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Kraftakt: Für die Fitnessstudios und ihre Mitglieder ist die Coronakrise eine große Herausforderung.
© picture alliance / Marijan Murat

Fitnessbranche im Lockdown: „Ein Drittel der Fitnessstudios wird nicht überleben“

Johannes Maßen, Deutschlandchef von Fitness First, warnt: Mitglieder gehen, neue kommen nicht. Reichen die staatlichen Hilfen? Ein Interview.

Das ist Pech: Pünktlich zum zweiten Lockdown im vergangenen November ist Johannes Maßen Chef der Fitnessstudiokette Fitness First geworden. 53 Clubs hat das Unternehmen, das zur Life-Fit-Gruppe des Finanzinvestors Oaktree gehört, in Deutschland. Mit Ausnahme der Studios in Hessen, die als Pilotprojekt vorübergehend öffnen durften, sind alle Clubs zu. Der Fitnessbranche, die zu Spitzenzeiten elf Millionen Mitglieder und 7000 Studios zählte, setzen die wiederholten Lockdowns schwer zu: Verträge laufen aus oder werden gekündigt, neue Mitglieder kommen nicht nach. Die Betreiber sind frustriert und wollen wieder öffnen. Sie verweisen auf Studien, denen zufolge man sich im Fitnessstudio praktisch nicht mit Corona infiziert.

Johannes Maßen ist Geschäftsführer von Fitness First Deutschland.
Johannes Maßen ist Geschäftsführer von Fitness First Deutschland.
© promo

Herr Maßen, wie fühlen Sie sich als Herr über leere Fitnessstudios?
Ich habe mich über das Angebot, Geschäftsführer zu werden, gefreut. Für mich war es nach zehn Jahren im Unternehmen eine Ehre, trotz der schwierigen Umstände. Und sehen Sie: Es kann doch nur bergauf gehen. Man muss das Beste aus der Krise machen.

Was heißt das?
Wir haben die Zeit genutzt, um unsere Abläufe zu verbessern und zu digitalisieren. Wir wollen uns noch besser um unsere Kunden kümmern können, wenn die Studios wieder öffnen dürfen. Die Menschen sollen spüren, dass das Training im Studio besser ist als Fitnessübungen zu Hause.

Für die Fitnessstudios dürfte es aber vorerst nicht bergauf gehen. Angesichts der bundesweiten Notbremse ist mit schnellen Öffnungen nicht zu rechnen.
Für uns ist das frustrierend. Auch weil es mit Blick auf die Pandemie der falsche Weg ist. Wer Sport treibt, stärkt sein Immunsystem und senkt das Risiko, an Corona zu erkranken. Wir sind daher nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung. Wir kämpfen dafür, wieder eröffnen zu dürfen. Viele Studiobetreiber haben sich zu diesem Zweck zusammengeschlossen und appellieren an die Politik. Wir sind Teil der Initiative „Gesundheit braucht Fitness“ - unter anderem sind dort auch FitX, Easyfitness, Cleverfit, Xtrafit und Jumpers mit dabei.

Wie hoch ist das Ansteckungsrisiko im Fitnessstudio?
Studien wie die „Safe-Active-Studie“ zeigen, dass es praktisch nicht existiert. Bei 62 Millionen analysierten Besuchen hat es im vergangenen Jahr in Europa gerade einmal 487 Corona-Infektionen gegeben, das ist eine Quote von 0,78. Wir haben das Infektionsrisiko im vergangenen Jahr auch speziell für unsere Clubs untersucht: Bei Fitness First waren es sogar nur 0,37 Infektionen auf 100.000 Besucher.

Fitness First hat hierzulande 53 Studios und liegt in Deutschland gemessen an der Zahl der Anlagen auf Platz sieben. Das Unternehmen gehört dem Finanzinvestor Oaktree.
Fitness First hat hierzulande 53 Studios und liegt in Deutschland gemessen an der Zahl der Anlagen auf Platz sieben. Das Unternehmen gehört dem Finanzinvestor Oaktree.
© imago images/rheinmainfoto

Obwohl man beim Training keine Maske trägt? Die Sporttreibenden sind ungeschützt, und es wird auch noch geschwitzt.
Unsere Fitnessstudios in Hessen durften ja - im Gegensatz zu den anderen Bundesländern - öffnen. Auf 40 Quadratmetern ist gerade einmal ein Besucher zugelassen. Das sind doch ganz andere Verhältnisse als im Supermarkt. Es herrscht Maskenpflicht, wenn man im Studio unterwegs ist. Die Menschen müssen für das Training vorher online Zeitslots buchen, die dauern jeweils 75 Minuten. Danach wird das Studio erst einmal gereinigt, bevor die nächsten Mitglieder kommen. Fitnesskurse finden zurzeit gar nicht statt. Man kann bei uns sehr, sehr sicher trainieren. Allerdings dürfte das neue Infektionsschutzgesetz des Bundes dem hessischen Modell wohl ein Ende setzen.

Ist Hessen die Blaupause für die Wiederöffnung der derzeit geschlossenen Studios?
An den Terminvergabe-Slots wollen wir auf jeden Fall für eine gewissen Zeit festhalten, selbst wenn die nicht vorgeschrieben werden. Das schafft Sicherheit für unsere Kunden und für unsere Mitarbeiter.

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Wie reagieren Ihre Kunden? Kommen die, wenn die Studios geöffnet sind?
Ja, in Hessen sind alle Slots ausgebucht. Die Leute haben Lust, endlich wieder bei uns zu trainieren, obwohl Duschen und Umkleidekabinen geschlossen sind. Digitales Training kann das Training vor Ort nicht ersetzen. Wir haben in Hessen übrigens auch Neuabschlüsse. Die Menschen wollen trainieren, aber sie müssen sich sicher fühlen. Bei uns gilt daher: Safety first. Wir lassen unser Hygienekonzept von der Dekra regelmäßig überprüfen.

Sollte man Geimpften Sonderrechte geben?
Wir halten uns natürlich an das Gesetz.  Aber ich warne vor einer Zwei-Klassen-Gesellschaft im Fitnessstudio. Ich möchte nicht einem Stammkunden sagen, dass er nicht trainieren kann, und das anderen erlauben. So lange nicht jeder die Chance auf eine Impfung hat, schafft das nur böses Blut.

Nichts los: Fitnessstudios sind seit November geschlossen.
Nichts los: Fitnessstudios sind seit November geschlossen.
© imago images/Future Image

Was kostet die Mitgliedschaft bei Ihnen im Monat?
Je nach Ausstattung des Studios und Vertragslaufzeit sind es 45 bis 85 Euro im Monat.

Buchen Sie Ihren Mitgliedern auch dann Beiträge ab, wenn ihr Club geschlossen ist?
Ja. Aber wir bieten den Mitgliedern auf Wunsch eine Beitragspause an. Sie müssen dann für die Zeit der Schließung nicht zahlen, der Vertrag verlängert sich aber um diese Zeit. Wer das will, kann das direkt selber auf der Website für jeden Schließungsmonat beantragen. Variante zwei: Die Mitglieder zahlen weiter und bekommen dafür ein Upgrade auf die höchste Clubkategorie, Gutscheine fürs Personal Training und für ihre Freunde.

Für welche Variante entscheiden sich Ihre Kunden?
Fast 60 Prozent der Mitglieder zahlen weiter ihre Beiträge. Wir sind natürlich froh darüber. Wir haben zwar einen finanzstarken Investor im Hintergrund, aber wir haben durch den Lockdown enorme finanzielle Einbußen. Das größte Problem ist, dass wir keine neuen Mitglieder gewinnen können. Eine Fluktuation ist in Fitnessstudios normal, Verträge laufen aus oder Menschen kündigen. Diese Verluste werden üblicherweise durch die neuen Mitgliedschaften ausgeglichen. Jetzt geht das nicht, gleichzeitig laufen unsere Fixkosten weiter. Wir haben derzeit 25 bis 30 Prozent weniger Mitglieder, das ist in der gesamten Branche so. Für die Fitnessstudiobetreiber ist das schwer zu verkraften.

Haben Sie Mitarbeiter entlassen?
Nein, die meisten sind in Kurzarbeit.

Reichen die staatlichen Hilfen, um den Schaden zu decken?
Es ist gut, dass wir Hilfen bekommen können. Wir haben Unterstützung beantragt, aber der Großteil des Geldes steht noch aus. Aber selbst, wenn die Hilfe in voller Höhe fließt, gibt es für Branchen wie unsere, die mit Abomodellen arbeiten, ein grundsätzliches Problem – auch wenn Corona vorbei ist. Wir brauchen nämlich Jahre, um die Mitgliederzahlen der Vor-Krisen-Zeit zu erreichen. Pro Mitglied, das fehlt, geht es um 24 Monate. So lange laufen die Verträge ja meistens. Und hinzukommt: Auch wenn wir wieder öffnen dürfen, sind wir angesichts der dann geltenden Beschränkungen von einem normalen Betrieb noch weit entfernt. Wir plädieren daher bei der Politik für eine langfristige Unterstützung.

Allein unterwegs: Viele Menschen haben damit begonnen zu joggen.
Allein unterwegs: Viele Menschen haben damit begonnen zu joggen.
© imago/photothek

Wann wird wieder alles normal sein?
Ich glaube, die Krise ist auch eine Riesenchance. Das Gesundheitsbewusstsein der Menschen ist durch die Pandemie gewachsen. Bis 2037 wird sich die Zahl der Fitnessstudio-Kunden verdoppeln, schätze ich.

 Wie viele Unternehmen werden das nicht mehr erleben? Wie viele Studios überleben die Lockdowns nicht?
In den USA hat jedes dritte Studio wegen Corona Insolvenz angemeldet, und ich gehe für Deutschland von einer ähnlichen Quote aus.

 Trifft es eher die Kleinen oder die Ketten?
 Das ist schwer zu sagen. In den USA hat es auch große Ketten wie Gold's Gym getroffen. Kleine sind natürlich besonders gefährdet, aber wir wissen auch von großen Ketten, die Probleme haben.

 Wie viele Studios haben Sie in Deutschland?
Wenn Sie die gesamte Life-Fit-Gruppe nehmen, zu der wir gehören, sind es 80. Fitness First hat davon allein 53 Studios.

Liegt auch im Trend: Workout im Wohnzimmer.
Liegt auch im Trend: Workout im Wohnzimmer.
© AFP

Werden alle Ihre Studios nach dem Lockdown wieder aufmachen?
 Nach dem Lockdown werden alle Fitness-First-Clubs wieder eröffnen. Es sind derzeit keine Schließungen vorgesehen. Allerdings müssen wir die wirtschaftliche Lage der Studios im Blick behalten und schauen, wie sich die Clubs entwickeln.

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 Viele Menschen haben sich Laufbänder oder Spinning-Räder gekauft und trainieren jetzt zu Hause. Kommen die zurück?
 Ja. Man will doch mit anderen zusammen trainieren. Hinzu kommt, dass die Ausstattung im Studio besser ist. Auch wir bieten ja online Kurse an, Personal Training und Ernährungsberatung. Das haben wir auch im vergangenen Frühjahr gemacht, die Nachfrage war riesig. Aber kaum waren die Studios wieder auf, haben sich die Leute nicht mehr für das Hometraining interessiert. Nur noch zwei, drei Prozent haben unsere Online-Angebote dann noch genutzt.

Um dem Lockdown auszuweichen, baut McFit Geräte auf Parkplätzen auf. Planen auch Sie solche Outdoor-Fitnessstudios?
Wir haben auch Outdoor-Konzepte in der Schublade, etwa für das Training von kleinen Gruppen draußen im Park, falls das mal wieder erlaubt wird. Wir könnten auch Boxen aufstellen für das Training draußen. Aber das ist nicht unser Fokus, und Aufwand und Ertrag müssen in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Wir versuchen eher, die Politik davon zu überzeugen, wie wichtig es ist, dass die Studios wieder öffnen.

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