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Umweltaktivisten von Extinction Rebellion und Ende Gelände demonstrierten am Mittwoch vor der SPD-Parteizentrale gegen das Kohlegesetz.
© Christophe Gateau/dpa

Gesetz zum Kohleausstieg: Eine verpasste Chance, die Klimadebatte zu befrieden

Der Bundestag beschließt das Gesetz zum Kohleausstieg. Was eigentlich die Umwelt schützen sollte, ist für Kritiker ein Ausweis falscher Klimapolitik.

Wenn der Bundestag am Freitag das Kohleausstiegsgesetz beschließt, beginnt in Deutschland das Ende einer Ära. Kohlekraftwerke haben seit Anfang des 20. Jahrhunderts zuverlässig Strom geliefert. Doch der fossile Energieträger ist immer mehr auf dem Rückzug: Die Erneuerbaren werden günstiger, die Gaspreise sind niedrig, die CO2-Preise im Europäischen Emissionshandel steigen.

Zudem sind Kohlekraftwerke eine der Hauptquellen für Treibhausgasemissionen. Nun ist beschlossen, dass spätestens 2038 das allerletzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen wird – die Bundesregierung will schrittweise überprüfen, ob der endgültige Kohleausstieg auch schon 2035 gelingen kann.

Grund zur Freude ist das für die Umweltverbände aber nicht. Am vergangenen Mittwoch besetzten Aktivisten aus Protest gegen das Gesetz die Parteizentralen von Union und SPD, parallel warb Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundestag für dieses. Man habe doch einen wichtigen Schritt getan, sagte die CDU-Politikerin dort.

Das sieht Antje von Broock vom Umweltverband BUND anders: „Dieses Gesetz ist eine Farce. Die Bundesregierung führt damit den Versuch einer gesellschaftlichen Befriedung des Kohlekonflikts ad absurdum.“

Kommission berücksichtigt alle Interessensgruppen

Eineinhalb Jahre ist es her, dass die Kohlekommission der Bundesregierung ihren Plan aufgezeigt hat, wie Deutschlands Weg aus der Kohlekraft aussehen soll. Der Plan stellte größtenteils alle Interessensgruppen zufrieden: Die Gewerkschaften als Vertreter der Kohlearbeiter, die Betreiber der Kraftwerke, die Industrie.

Ebenso wurden die Forderungen der Umweltverbände nach Klimaschutz berücksichtigt. Und auch die Wünsche jener Menschen, die heute noch für Tagebauausweitungen ihre Wohnorte verlassen müssen, wurden aufgenommen. Anhand des Plans der Kohlekommission sollte die Bundesregierung zwei Gesetze stricken – für den Kohleausstieg und für den Strukturwandel. Damit sollte auch endlich der gesellschaftliche Dauerkonflikt Kohle beendet werden.

Verhandlungen bis in die Nacht

Lange und bis teils tief in die Nacht verhandelte danach die Bundesregierung mit den Kraftwerksbetreibern über die Konditionen des Ausstiegs. Bis zur vergangenen Woche gab es auch noch breite Diskussionen innerhalb der großen Koalition. Nun ist vereinbart, dass die Betreiber der Braunkohlekraftwerke insgesamt mehr als vier Milliarden Euro Entschädigung dafür erhalten, dass sie ihre Anlagen schrittweise stilllegen.

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Steinkohlekraftwerke werden bis zum Jahr 2027 über Ausschreibungen stillgelegt. Wer als Betreiber den niedrigsten Preis bietet, bekommt den Zuschlag – der Höchstpreis liegt in diesem Jahr noch bei 165.000 Euro je Megawatt. Junge Steinkohlekraftwerke, die nach 2027 am Netz sind, dürfen aber ebenfalls auf Entschädigung hoffen, wenn die Bundesregierung ihre Stilllegung anordnet. Staatliche Förderung erhält ein Betreiber, wenn er sein Steinkohlekraftwerk von Kohle auf Gas umstellen möchte.

Die größte Summe beim Kohleausstieg machen freilich die Strukturhilfen aus: Insgesamt 40 Milliarden Euro bekommen die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen über 20 Jahre. Auch das Strukturstärkungsgesetz wird der Bundestag am Freitag entsprechend beschließen.

Kohleausstieg verläuft nicht stetig

Die Umweltverbände sind über das Kohlegesetz verärgert, weil der Klimaschutz ihrer Meinung nach zu kurz kommt. So verläuft der Kohleausstieg nicht stetig – gerade in Ostdeutschland beginnt der Ausstieg erst 2025 und damit zu spät. Kritik kommt aber auch von Energie- und Umweltexperten mit Blick auf die Milliardenentschädigungen für die Betreiber der Braunkohlekraftwerke, die in einem separaten Vertrag mit der Bundesregierung festgehalten wurden.

„Der Vertrag gibt überhaupt keinen Aufschluss darüber, wofür die Konzerne genau entschädigt werden“, empört sich Swantje Fiedler vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS). Entgangene Gewinne, höhere Rekultivierungskosten aufgrund von geänderten Nachnutzungskonzepten der Tagebaue und weniger Zeit, Rückstellungen zu bilden – das alles sind mögliche Gründe für Entschädigungen. „Aber man erfährt nichts Näheres dazu“, sagt Fiedler.

Altmaier hält Studie zurück

Im Bundeswirtschaftsministerium verteidigt man die Kompensationszahlungen. „Wir haben einen fairen Ausgleich verhandelt mit den Betreibern der Braunkohlekraftwerke und der Tagebaue“, sagte jüngst Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Man schaffe mit dem ausgehandelten Vertrag auch einen weitreichenden Klageverzicht, so könne der Kohleausstieg endlich beginnen.

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Altmaiers Haus wollte die ausgehandelten Entschädigungen in einer eigens in Auftrag gegebenen Studie überprüfen lassen, veröffentlicht ist die Studie bis heute noch nicht. Das letzte Wort hat die EU-Kommission: Sie muss den Entschädigungen an die Betreiber erst noch zustimmen.

Lob für das Kohleausstiegsgesetz kommt von den Gewerkschaften: „Damit gibt es einen verlässlichen Fahrplan für den Umbau der Energieversorgung, die sozialverträgliche Gestaltung des Strukturwandels und die Weiterentwicklung der Reviere“, sagte der Vorsitzende der Industriegewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis. Der Hauptgeschäftsführer des Stadtwerkeverbands, Ingbert Liebing, hob hervor, dass das Kohlegesetz nun kein Grund sei, die Beine hochzulegen. Er appellierte an die Regierung, sich um den Ausbau des Stromnetzes zu kümmern.

Die Grünen-Bundestagsfraktion lehnt das Gesetz ab – auch im Bundestag. „Ich hätte ihm gerne zugestimmt, wenn die Ergebnisse der Kohlekommission 1:1 umgesetzt worden wären. Dem ist in entscheidenden Punkten leider nicht so“, sagt Fraktionsvize Oliver Krischer.

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