Tattoos: Ein Leben lang gezeichnet
Millionen Menschen haben Tattoos, vor allem junge Leute. Verbote gibt es kaum, Tätowieren darf jeder. Wie gefährlich ist der Besuch im Tattoo-Studio?
Für Lina ist es das erste Mal. Lange hat sie mit sich gerungen, ob sie sich stechen lassen soll, ob sie wirklich ein Tattoo will. Doch dann ging plötzlich alles hoppladihopp. Entscheidung gefällt, Termin gemacht. Nun sitzt sie in einem Tattoo-Studio in Berlin-Mitte mit ihrer Freundin, die sich ebenfalls tätowieren lassen will. Lina möchte was Familiäres, sie will sich die Anfangsbuchstaben ihrer Eltern und ihrer Schwester in die Haut stechen lassen. „Ästhetisch soll es sein“, sagt sie. Aber auch nicht zu auffällig. So, dass sie das Tattoo im Job „auch mal verstecken kann“.
Damit unterscheidet sie sich von den Tattoo-Junkies. Mit ein paar läppischen Buchstaben geben sie sich nicht zufrieden. Möglichst groß, möglichst bunt, möglichst spektakulär soll es sein. Sich tätowieren lassen, kann süchtig machen. Erst kommt der Anker, dann die Meise, und am Ende zieht sich ein Drachen über den ganzen Rücken. Aus dem Körperschmuck von Matrosen und Ganoven ist längst ein Körperkult geworden, der alle gesellschaftlichen Grenzen sprengt. Im Tattoo-Studio treffen Bauarbeiter, Bankangestellte und BWL-Studenten auf einander. Und: Immer mehr Kunden sind weiblich.
Wie viele Bundesbürger tätowiert sind, weiß niemand so ganz genau. Acht bis zehn Millionen, lautet eine eher vorsichtige Schätzung der Uni Bochum, die Uni Leipzig geht dagegen von 16 Millionen Menschen aus. Klar ist aber: Vor allem junge Leute entscheiden sich für ein Tattoo. Von den Unter-30-Jährigen seien es bereits ein Drittel, sagt die CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann.
Die Fraktionsvize der Union im Bundestag ist alarmiert. Sie hält Tattoos für gesundheitlich riskant und will daher im November Wissenschaftler, Verbände, Farbenhersteller und andere Fachleute zu einem Tattoo-Gipfel einladen. „Krankenkassen und Ärzte schlagen wegen zunehmender Krankheitsbilder in Zusammenhang mit Tätowierungen Alarm“, sagte Connemann dem Tagesspiegel. „Forschungsinstitute warnen vor giftigen Stoffen und möglichen Folgeschäden für den Körper. Damit ist klar: Es gibt Handlungsbedarf“, drängt die CDU-Frau.
Politiker fordern mehr Kontrollen
Den sieht Connemann auch bei den Tätowierern. „Bisher kann jeder mit einem Starter-Kit loslegen“, ärgert sie sich. „Es gibt keine Kontrolle.“ Tatsächlich reicht die Anmeldung beim Gewerbeamt, um anderen unter die Haut gehen zu dürfen. Tätowierer müssen keine staatlich anerkannte Ausbildung absolvieren. Das wird auch vorerst so bleiben. Eine über die Gewerbeanmeldung hinaus gehende Regulierung „ist von Seiten des Bundeswirtschaftsministeriums derzeit nicht geplant“, heißt es auf Tagesspiegel-Anfrage. Die Tätowierbranche habe nämlich bisher keine entsprechenden Vorschläge gemacht.
Dabei hantieren die Tätowierer mit gefährlichem Werkzeug. Elektrische Maschinen stechen die Nadel mehrere Tausend Mal pro Minute in die Haut. Die Nadel durchbohrt die Epidermis, die oberste Schicht, und dringt in die Lederhaut ein. Manchmal geht die Nadel noch tiefer – in die Unterhaut. „Es kann zu Blutungen kommen und zur systemischen Verteilung der Tätowiermittel im Körper über Blut- und Lymphgefäße“, warnt Peter Laux vom Bundesinstitut für Risikobewertung.
Das Problem: „Es gibt überhaupt keine Erkenntnisse, wie Tätowiermittel langfristig wirken“, betont der Wissenschaftler. Die geltende Tätowiermittelverordnung verbietet zwar 38 Stoffe, besser wäre aber eine Positivliste mit unbedenklichen Inhaltsstoffen. Ganz düster wird es bei den farbgebenden Pigmenten. Die werden nämlich nicht etwa speziell fürs Tätowieren hergestellt, sondern für Autolacke, Plastik und Druckertinte. Einer Verwendung in Tattoofarben haben die Hersteller nicht zugestimmt – um keine Haftung zu übernehmen. Zuständig für schärfere Vorschriften wäre das Bundesernährungsministerium. Doch Ministerin Julia Klöckner hält nationale Schritte für falsch, sie strebt europaweite Regelungen zur Sicherheit von Tätowiermitteln an. Und setzt auf Information. Auf der Internetseite „safer-tattoo.de“ können sich Jugendliche und junge Erwachsene informieren, betont ihr Haus.
Beratungsfristen sind im Gespräch
Gitta Connemann reicht das nicht. Sie will neben einer strengeren Regulierung der Branche auch eine Bedenkzeit für die Kunden. "Es darf nicht sein, dass eine Entscheidung, die lebenslang sichtbar sein wird, spontan, ohne Beratung und ungesichert erfolgen kann", meint die CDU-Politikerin. Mit Beratungsfristen, die zwischen der Beratung und dem Tätowieren liegen, könnten Spontantattoos unter Gruppendruck oder Alkohol verhindert werden.Weil viele Tattoos unter Gruppendruck und Alkoholeinfluss zustande kommen, will sie über die Einführung von Beratungsfristen sprechen, so wie bei Schwangerschaftsabbrüchen. „Erst beraten, dann warten, dann tätowieren – wenn es überhaupt noch dazu kommt“, sagt die Fraktionsvize.
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Klaus Hoffmann hält nichts davon, Tattoos zu verteufeln. Der Dermatologe leitet die Abteilung für ästhetisch operative Medizin und kosmetische Dermatologie im St. Josef-Hospital Bochum. Die Uniklinik beschäftigt sich schon seit Jahren mit Tattoos – und auch der Frage, wie man ungeliebte Muster wieder los wird (siehe Kasten). Hoffmann hält die Aufregung für übertrieben. „Studien zeigen, dass tätowierte Menschen nicht häufiger krank sind als Menschen ohne Tattoos“, betont der Mediziner. Es gebe keine Auffälligkeiten, wenn man sich die Epidemiologe anschaue. Hoffmann räumt zwar ein, dass Inhaltsstoffe von Tattoos toxisch oder krebserregend werden könnten, wenn die tätowierte Haut der Sonne ausgesetzt sei. Doch das sei eine eher theoretische Sorge. „Wir haben bisher nicht feststellen können, dass das in der Praxis relevant ist“, betont der Arzt.
Auch die Sorge vor unhygienischen Studios könnte übertrieben zu sein. Zwar gibt es – wie in jeder Branche – schwarze Schafe, doch scheinen das eher Einzelfälle zu sein. Alle zwei Jahre überprüft das Gesundheitsamt im tätowierfreudigen Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg die 43 dort bekannten Studios. Es sei zu vereinzelten Beanstandungen gekommen, teilt das Bezirksamt auf Anfrage mit. Wer nun aber an schmutzige Nadeln oder Blutbäder denkt, liegt falsch. In Einzelfällen hätten Hautdesinfektionsmittel, Hygienepläne oder Erste-Hilfe-Kästen gefehlt.
Mitarbeit: Franziska Mitschke
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