Deutsche Unternehmen holen auf: Ein bisschen mehr Macht für Frauen in Chef-Etagen
Jeder zehnte Vorstandsposten ist inzwischen von einer Frau besetzt. Ein Gesetz soll den Druck auf Unternehmen weiter erhöhen – mit Geldstrafen.
Die erste Chefin an der Spitze eines deutschen Dax-Konzerns ist gegen Frauenquoten. Trotzdem will Jennifer Morgan bei SAP für mehr Gleichberechtigung sorgen, Frauen besser bezahlen. Um die beiden Söhne kümmere sich währenddessen ihr Ehemann, sagt die 48-Jährige. Die Schuldgefühle, nicht so viel Zeit für die Kinder zu haben, habe sie hinter sich gelassen.
Das Beispiel zeigt: Alles zu haben, scheint oft unmöglich. Zumindest gibt es inzwischen aber die Option, dass Frauen das erreichen können, was Männer seit Ewigkeiten tun: ganz oben mitentscheiden. Aus dem neuesten Managerinnen-Barometer des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) geht hervor, dass die 200 umsatzstärksten deutschen Unternehmen erstmals die Zehn-Prozent-Marke knackten: 94 von 907 Vorstandsposten hatten 2019 Frauen inne. 2018 waren es neun Prozent.
Das vergangene Jahr war ohnehin besonders: Am 10. Oktober bekam Deutschland mit der Amerikanerin Jennifer Morgan seine erste Dax-Chefin. Knapp zwei Wochen zuvor hatte Martina Merz (56) bei Thyssen-Krupp den Topjob übernommen. Außerhalb der Unternehmenswelt leitet eine Frau die IG Metall. Eine Frau an der Spitze hat auch der Verband der Automobilindustrie (VDA). Mit Ursula von der Leyen als neuer EU-Kommissionspräsidentin und Christine Lagarde als neuer Präsidenten der Europäischen Zentralbank gibt es weitere prominente Vorbilder für Frauenkarrieren.
Franziska Giffey will Sanktionen einführen
„Trotz der zuletzt positiven Entwicklung in den Vorständen kann noch keine Rede davon sein, dass in sämtlichen Chefetagen das Umdenken begonnen hätte“, gibt die Gleichstellungs-Expertin Katharina Wrohlich vom DIW zu bedenken. Eine wirkliche Gleichstellung sei nach wie vor in weiter Ferne. In ihrer Studie haben Wrohlich und Anja Kirsch von der Freien Universität (FU) Berlin mehr als 500 Unternehmen untersucht. Die Zahlen wurden im Herbst 2019 erhoben, auf Basis von Anfragen bei den Unternehmen, deren Angaben im Internet oder Geschäftsberichten.
Laut dem Managerinnen-Barometer verdichten sich zudem die Anzeichen, dass die gesetzliche Geschlechterquote für Aufsichtsräte, an die gut 100 Unternehmen in Deutschland seit dem Jahr 2016 gebunden sind, mehr und mehr auf die Vorstände ausstrahlt.
Unter den Top-200-Unternehmen ist der Frauenanteil im Vorstand jener Unternehmen, die der Regelung unterliegen, im vergangenen Jahr deutlich gestiegen – von acht auf 12,3 Prozent. Bei den übrigen Unternehmen stagnierte der Anteil der Vorständinnen bei gut neun Prozent. Vermutlich haben aber auch öffentliche Diskussionen den Druck erhöht – wie etwa um das Thema „Zielgröße Null“, die sich viele Unternehmen bezüglich des Frauenanteils im Vorstand noch immer setzen.
Das will die Familienministerin nicht länger hinnehmen. Großunternehmen, die ohne Angabe von Gründen auf Frauen an der Unternehmensspitze verzichten, müssen künftig mit hohen Bußgeldern rechnen. Das kündigte Franziska Giffey (SPD) kürzlich an.
Gemeinsam mit Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) bereitet sie einen Gesetzentwurf dafür vor. Damit folge man den Vorgaben des Koalitionsvertrages, sagte Giffey. „Wir sind uns einig, dass Unternehmen nicht einfach so das Ziel haben können, dauerhaft null Frauen im Vorstand zu haben. Deshalb wollen wir für die großen Unternehmen, die dafür keine stichhaltige Begründung angeben, empfindliche Geldstrafen einführen“, sagte Giffey. 70 Prozent aller Unternehmen würden diese Angabe nennen. „Diese Unternehmen wollen gar nicht, dass sich etwas verändert“, meinte Justizministerin Lambrecht.
Aufsichtsrätinnen nutzen Macht zu wenig
Die Antworten aus Interviews mit 60 Aufsichtsrätinnen und Aufsichtsräten, die im Rahmen eines Forschungsprojekts der FU Berlin geführt wurden, zeigen, dass Aufsichtsratsmitglieder in vielerlei Hinsicht die Besetzung von Vorstandsposten beeinflussen können.
Sie sind beispielsweise direkt an Personalentscheidungen beteiligt oder legen Zielgrößen für den Frauenanteil in Vorständen fest. „Vielerorts schöpfen Aufsichtsrätinnen und Aufsichtsräte ihre Möglichkeiten aber (noch) nicht vollends aus“, sagt Kirsch, die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur für Personalpolitik an der FU Berlin ist. „Weiterer politischer und gesellschaftlicher Druck könnte ihnen den Rücken stärken und sie zu weitergehenden Maßnahmen ermuntern“.
Darüber hinaus seien eine andere Arbeitskultur, andere Erwartungen nötig, um mehr Frauen Führungspositionen zu ermöglichen. „Ist es wirklich notwendig, dass diese Stellen mit einer so enormen Arbeits- und zeitlichen Belastung einhergehen? Oder ließe sich das auch anders organisieren?“, fragt Wrohlich rhetorisch. Unternehmen sollten in eigenem Interesse umdenken, um genügend gute Mitarbeiter zu haben. Studien zeigen außerdem, dass divers aufgestellte Unternehmen innovativer sind.
Übrigens: Im vergangenen Oktober war im Schnitt fast jeder dritte Aufsichtsratsposten in den 186 größten börsennotierten deutschen Unternehmen mit einer Frau besetzt. Mindestziel erreicht. Vor der Einführung dieser Quote hatten viele Unternehmen behauptet, es gebe nicht genügend Kandidatinnen, die passen.
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