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Das Nutella-Brot hat viele Fans. Am 5. Februar feiern sie sogar den „Welt-Nutella-Tag“. Foto: Gresei/Fotolia
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Nutellas neue Rezeptur: Ein riskanter Streich

Ferrero ändert die Zusammensetzung von Nutella  und setzt damit das Vertrauen der Kunden aufs Spiel. Ein Porträt einer ungewöhnlichen Marke.

Es gibt Lebensmittel, die können politische Verwerfungen auslösen. Im vergangenen Frühjahr schimpfte Ministerpräsident Viktor Orbán, „unsere Länder und Märkte werden als Müllabladeplatz benutzt“. Der slowakische Regierungschef sprang ihm bei. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker schaltete sich ein, selbst die Kanzlerin wurde involviert. Auslöser war Nutella und der Frust der Osteuropäer, dass die Nuss-Nougat-Creme bei ihnen nicht so schmackhaft und cremig ist wie im Westen des Kontinents.

Nutella ist mehr als ein Lebensmittel. In Frankreich beschäftigt sich die Staatsanwaltschaft mit der Frage, welche Namen für ein Kind zulässig sind. „Jihad“ wird gerade verhandelt. „Fraise“, Erdbeere, wurde in der Vergangenheit abgelehnt. Ebenfalls abgelehnt wurde „Nutella“. Die Terrororganisation IS warb in Internetvideos um Frauen, die sich dem Krieg in Syrien anschließen sollen. In einem Spot wurde offenbar mit dem Versprechen geworben: „Es gibt sogar Nutella, kommt hierher“.

Ferrero hat sich eine Marke aufgebaut, die mit üblichen Maßstäben kaum zu messen ist. Doch ausgerechnet damit spielt das Unternehmen jetzt in Deutschland, indem es die Rezeptur der Haselnusscreme verändert. Nicht maßgeblich, wenn man bloß auf die Zahlen schaut. Mehr Magermilchpulver ist jetzt drin. Vorher waren es 7,5, jetzt sind es 8,7 Prozent. Reduziert wurde mutmaßlich der Kakaoanteil. Nutella spricht von einer Feinjustierung, Kunden bei Twitter vom Weltuntergang.

Niemand kauft Nutella, weil es fit macht

Ein bisschen heller ist die Creme nun. Das erkennt man jedoch nur, wenn man genau hinsieht. Erst hatten sich nur ein paar Kunden beklagt. Sie meldeten sich bei der Verbraucherzentrale Hamburg. Die fragten bei Ferrero nach, aber von da kam keine Antwort. Also machten die Verbraucherschützer das Problem bei Facebook publik, und ab da häuften sich die Klagen. Über das Motiv schweigt Ferrero.

Optimierung des Produkts? Das wäre gar nicht nötig, Nutella verkauft sich seit Jahrzehnten prima. Im Geschäftsjahr 2015/16 knackte Ferrero beim Umsatz erstmals die Marke von zehn Milliarden Euro. Die Nusscreme beschäftigt rund 20 000 Mitarbeiter in dutzenden Werken auf drei Kontinenten.

Wünscht sich Ferrero vielleicht ein gesünderes Image? Absurd. Durch die neue Rezeptur hat sich zwar der Fettanteil leicht reduziert, der Zuckeranteil aber dafür von 55,9 Prozent auf 56,3 Prozenterhöht. Die braune Paste besteht zu etwa 87 Prozent aus Fett und Zucker. Niemand kauft Nutella, weil es fit macht. Unternehmen wie McDonald’s und Co. mögen verzweifelt versuchen, sich ein grünes Image zu geben, Nutella aber hat das nicht nötig. Zumal es dann wohl offensiv mit einer veränderten Rezeptur geworben hätte.

Zu vermuten bleibt also, dass es Ferrero um Profit geht, um reine Kostenersparnis. Kakao ist teuer, Magermilchpulver günstig. Das mag aufs Glas gerechnet nicht viel hermachen, aber Ferrero verkauft jedes Jahr weltweit etwa eine viertel Million Tonnen von der Creme. Der Kurs, den der Süßwarenhersteller damit einschlägt, ist riskant. „Das trifft das Herz der Marke“, sagt Konsumforscher Kai-Uwe Hellmann von der TU Berlin. Schon andere, ebenso starke Marken hätten in der Vergangenheit erfahren, was vermeintlich kleine Änderungen bedeuten können. Als das Gesicht auf der Kinderschokolade ausgetauscht wurde, war die Entrüstung groß.

In den 80er Jahren hatte Coca Cola den Versuch gewagt, die Light-Version als Hauptprodukt zu etablieren und von der klassischen Variante wegzukommen. Doch die Kunden protestierten, das Unternehmen lenkte ein. Bis heute ist das eines der größten Desaster in der Werbegeschichte. „Man kann den Kunden viel zumuten, aber wenn es an die Rezeptur geht, ist der Widerstand abzusehen“, sagt Hellmann. Das sei der „heikelste vorstellbare Fall“.

Es gibt eine eigene Briefmarke und einen Welt-Nutella-Tag

Nutella hat viel zu verlieren. Der Name ist so populär, dass er stellvertretend für Nuss-Nougat-Creme insgesamtsteht. Zum 50. Geburtstag der Creme brachte die italienische Post eine eigene Briefmarke heraus. Am 5. Februar feiert man den „Welt-Nutella-Tag“.

Manche löffeln die Gläser direkt aus, andere streiten darüber, ob zwischen Brot und Nutella Butter gehört. Wer seine Mitbewohner effektiv in den Wahnsinn treiben will, muss nur mal die Nutella in den Kühlschrank stellen. Es gibt Menschen, die bekommen schon beim Lesen dieses Textes Gänsehaut, weil da „die“ Nutella steht. Der Streit um den richtigen Artikel spaltet die Frühstückswelt, obwohl das Unternehmen selbst klarstellt, man könne jeden beliebigen Artikel verwenden.

Diesen Ruf hat sich das Unternehmen über Jahrzehnte aufgebaut. Erste Versuche startete der Konditor Pietro Ferrero in den 1940er Jahren in Alba in der italienischen Provinz Piemont. Als „Supercrema“ brachte er 1951 erstmals eine Nuss-Nougat-Creme auf den Markt. 1964 benannte er sie um. Nicht etwa, weil er sein Produkt nicht mehr super fand, sondern weil in Italien ein Gesetz erlassen wurde, nach dem das Präfix „Super“ nicht mehr für Produkte verwendet werden durfte. Seitdem heißt die Nutella Nutella – abgeleitet vom englischen Wort für „Nuss“ und der verniedlichenden italienischen Endung „ella“. Trotzdem glauben bis heute viele, Nutella komme aus Deutschland. Das Produkt als heimisch erscheinen zu lassen, ist Teil der Markenstrategie.

Nutella steht wegen des Palmöls in der Kritik

Das Unternehmen Ferrero wuchs schnell, der Sohn übernahm, später der Enkel, Pietro Junior. 2011 starb der überraschend an einem Herzinfarkt, während er in Südafrika mit dem Fahrrad unterwegs war. Sein Leichnam wurde zwischen Rohstofflager und Rösterei in der Heimat aufgebahrt. Am Tag der Beisetzung blieben die Geschäfte und Behörden in Alba geschlossen, 30 000 Menschen nahmen an der Beerdigung teil, darunter Silvio Berlusconi und Tarcisio Bertone, die damalige Nummer zwei im Vatikan.

Doch längst nicht alle lieben Nutella. Wie ungesund das doch sei, kritisieren einige. Schwer wiegt das Argument, dass Nutella zu einem erheblichen Anteil aus Palmöl bestehe – und dafür Regenwälder abgeholzt werden. 2015 rief die damalige französische Umweltministerin Ségolène Royal deshalb sogar zum Nutella-Boykott auf, zog ihre Kritik allerdings umgehend wieder zurück.

Andere können kaum ohne den Brotaufstrich. Im hessischen Niederaula stahlen Unbekannte einmal 5000 Gläser Nutella. Den Tennisspieler Ernests Gulbis kennen heute nur Liebhaber. Novak Djokovic kennt fast jeder. Beide trainierten als Jugendliche zusammen, beide galten als Talente. Nur zog sich Gulbis nach dem Training am liebsten mit einem Glas Nutella und einer Spielkonsole zurück. Der Rest ist Sportgeschichte.

Die Italiener wissen, dass Nutella nicht überall gleich schmeckt

Die Italiener lieben ihren Brotaufstrich besonders. Als 2006 die EU-Bestimmung eingeführt wurde, nach der beim Fliegen nur noch geringe Mengen Flüssigkeit unter Auflagen mit ins Handgepäck dürfen, sammelten sich Berichten von Flughafenpersonal zufolge, an deutschen Airports regelmäßig Berge an Nutellagläsern, die vor allem Italiener sehr gern mit auf Reisen und eben ins Handgepäck nahmen.

Warum nur, fragt man sich da, wo es doch Nutella wirklich überall zu kaufen gibt. Die Italiener aber kennen die Eigenarten ihres Produkts. Denn Brotaufstrich ist nicht gleich Brotaufstrich, selbst mit gleichem Etikett nicht. Die Dänen etwa mögen es süßer als die Südeuropäer, deshalb ist der Zuckeranteil dort höher (Ja, das geht). Franzosen und Italiener legen Wert auf die Konsistenz. Dort ist Nutella flüssiger, weil ihr weiches Brot und Baguette sonst beim Streichen zerfiele.

All das weiß Ferrero. Vielleicht gibt es also ja doch einen tieferen Grund, warum die Osteuropäer vermeintliche B-Ware bekommen und den Deutschen nun mehr Zucker und weniger Kakao ins Nutella gemischt wird. Doch das bleibt ein Firmengeheimnis.

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