Joe Kaeser zieht Bilanz bei Siemens: Eine Nummer kleiner
Siemens hat ein Wachstumsproblem, bilanziert Joe Kaeser sein erstes vollständiges Jahr als Vorstandsvorsitzender. Probleme gibt es auch wieder im wichtigen Energiegeschäft. Die Nachfrage nach großen Gasturbinen sinkt. Das stellt das Unternehmen vor neue Herausforderungen – auch in Berlin.
Im Mai war es wieder so weit: Da verließ eine riesige Gasturbine das Siemens-Werk an der Huttenstraße in Moabit. Die Straßen waren gesperrt, der Transporter bewegte sich im Schritttempo, denn so eine Gasturbine vom Typ SGT5-8000H ist 13,20 Meter lang, fünf Meter hoch, 5,50 Meter breit und wiegt 444 Tonnen. Es ist die größte Gasturbine der Welt – und da liegt das Problem: „Die Nachfrage nach großen Gasturbinen geht stark zurück“, sagt Lisa Davis. „Alle Hersteller müssen mit erheblichen Überkapazitäten in der Fertigung zurechtkommen.“ Seit 98 Tagen ist die US-Managerin Davis für das Energie-Geschäft von Siemens verantwortlich. „Wir haben einiges an Arbeit vor uns“, sagt sie.
Am Donnerstag präsentierte Siemens-Chef Joe Kaeser gemeinsam mit Davis und Finanzchef Ralf Thomas die Bilanz des Unternehmens für das Geschäftsjahr 2013/14, das am 30. September endete. Es war Kaesers erstes vollständiges Geschäftsjahr im Amt, er hat das Unternehmen tiefgreifend umgebaut. Seit 1. Oktober arbeitet das Unternehmen nun in der neuen Struktur. Von Aufbruchstimmung war in der Mosaikhalle in der alten Siemens-Hauptverwaltung in Berlin aber wenig zu spüren.
Der Umsatz geht leicht zurück
Im abgelaufenen Geschäftsjahr verdiente das Unternehmen bei einem leicht auf knapp 72 Milliarden Euro gesunkenen Umsatz 5,5 Milliarden Euro. Das ist rund ein Viertel mehr als noch im Jahr zuvor. Erreicht wurde dies vor allem durch Verkäufe und Einsparungen. „Hat Siemens ein Wachstumsproblem?“, fragt Kaeser selbst. „Offensichtlich schon, wenn man zwei Jahre hintereinander nicht wächst“, sagte er. Für das laufende Geschäftsjahr erwartet er – ohne Berücksichtigung von Zu- und Verkäufen – einen stagnierenden Umsatz. Erst ab 2016 könne mit Besserung gerechnet werden.
Die Energiesparte steht für den größten Umsatzanteil. Im vierten Quartal sank der Umsatz im Vergleich zur Vorjahresperiode um vier Prozent auf 7,1 Milliarden Euro, das Ergebnis schrumpfte gar um 28 Prozent auf 403 Millionen Euro. Ein Problem gab es einmal mehr im Geschäft mit der Windenergie. Zwar legte die Nachfrage nach Windrädern zuletzt stark zu. Aber die hohen Stückzahlen drückten auf die Qualität. Kaputte Rotorblätter und zu früher Verschleiß bei anderen Bauteilen kosteten im vierten Geschäftsquartal 223 Millionen Euro und rissen die Sparte in die roten Zahlen.
Kapazitätsanpassungen auch in Berlin
Um die Energiesparte wieder zum Erfolg zu führen, will Davis mehr Geld in Forschung und Entwicklung investieren, die Produktionsprozesse verbessern und schneller auf Kundenwünsche reagieren. „Die Nachfrage nach kleinen Gasturbinen steigt in fast allen Regionen der Welt“, sagte sie am Donnerstag. „Die dezentrale Stromerzeugung ist kontinuierlich auf dem Vormarsch.“ Hier hat sich Siemens bereits durch Zukäufe verstärkt.
Und was passiert mit dem Turbinenwerk in Berlin? Kapazitätsanpassungen hat sie hier bereits im Oktober angekündigt. Nach Informationen des Tagesspiegels geht es um den Abbau von 150 Arbeitsplätzen. Offiziell heißt es, es sei noch nichts beschlossen, die Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern liefen noch. „Wir sehen auch die Herausforderungen“, sagte der Berliner IG-Metall-Chef Klaus Abel dem Tagesspiegel. „Aber das muss nicht zwangsläufig den Abbau von Arbeitsplätzen bedeuten. Wir sehen sinnvollere Alternativen, auf die veränderten Marktbedingungen zu reagieren.“ Abel denkt etwa an flexiblere Arbeitszeiten und an eine Stärkung des Vertriebs. Im Ernstfall sei man aber „aktionsbereit“, sagte der Gewerkschafter.
Der Konzernumbau geht weiter
Vor einer ungewissen Zukunft im Konzernverbund steht die hochprofitable Medizintechnik, die nun als rechtlich selbstständiges Unternehmen geführt wird. Vorstandschef Joe Kaeser sagte, die Medizintechnik „ist auch Siemens“. Die weltweit 52.000 Beschäftigten befürchten dennoch, dass Siemens das Geschäft mit einem Jahresumsatz von rund 12,5 Milliarden Euro eines Tages verkauft oder an die Börse bringt. Tatsächlich verkauft hat Siemens wie erwartet die Hörgeräte-Sparte. Sie geht für 2,15 Milliarden Euro an den schwedischen Finanzinvestor EQT und die deutsche Unternehmerfamilie Strüngmann. Siemens bleibt mit 200 Millionen Euro am Eigenkapital beteiligt.
Siemens in Berlin
Berlin ist der größte Fertigungsstandort von Siemens weltweit. Zum Ende des Geschäftsjahres am 30. September beschäftigte Siemens in der Stadt rund 11.700 Mitarbeiter, ein Jahr zuvor waren es noch 12.000 gewesen. Etwa 80 Prozent von ihnen arbeiten in Entwicklung, Fertigung und Service, die übrigen 20 Prozent in Verwaltung und Vertrieb. Außerdem bietet Siemens in Berlin rund 1300 Ausbildungsplätze an. Im Gasturbinenwerk in Moabit arbeiten 3800 Mitarbeiter, das Schaltwerk in Spandau beschäftigt 3000 Leute, das Dynamowerk 800 und das Werk für Messgeräte 1000 Mitarbeiter. Hinzu kommen noch etwa 1000 Mitarbeiter in der Bahntechnik und der Bahnautomatisierung.
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