss Elektromobilität niemanden nervös machen. Die Reichweite von maximal 415 Kilometern, die der Hersteller verspricht, wird der Leaf aber selbst bei ökonomischster Fahrweise wohl nicht schaffen.

Mit dem Gaspedal bremsen. Im Nissan Leaf kann der Fahrer das E-Pedal aktivieren. Das Gaspedal ist dann gleichzeitig auch das Bremspedal.
Mit dem Gaspedal bremsen. Im Nissan Leaf kann der Fahrer das E-Pedal aktivieren. Das Gaspedal ist dann gleichzeitig auch das Bremspedal.
© dpa

TAG 3: FAHREN
Dem Stau auf dem Weg zur Arbeit entkomme ich auch im E-Auto nicht. Wunder sind nicht zu erwarten. Mehr Elektro bedeutet nicht automatisch weniger Verkehr. Vielleicht werden die Straßen sogar noch voller, wenn Experten recht behalten: Viele Elektroautos werden Zweitwagen sein. Wer es sich leisten kann, stellt sich also neben den Geländewagen noch ein Elektroauto unter das Carport. Rund 3000 Elektrofahrzeuge (reine Batterie und Plug-in) gibt es in Berlin, Mietwagen und Carsharing inklusive. Bei 1,2 Millionen zugelassenen Pkw fällt das kaum ins Gewicht. Aber die Elektrofraktion wird von Jahr zu Jahr größer.

Kein Wunder, denn elektrisch fahren ist ein Genuss. Die Hochspannung unter der Motorhaube (350 Volt!) korrespondiert mit der Entspannung am Lenkrad. Ob im Nissan oder in einem anderen Elektrowagen: Das leise Fiepen des E-Motors (das man auch ausschalten kann) verharmlost die Dynamik, mit der man völlig stressfrei beschleunigt. An der Ampel steht einer dieser Poser neben mir, AMG Mercedes C-Klasse C63. Bei Grün brüllt er los – ich sprinte ihm einige Meter voraus, lautlos, und lasse ihn ziehen.

Nimmt man den Fuß vom „Gas“, wird das Fahrzeug automatisch und sanft verzögert, ohne dass man das Bremspedal benutzt hat. Die Energie, die dabei entsteht, lädt die Batterie auf. Das ist die Ökonomie des elektrischen Fahrens, Fachleute sprechen von Rekuperation. Nissan treibt es mit dem „One-Pedal-Driving“ noch weiter. Legt man den „e-Pedal“- Schalter um, verzögert das Auto so kräftig, dass man ohne Bremse auskommt. Ich habe die in der Woche kaum benutzt.

TAG 4: LADEN

Ist das schon „Reichweitenangst“? Als der Computer 130 Kilometer und 46 Prozent Batterieladung anzeigt, denke ich zum ersten Mal an eine Ladesäule. Vor dem Verlag steht eine, vor meiner Haustür keine. Für den Notfall ist ein Kabel mit Schukostecker an Bord, aber das würde Tage dauern. Mehr als 350 öffentlich zugängliche Ladesäulen (mit je zwei Ladepunkten) existieren aktuell in Berlin. Das klingt nach viel, aber es ist wenig, wenn man an die gut 300 Tankstellen in der Stadt denkt, mit jeweils zahlreichen Zapfsäulen. Ich frage mich also, wo ich die Batterie laden kann, ohne kilometerweit nach Hause laufen zu müssen. Vor dem „Haus der Wirtschaft“ in der Nachbarschaft, wo die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg sitzen, steht keine Ladesäule. Warum nicht?

Plugsurfing hilft. Die Smartphone-App des Berliner Start-ups zeigt mir eine Säule in 400 Metern Entfernung. Am Schlüsselbund hängt ein RFID-Ladeschlüssel, mit dem ich Zugriff auf fast alle Säulen im Stadtgebiet habe – ohne Einzelverträge mit Vattenfall, Innogy oder Allego abschließen zu müssen. Abgerechnet wird über Plugsurfing.

Der erste Versuch scheitert, oder besser: ich scheitere. Mit dem dicken, unhandlichen Kabel, das im Kofferraum lag, habe ich den Wagen mit der Säule verbunden. Es dauert, bis ich den Knopf finde, mit dem man die Klappe in der Front des Nissan öffnet, unter der die Stromanschlüsse stecken. Dann passiert erst mal nichts, kein Strom fließt, kein Lämpchen blinkt wie in der Anleitung versprochen.

Energieverbrauch - der Fahrer behält den Überblick.
Energieverbrauch - der Fahrer behält den Überblick.
© Mortsiefer

Späte Erkenntnis: Auch Strom muss bezahlt werden. Ohne Kreditkarte, Bankeinzug oder Paypal geht auch an der Stromtankstelle nichts. In der App ergänze ich meine Daten – dann steht der Leaf unter Strom. Für 9,4 Kilowattstunden, die ich in anderthalb Stunden lade, zahle ich 4,80 Euro. Umgerechnet kostet eine „Tankfüllung“ an dieser Säule gut 20 Euro.

Beim nächsten Laden, einige Tage später, parke ich an einer Säule vor einem gut besuchten Café. So ein Ladevorgang zieht neugierige Blicke an. Ich werde beobachtet. In lässigen 30 Sekunden hängt das Auto am Kabel. Mag der Nissan Leaf auch nicht so gut aussehen wie ein Tesla – Elektromobilität hat so oder so einen hohen Coolness-Faktor.

TAG 5: SCHWITZEN
Hochsommer, 34 Grad. Ohne Klimaanlage geht es nicht. Das Problem: Ich bin in Brandenburg unterwegs und die Batterieleistung geht zur Neige. Ich rechne wieder: Noch 70 Kilometer bis Berlin, die Batterie reicht für 105, Ladesäulen gibt es unterwegs keine. Das könnte knapp werden. Ohne Klimatisierung schafft die Batterie 15 Kilometer mehr, im „Eco“-Modus kommen weitere zehn Kilometer hinzu. Elektroautofahren ist kalkulierte Effizienz. Ich schaffe es bis Berlin. Die abendliche Fahrt an den Wannsee aber platzt – der Akku reicht nicht.

TAG 6: ÄRGERN

In der Tempo-30-Zone werde ich wegen Luftreinhaltung und Lärmschutz zum Bremsen gezwungen. Meine CO2- und Stockoxidbilanz liegt bei null Gramm. Schmutz und Lärm? Ich fühle mich nicht angesprochen. Darf ich schneller fahren? So weit sind die Verkehrsplaner noch nicht. Auch das Laden bereitet weiter Kopfschmerzen. Zuerst existiert die im Navi angegebene Säule nicht, dann ist einer von zwei Ladepunkten defekt. Und: Warum kann man an den städtischen Säulen („be-emobil“) nur schlappe elf Kilowatt laden, für die man auch noch sechs Euro für maximal vier Stunden bezahlt? Nissan verrät, dass das On-board-Ladesystem des Leaf die Ladeleistung ohnehin bei Wechselstrom auf 6,7 Kilowatt abregelt – egal wie schnell die Säule ist. Schade.

TAG 7: SEGELN

Die Fenster geöffnet, Elektro aus dem Radio, Sommer in der Stadt. Im Eco-Modus plus Tempomat scheint das E-Auto zu fliegen. Nur der Wind macht Geräusche. Segeln nennen es die Hersteller. Der Elektromotor gibt gerade so viel Leistung ab, wie zum Halten der Geschwindigkeit benötigt wird. Maximale Effizienz. So möchte man immerzu fahren. Aber am Ende der Stadtrundfahrt wird deutlich: Der Weg in den elektromobilen Alltag ist noch weit.

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