Chinas Industrie: Vom Aufholen zum Überholen
Chinas Technologieambitonen sind ehrgeizig – bei Forschung und Innovation ist der Weg an die Weltspitze allerdings noch lang.
China will in nahezu allen strategisch wichtigen Industrien die technologische Führung übernehmen: Biotechnisch hergestellte Pharmazeutika, Elektrofahrzeuge, Informationstechnologien der neuesten Generation wie cloud computing und internet of things zählen ebenso dazu wie umweltfreundliche und energieeffiziente Technologien, neue Materialien oder die Herstellung hochwertiger Ausrüstungen für Luft- und Schifffahrt. China konnte zwar in der letzten Dekade beeindruckende technologische Aufholprozesse und Erfolge im Lowtechbereich realisieren.
Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass chinesische Unternehmen in all diesen Industrien mittelfristig zur globalen Technologieführerschaft aufschließen können. Wie schnell China den Übergang von den Lowtech- in die Hightechindustrien schaffen wird, hängt nach Einschätzung der Autorinnen auch stark von der Umsetzung der wirtschaftlichen Reformagenda der Xi-Jinping-Regierung ab.
China ist heute ein wichtiger Standort für Wissenschaft und Technologie. Dazu haben die rasante Steigerung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F & E), der Zahl von Wissenschaftlern und Technikern, die Verbesserung der Forschungsinfrastruktur und die internationale Ausrichtung der Wissenschafts- und Technologieentwicklung beigetragen. Beeindruckend ist vor allem die Ausweitung der F-&-E-Intensität (F-&-E-Ausgaben in Relation zum Bruttoinlandsprodukt). Diese stieg von 1,1 Prozent auf 2,08 Prozent zwischen 2002 und 2013. China liegt damit über dem Durchschnitt der OECD-Mitgliedsstaaten (1,97 Prozent).
Noch rangiert das Land trotz einer jährlichen Steigerung der Ausgaben um 20 Prozent pro Jahr hinter den USA. Da die F-&-E-Zuwächse in den USA, in der EU und Japan rückläufig sind, hat China nach einer Prognose der OECD das Potenzial, zum Motor der globalen Innovation zu werden.
China will ausländische Wissenschaftler locken
Auch die absolute Zahl der Hochschulabsolventen und Wissenschaftler in China ist im internationalen Vergleich bemerkenswert hoch. Werden allerdings demografische Faktoren einbezogen, ergibt sich ein anderes Bild. Um den Engpass bei hoch qualifiziertem Humankapitel zu überwinden, bietet China nicht nur chinesischen Wissenschaftlern attraktive Konditionen für die Rückkehr aus dem Ausland an. Auch ausländische Wissenschaftler und Manager sollen verstärkt für die Forschungs- und Technologieentwicklung eingeworben werden.
Der verstärkte Einsatz von F-&-E-Ausgaben und Humankapital hat eine Explosion von Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften und Anmeldungen von Patenten im In- und Ausland bewirkt. Hierfür spielten die Einführung eines monetären Anreizsystems für die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen in renommierten Zeitschriften sowie die Neuausrichtung der Karriereanforderungen für Wissenschaftler eine zentrale Rolle.
Zwischen 2005 und 2012 nahm die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen um 44 Prozent auf rund 160 000 Artikel zu. Der prozentuale Anteil Chinas an allen Publikationen im Web of Science zwischen 2003 und 2013 verdoppelte sich auf fast 15 Prozent. Diese Entwicklung ging mit einem relativen Rückgang der Publikationsanteile der USA und der EU-28 einher, die allerdings noch mit 20 Prozent beziehungsweise 25 Prozent die internationale Publikationslandschaft dominieren.
Trotz der rasanten Entwicklung gibt es viele Probleme
Ähnlich rasant verlief der Anstieg der Patentanmeldungen. Im internationalen Vergleich lag China nach Statistiken der World Intellectual Property Organization mit einem Anteil von 32 Prozent von im Inland registrierten Patenten bereits vor den USA (22 Prozent). Dagegen wurden lediglich rund 30 000 chinesische Patente im Ausland angemeldet, während auf die USA und Japan jeweils mehr als 200 000 Patentanmeldungen entfielen.
Die enorme Verbesserung bei den oben genannten Input- und Outputindikatoren für Innovation spiegelt die Anstrengungen Chinas wider, im internationalen Wettbewerb aufzuholen. Im globalen Ranking der innovativsten Länder steht China zwar noch nicht oben, hat sich jedoch in den vergangenen Jahren deutlich höher positionieren können und besetzt innerhalb der Gruppe mit mittlerem Einkommen eine Spitzenposition.
Hinter dieser beeindruckenden Entwicklung verbergen sich allerdings zahlreiche Probleme im chinesischen Wissenschaftssystem. Qualitätsmängel bei Publikationen und damit geringe Zitation der Forschungsergebnisse im Ausland, ein florierender akademischer Schwarzmarkt sowie die Dominanz der Bürokratie bei der Auswahl von Forschungsprojekten sind nur einige davon.
Am Beispiel der Patente als wichtigem Indikator für die Innovationsaktivität eines Landes werden die Herausforderungen deutlich. So fallen selbst nach offizieller chinesischer Definition nur rund 20 Prozent der genehmigten Patente in die Kategorie invention patents. Die Flut von Gebrauchsmusteranmeldungen mit niedrigen Prüfstandards durch chinesische Unternehmen birgt die Gefahr, dass sich die Unternehmen in ihrer Innovationsentwicklung gegenseitig blockieren. Ausländische Unternehmen rechnen mit aufwendigen Rechtsstreitigkeiten als Folge der Patentflut.
Peking will in die Weltspitze
Trotz großer Erfolge beim Aufholen ist China in vielen Industrien weiterhin abhängig von ausländischer Technologie. Ein Indikator dafür sind die Lizenzzahlungen für die Nutzung ausländischer Patente. Diese lagen im Jahr 2012 um das 17-Fache höher als die Einnahmen aus Lizenzen. Nur wenige auch im Ausland bekannte chinesische Unternehmen wie Huawei und ZTE (Telekommunikation), Lenovo (Laptops), Alibaba, Baidu und Tencent (Internet) sowie BYD (Automobilindustrie) besitzen eine internationale anerkannte Marke. Auch fehlen den meisten Unternehmen im Vergleich zu den internationalen Marktführern nachgelagerte Marketing- und Distributionsnetze.
Chinas Technologieambitionen spiegeln sich im Industrieprogramm zur Förderung von sieben strategischen Industriebereichen wider. Hierzu zählen Biotechnologie, energieeffiziente und umweltfreundliche Technologien, die Herstellung hochwertiger Ausrüstungen, neueste Informationstechnologien, neue Energien und Materialien sowie mit alternativen Energien angetriebene Fahrzeuge. Ihre Produktion soll im Jahr 2015 rund acht Prozent und 2020 rund 15 Prozent zum BIP beitragen und zum Motor der Hightechentwicklung Chinas werden.
In einigen dieser strategischen Industriebereiche weist China bereits bemerkenswerte Entwicklungsfortschritte auf. So beispielsweise bei energieeffizienten und umweltfreundlichen Technologien. Chinas weltweiter Exportanteil bei Klimaschutzgütern, die zur Nutzung erneuerbarer Energie und zur Steigerung von Energieeffizienz eingesetzt werden, stieg bis 2011 auf rund 20 Prozent. Der Anteil Deutschlands lag bei rund 13 Prozent. Von den fünf weltweit führenden Solarherstellern mit der höchsten Fotovoltaikproduktion kommen inzwischen drei aus China.
China ist der weltweit wichtigste IKT-Markt
Auch in der Windkraftindustrie haben sich die Marktanteile verschoben. Im Jahr 2013 kam Chinas führender Windkraftanlagenhersteller Goldwind Science & Technology auf einen Marktanteil von elf Prozent. Der Erfolg chinesischer Unternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien kann zum einen auf die starke Förderung des Staates zurückgeführt werden. Zum anderen hat die frühzeitige Internationalisierung dazu beitragen, die technischen Lücken zu schließen.
Es sind jedoch vor allem die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), in denen chinesische Unternehmen zur Weltspitze aufschließen konnten. China ist inzwischen der weltweit wichtigste IKT-Markt. Aufgrund der hohen Innovationsdynamik und engen Verzahnung mit anderen Schlüsselindustrien trägt die IKT-Industrie zudem stark zur wirtschaftlichen Entwicklung Chinas bei. Chinesische IKT-Unternehmen wie ZTE und Huawei sind international wettbewerbsfähig und haben die europäischen Unternehmen bereits weitgehend verdrängt.
Die Wettbewerbsfähigkeit der IKT-Industrie basiert zum einen auf hohen F-&-E-Ausgaben und zum anderen auf der umfassenden Patentabsicherung. Bezogen auf die globalen F-&-E-Ausgaben war Chinas Anteil von 14 Prozent im Jahr 2011 ebenso hoch wie der Japans. Nur die USA dominieren weiterhin mit 33 Prozent. Insbesondere bei Computertechnik und Telekommunikation hat China schnell aufgeholt. Zwischen 2009 und 2011 stieg Chinas Anteil an den transnationalen Patentanmeldungen von 0,8 Prozent auf rund 30 Prozent.
Es fehlen noch Schlüsseltechnologien
Vorreiter der Branche sind Unternehmen wie Huawei und ZTE. Der Erfolg Huaweis basiert auf dem hohen Internationalisierungsgrad. Zwei Drittel des Umsatzes werden im Ausland generiert. Zudem weist Huawei eine starke F-&-E-Intensität (12,8 Prozent des Umsatzes in 2013) und eine Konzentration von Beschäftigten in F & E (rd. 45 Prozent) auf. Zwischen 2003 und 2013 stiegen die F-&-E-Ausgaben des Unternehmens von 389 Millionen auf 5,46 Milliarden US-Dollar.
Auch ZTE konnte seine Erfolge im technologischen catching up unter Beweis stellen. Im Jahr 2012 lag ZTE mit 1184 beim Europäischen Patentamt (EPA) registrierten Patentanmeldungen im internationalen Vergleich auf Platz zehn. Damit schaffte es erstmals ein chinesisches Unternehmen in die Top 10 der EPA-Patentanmeldungen.
Bislang basierten die Erfolge vieler chinesischer Unternehmen im Wesentlichen auf Adaption und Weiterentwicklung bestehender Technologien. Für die Entwicklung der strategischen Industrien fehlen auch heute noch Schlüsseltechnologien. Zwar konnten chinesische Unternehmen im Binnenmarkt und international hohe Marktanteile gewinnen, aber ihr Anteil an der Wertschöpfung blieb gering. Beispielsweise verbesserte sich die internationale Wettbewerbsposition bei Computer-Hardware, doch rund 90 Prozent der in China verwendeten Chips stammen aus dem Ausland. Bei Smartphone-Prozessoren dominieren westliche Unternehmen wie Qualcomm den Markt.
Dr. Margot Schüller und Dr. Yun Schüler-Zhou sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am GIGA-Institut für Asienstudien in Hamburg.
Margot Schüller, Yun Schüler-Zhou