20 Jahre Telekom-Börsengang: Eine Aktie fürs Volk
Vor 20 Jahren hat die Telekom mit ihren ersten Anteilsscheinen die Deutschen für die Börse begeistert – dann kam der Crash.
„Natürlich habe ich T-Aktien gezeichnet. Gleich in drei Ländern sogar.“ André Kostolany lächelt in die Fernsehkameras. Er müsse schließlich für seinen Ruhestand vorsorgen. „Ich bin ja erst 91“, sagt der Börsen-Guru. Es ist der 18. November 1996. Ein Tag der Rekorde. Gerade ist die T-Aktie, das Papier der Telekom, zum ersten Mal an der Frankfurter Börse gelistet worden. 713 Millionen Aktien werden verkauft, rund 20 Milliarden DM nimmt die Telekom dadurch ein.
Fünf Mal so viele Aktien hätte sie loswerden können, so groß ist die Nachfrage. Entsprechend gut gelaunt sind die 500 geladenen Gäste. Unter ihnen sind zum Beispiel der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel, Postminister Wolfgang Bötsch, Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper, sein Kollege Jürgen Sarrazin von der Dresdner Bank und vor allem Telekom-Chef Ron Sommer.
Die T-Aktie wird als sicherer Anlage beworben
„Der Spiegel“ bezeichnet die Telekom kurz vor ihrem Börsengang als „Testfall“. Schließlich sind die Deutschen kein Volk von Aktionären. Sieben DM würden sie im Monat für Bananen ausgeben – für Aktien aber nur 1,22 DM, rechnet das Magazin damals vor. Die Telekom will das ändern, steckt rund 100 Millionen DM in eine Marketing-Kampagne. Den Schauspieler Manfred Krug lässt der Konzern für die neue „Volksaktie“ werben. Telekom-Chef Sommer sagt: „Die T-Aktie wird so sicher wie eine vererbbare Zusatzrente sein.“ Und die Deutschen glauben ihm. 1,9 Millionen Kleinanleger setzen auf das Papier, viele Menschen kaufen zum ersten Mal überhaupt eine Aktie.
Es ist 12:26 Uhr an diesem ersten Handelstag, als auf der Anzeigetafel der erste Kurs aufblinkt. Nicht nur Sommer ist erleichtert: 33,20 DM, das liegt deutlich über dem Emissionspreis von 28,50 DM. Allein bis zum Mittag werden mehr als 49 Millionen Aktien gehandelt. Um die Uhrzeit sitzt Ron Sommer bereits mit dem Postminister und Bankern im Flieger nach New York. Denn auch an der weltgrößten Börse, der Wall Street, wird die T-Aktie in den Handel gebracht.
Der Kurs steigt und steigt - bis zum Crash
Weitere zwei Mal wirft die Telekom neue Papiere auf den Markt: Ende Juni 1999 zu 39,50 Euro und ein Jahr später für 66,50 Euro. Wieder sind die Emissionen überzeichnet, insgesamt rund 25 Milliarden Euro fließen an den Bund. Zwischenzeitlich ist der Kurs der Aktie am 6. März 2000 auf das Rekordhoch von 103,50 Euro geklettert. Wer die Aktie beim ersten Börsengang für 14,57 Euro (jene 28,50 DM) gezeichnet hat, hat seinen Einsatz mehr als versiebenfacht. Und kann sich über einen satten Gewinn freuen – wenn er denn an diesem Tag verkauft. Doch das tut kaum jemand. Im Gegenteil.
Und dann das: Die Internetblase platzt, im Mai 2000 ist der Höhenflug der Volksaktie vorbei. Zwar steigert die Telekom zunächst noch die Gewinne, doch 2001 rutscht sie mit 3,5 Milliarden Euro ins Minus, die Aktie kostet nicht einmal mehr 20 Euro. Es gibt erste Klagen wegen Kapitalanlagebetrug, Falschbewertung von Immobilien und Bilanzfälschung. Im Juni 2002 knackt die Aktie die Schwelle von 10 Euro – nach unten. Wenige Wochen später muss Sommer gehen.
Viele Anleger fühlen sich ungerecht behandelt
Anleger haben zehntausende Euro, manche Hunderttausend und mehr verloren. Börsenguru Kostolany erlebt das nicht mehr, er ist 1999 gestorben. 2002 verbucht die Telekom wegen gigantischer Abschreibungen mit fast 25 Milliarden Euro den höchsten Verlust, den je ein deutscher Konzern eingefahren hat. Im Juni 2012 stürzt die T-Aktie auf ihr Allzeit-Tief von knapp 7,70 Euro.
17.000 Kleinanleger klagen gegen die Telekom, Ex-Chef Sommer und andere Top-Manager auf 80 Millionen Euro Schadenersatz. Im Oktober 2005 beginnt die erste Verhandlung. Eigens wegen des Skandals wird ein Muster-Verfahren für solche Prozesse eingeführt. Doch bis heute sind die Telekom-Verfahren noch nicht abgeschlossen, es geht zwischen dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main und dem Bundesgerichtshof hin und her. Der Musterkläger ist mittlerweile gestorben. Ende Oktober wurde in Frankfurt erneut verhandelt, eine Entscheidung soll Ende November verkündet werden. Kleinanleger sind vor allem auch deshalb erbost, weil die Telekom bereits 2005 Anlegern in den USA 120 Millionen Dollar Schadenersatz gewährt hat.
Auch der Bund ist über die KfW an der Telekom beteiligt
Inzwischen hat sich die Telekom-Aktie von ihren Tiefstständen vor vier Jahren etwas erholt. Mit 14,50 Euro liegt der Kurs nur noch leicht unter dem Preis, zu dem vor zwanzig Jahren die ersten Aktionäre einstiegen. Das Unternehmen, an dem der Bund über die Förderbank KfW mit 32 Prozent beteiligt ist, steht gut da, hat gerade für die ersten neun Monate 2016 einen Nettogewinn von 4,8 Milliarden Euro verkündet. „Die Telekom ist heute eine konservative Aktie mit stabilen Dividenden und deshalb interessant, gerade in Zeiten niedriger Zinsen“, sagt Oliver Roth, Chef-Händler bei OddoSeydler. Die meisten Experten sehen das ähnlich.
Bis auf die Krisenjahre 2003/2004 hat der Bonner Konzern ununterbrochen eine Dividende gezahlt, in der Spitze von 75 Cent. Für 2015 waren es 55 Cent. Und dies immer steuerfrei. Pro Aktie summieren sich die überwiesenen Gewinnbeteiligungen auf 11,19 Euro, rechnet die Research-Plattform Dividenden-Adel vor. Bezogen auf den Ausgabekurs von vor 20 Jahren ist das immerhin ein Plus von 77 Prozent oder jährlich von 2,8 Prozent. „Davon wird man nicht reich, aber es ist eben auch kein totaler Reinfall“, sagt Christian Röhl, Gründer von Dividenden-Adel.
Anders ist das bei den Aktionären, die erst im Juni 1999 einstiegen, als die Telekom noch einmal Kapital am Aktienmarkt einsammelte. 39,50 Euro zahlten die Anleger dafür. „Bis heute sind per saldo fast zwei Drittel des Kurswerts durch den Schornstein und selbst inklusive Dividenden liegt man immer noch knapp 40 Prozent in den Miesen“, sagt Röhl.
Die Deutschen bleiben Aktienmuffel
Insgesamt haben der Niedergang der einstigen Volksaktie, die hohen Verluste und die langjährigen Prozesse der deutschen Aktienkultur einen schweren Schlag versetzt. Das Papier der Telekom sollte die Deutschen zu einem Volk der Aktionäre machen. Doch stattdessen bleiben sie Aktienmuffel. Und zwar vor allem wegen der Telekom. Nur 9,5 Millionen Bundesbürger besitzen Aktien oder Aktienfonds.
Finanzexperten halten das für bedenklich. Nur weil viele Verbraucher so schlechte Erfahrungen mit der T-Aktie gemacht hätten, dürfe man die Finanzpapiere nicht ganz verschmähen. Erst recht nicht angesichts der niedrigen Zinsen. „Man muss aus den Fehlern von einst die richtigen Schlüsse ziehen und beispielsweise nie wieder allzu viel Geld auf einmal in Aktien pumpen oder sich von Vater Staat und prominenten Fernsehnasen zu Investment-Sünden verleiten lassen“, sagt Röhl.