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Mensch und Maschine. Auf der Cebit können die Besucher Robotern bei der Produktion zusehen.
© promo

Cebit 2015: Ein Schritt weiter als Industrie 4.0

Was kann man anfangen mit den Daten, die beim Gebrauch von Produkten anfallen? Es gibt erste Ideen - von Google, Uber Facebook und anderen.

Diesen Turnschuh hat kein anderer. Stoff, Sohle, Streifen: alles individuell. Und über den eingebauten Chip, der Fitnessdaten für das optimale Workout seines Trägers sendet, ist er auch noch schlau. In individueller Massenfertigung von smarten Produkten ist die deutsche Industrie führend. „Aus Deutschland kommen Produkte von Weltruf“, sagt Henning Kagermann, Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften. Richtig gut wären deutsche Turnschuhhersteller aber erst, wenn sie ihren Kunden auf Basis der gesammelten Daten zum Beispiel auch noch eine Versicherung verkaufen könnten, die sie gemeinsam mit einer Assekuranz entwickelt haben. Und daran hapert es noch. „Im Wissen um die Nutzer und ihre Bedürfnisse sind jedoch andere besser“, sagt der Physikprofessor und ehemalige Chef des Softwarekonzerns SAP und meint damit vor allem Google, Uber oder Facebook und deren Geschäftsmodelle.

Einen Weckruf nennen die 140 Akteure aus Wissenschaft und Wirtschaft den Abschlussbericht ihres Arbeitskreises Smart Service Welt, den sie im Rahmen der Computermesse Cebit an Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) übergeben haben. Nach Einschätzung der Experten geht es im Wettlauf mit den USA oder China gar nicht mehr um die derzeit viel debattierte Digitalisierung der Industrieproduktion – Industrie 4.0 genannt –, sondern bereits um neue Geschäftsmodelle, die sich daraus ergeben. Verkürzt gesagt geht es darum, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. „Im Zeitalter von Industrie 4.0 werden individualisierte Smart Services, die aus den Betriebsdaten der Produkte generiert werden, oft wichtiger als das Produkt selbst“, erläutert Frank Riemensperger, Deutschland-Chef der Unternehmensberatung Accenture. Verbraucher kaufen künftig also vielleicht gar kein Auto mehr, sondern suchen sich die in diesem Augenblick schnellste, komfortabelste und günstigste Fortbewegungsmöglichkeit über das Internet.

Uber und Facebook zeigen, was möglich ist

Die Folge: Der Autohersteller setzt weniger Autos ab als bisher. Wenn es ihm aber gelingt, die führende Plattform für Mobilität in Europa zu bauen, muss er das auch gar nicht. Das US-Unternehmen Uber beispielsweise hat weder eigene Autos noch eigene Fahrer. Es versteht sich lediglich als Fahrdienstvermittler und verdient sein Geld mit einer Vermittlungsgebühr. Ein anderes Beispiel ist Facebook. Über die Vielzahl der Daten, die Nutzer dort bereits hinterlegt haben, sei es ein sogenannter Vertrauenspartner, sagt Lars Schatilow, Berater und Mitautor des Abschlussberichts. „Es ist deshalb gut denkbar, dass sich demnächst Nutzer flexibel dort versichern können, während ein Teil der 1,4 Milliarden Mitglieder jeweils mit einem minimalen Betrag bürgt“, beschreibt er ein mögliches Szenario. Risiken über Facebook mit anderen teilen – unvorstellbar? Wohl nicht. Eine Banklizenz hat Facebook bereits beantragt.

Alibaba will schon 2016 ein Internetauto auf den Markt bringen

Doch nicht nur aus den USA sehen die Experten die technologische Souveränität Deutschlands und Europas gefährdet. Auch Unternehmen aus dem Cebit-Partnerland China zeigen, dass Smart Services auf kommenden Computermessen ein bestimmendes Thema sein könnten. So kündigte der Internetkonzern Alibaba an, bereits im kommenden Jahr ein Internet-Auto auf den Markt zu bringen. Der Konzern des Milliardärs Jack Ma, der die Cebit in diesem Jahr miteröffnet hatte, arbeitet dafür mit dem chinesischen Autohersteller Saic zusammen. Dabei geht es Alibaba nicht ums Auto, sondern um den Zugang zu Fahrer und Mitfahrern. Über Reiseinfos in Echtzeit, Diagnosetools für technische Probleme oder besonders gute Handyverbindung bekommen die Kunden den Service, den sie sich wünschen – und Alibaba noch mehr Nutzerdaten.

Zusammenarbeit ist trotz des Wettbewerbs notwendig

Das Bewusstsein bei deutschen Unternehmen zu einer verstärkten Zusammenarbeit bei der Entwicklung neuer Produkte wächst. SAP beispielsweise stellte auf der Messe unter anderem digitale Services rund um die Landwirtschaft vor. Der Softwarekonzern füttert dabei seine schnellen Datenbanken mit Informationen, die vernetzte Landmaschinen senden, Sensoren im Boden ermitteln den Bedarf an Dünger, Geodaten helfen dabei, sich ein Gesamtbild über die Ackerflächen zu verschaffen. Heraus kommen Dienste, die Landwirten helfen sollen Risiken einzuschätzen, Erträge zu steigern, Böden möglichst schonend zu nutzen. Man arbeite für dieses Projekt in einem Konsortium mit unterschiedlichen Herstellern aus den genannten Bereichen zusammen, heißt es dazu bei SAP.

Genau solche Plattformen, bei denen Firmen unterschiedlicher Branchen smarte Dienstleistungen entwickeln, empfehlen Kagermann und Riemensperger deutschen Unternehmen, wenn sie den Wettlauf mit dem Rest der Welt nicht verlieren wollen. Nach einer Studie des Branchenverbands Bitkom bietet bislang nur ein knappes Drittel der IT-Firmen hierzulande bereits Dienstleistungen und Produkte für Industrie 4.0 an. Immerhin: Ein weiteres Drittel plant solche Angebote.

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