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„Aus der Nähe“, „von hier“ – jeder Hersteller kann seine eigene Definition von „regional“ zur Vermarktung beliebig nutzen.
© Imago

Spargelsaison: Eine Frage der Etikette

Die Spargelsaison hat begonnen. Doch woher kommt die Ware wirklich? Kontrollen sollen Missbrauch verhindern. Den Bauern in Beelitz reicht das nicht.

An diesem Donnerstag beginnt offiziell die Spargelsaison, für einige Monate werden die weißen Stangen dann wieder das Lieblingsgemüse der Deutschen sein. Immer mehr Kunden legen großen Wert auf regionale Lebensmittel – auch beim Spargel. Sie wollen Produkte vom Bauern aus der Region. Das Problem: Wo Beelitz draufsteht, ist nicht unbedingt Beelitz drin.

ALLES FRISCH, ALLES VON HIER

Während die Beelitzer Bauern im April anfangen, ihren Spargel auf den Feldern zu stechen, sind die Körbe der Straßenhändler oft schon prall gefüllt. Alles frisch, alles von hier, versprechen ihre Schilder. Vor allem in den ersten Wochen, wenn das Angebot aus Beelitz noch nicht so groß ist, stammt das Gemüse hin und wieder in Wirklichkeit aus dem Großmarkt – und damit aus Polen, Griechenland oder Spanien. Die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Berlin hat ausgerechnet: Würde man alle als Beelitzer bezeichneten Spargelstangen zusammenzählen, käme eine viel größere Summe heraus, als dort in Wahrheit geerntet wird.

EINMAL DEN LIEFERSCHEIN, BITTE!

In Berlin prüfen Mitarbeiter der Ordnungsämter in den Bezirken stichprobenartig, ob die Spargelstangen auf den Wochenmärkten nicht zu lang oder zu kurz sind, ob sie den richtigen Durchmesser und die richtige Farbe haben. Bei manchen Händlern zählt jeder Zentimeter, denn der bringt Gewicht und damit Geld. Diese Qualitätskontrollen sind wichtig, damit die Verbraucher den Händlern vertrauen und die Bauern aus dem Umland ihren guten Ruf nicht verlieren.

Was die Kontrolleure an den Ständen noch verlangen, sind die Lieferscheine. So schauen sie nach, woher der Spargel tatsächlich kommt. Die Verkäufer sind zur Zurückverfolgbarkeit verpflichtet. Sollte ein Händler Spargel aus dem Ausland verkaufen und ihn als ein regionales Produkt bezeichnen, kann ihm ein Bußgeld oder eine Strafanzeige wegen „Irreführung und Täuschung“ drohen. „In den letzten Jahren hat es aber keinen Fall dieser Art bei uns gegeben“, sagt Marc Schulte, Ordnungsstadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf. Er ist zum Beispiel zuständig für den Wochenmarkt am Karl-August-Platz. Dort würde es sich schnell herumsprechen, wenn es unter den Verkäufern Betrüger gäbe.

Dem Verbraucher rät Schulte, am Stand nachzufragen, von welchem Hof der angebotene Spargel stammt. Wenn der Verkäufer anfange zu stottern, sei das ein Alarmzeichen. Vorsicht sei außerdem geboten, wenn der Spargel sehr günstig sei und wenn ihn „fliegende Händler“ verkauften, die heute hier und morgen dort stehen. Lieber sollten die Kunden zu dem Verkäufer oder Bauern gehen, den sie kennen.

EU-SIEGEL FÜR DEN BEELITZER SPARGEL

Diese Ratschläge gibt auch Manfred Schmidt, Vorsitzender des Vereins „Beelitzer Spargel“. Er setzt sich seit Jahren für ein europäisches Qualitätssiegel ein. Der Name „Beelitzer Spargel“ soll nach EU-Recht zur „Geografisch Geschützten Angabe“ (GGA) werden. Damit würde er den gleichen Schutzstatus erhalten wie der Parmaschinken, die Spreewaldgurke – und der „Spargel aus Schrobenhausen“ in Bayern. Manfred Schmidt ist zuversichtlich, dass der Beelitzer Spargel das Siegel in diesem Jahr erhalten wird.

Damit, sagt er, hätten die Bauern eine stärkere Handhabe gegen Verkäufer, die ihre Kunden täuschen. Bislang ist der Beelitzer Spargel an seinem Etikett zu erkennen, auf dem „Frischer Beelitzer Spargel“ steht. Mitte der 90er Jahre haben sich die Spargelbauern der Stadt die Wortmarke vom Patentamt in München schützen lassen, doch das reicht ihnen nicht. Sie wollen das EU-Siegel.

Der Etikettenschwindel, sagt Schmidt, habe aber über die Jahre abgenommen. Das Beelitzer Anbaugebiet, das heute 1600 Hektar umfasst, würde ein großes Angebot ermöglichen, der Einschätzung der BAM, dass Schwindel im Spiel sei, widerspricht Schmidt. Er räumt aber ein, dass in den ersten Wochen das Angebot noch nicht so groß ist. Dennoch: „Die Menschen in Berlin und Brandenburg bräuchten Tag und Nacht, um das, was hier geerntet wird, alleine aufzuessen“, betont er. Deswegen werde der Beelitzer Spargel auch nach München, Stuttgart, Hamburg und Dänemark verkauft.

DAS REGIONALFENSTER

Der Handel ist gegen mehr Regelungen. Christian Böttcher vom Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH) meint: „Regionalität wird von jedem anders verstanden.“ Für den einen sei es ein Umkreis von 30 Kilometern, für den anderen von 100 Kilometern. Böttcher lehnt eine staatliche Kontrolle ab, lobt aber das „Regionalfenster“.

Mit dieser Kennzeichnung hat die Politik vor drei Jahren auf das Problem reagiert. Das blau unterlegte, viereckige Logo, ist bisher das einzige bundesweit anerkannte Regionalsiegel. Hersteller, die das Logo nutzen wollen, müssen sich zertifizieren lassen und nachweisen, dass die Hauptzutat ihres Produkts aus einer genau beschriebenen Region stammt. Inzwischen haben sich 550 Lizenznehmer registrieren lassen, 3500 Produkte tragen das Logo. Für Verbraucherschützer und Foodwatch ist das aber nur die Minimallösung. Die Angaben seien freiwillig, die Kriterien zu lasch. Regional sei ein Gebiet schon dann, wenn es kleiner als Deutschland sei.

EIN GESETZ ZUM SCHUTZ?

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) fordert, dass der Begriff „regional“ gesetzlich definiert und geschützt wird – auch wenn das schwer ist. „Das Regionalfenster als Glaubwürdigkeitssiegel verpflichtend zu nutzen, wäre ein erster Schritt“, sagt Sophie Herr. Alle, die mit solchen Lebensmitteln werben, müssten es nutzen – und damit den Kriterien entsprechen. Haben sie das Siegel nicht, dürften sie auch nicht sagen, ihr Produkt käme aus der Nähe. Eine ähnliche Position vertritt Foodwatch. „Gerade weil regional ein immer beliebteres Kriterium wird“, sagt Andreas Winkler, „muss es einen gesetzlichen Schutz geben.“ Bei Lebensmitteln aus der Region wie dem Beelitzer Spargel seien die Verbraucher bereit, mehr Geld auszugeben. Was den Schwindel so verführerisch macht.

Aus Sicht des Ernährungsministeriums ist das Regionalfenster ein Erfolg. Es biete eine „verlässliche und transparente Kennzeichnung für regionale Produkte“. Lügen über die Herkunft seien „durch den zunehmenden internationalen Handel und durch stark verzweigte Warenströme“ aber generell gestiegen, meint Minister Christian Schmidt (CSU). In Deutschland und Europa gebe es jedoch einen recht hohen Sicherheitsstandard bei Lebensmitteln. Derzeit plant der Ernährungsminister kein weiteres Siegel. Er erwartet aber von den zuständigen Behörden, dass „Betrug und Täuschungen zügig und umfassend aufgeklärt“ werden.

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