Lagarde, Nikutta, Morgan: Diese Frauen werden 2020 wichtig
In klassischen Männerdomänen übernehmen zunehmend Frauen herausragende Funktionen. Ein Überblick.
In den Vorständen der 30 wichtigsten Börsenkonzerne sind Frauen noch immer in der Minderheit. Ihr Anteil stagniert bei 14 Prozent, zeigt eine Auswertung der Personalberatung Odgers Berndtson. Doch Experten sehen einen Trend: Frauen übernehmen zunehmend Verantwortungsbereiche, die bislang von Männern dominiert werden - etwa in Gewerkschaften oder der Industrie. Welche weiblichen Führungskräfte könnten 2020 im Vordergrund stehen? Ein Überblick.
Kerstin Andreae
Vor zehn Jahren wäre es unvorstellbar gewesen, dass der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) eine Grünen-Politikerin zur Geschäftsführerin macht. Doch seit November 2019 ist genau das Realität. Die 51-jährige Kerstin Andreae, die seit 2002 für die Grünen im Bundestag Wirtschaftspolitik gemacht hatte, führt den wichtigsten Energieverband. Dem BDEW passt die Freiburger Volkswirtin in die Strategie. Spätestens seit der Katastrophe von Fukushima 2011 ist dem Verband klar, dass die Energieerzeugung erneuerbar werden muss.
Mit Johannes Kempmann hatte der BDEW bereits einen ehemaligen Grünen-Politiker als Präsidenten. Und auch dessen Nachfolgerin Marie-Luise Wolff steuert einen grünen Kurs. Andreae will die Energiewirtschaft zum Partner anderer Branchen bei deren Dekarbonisierung machen. „Ohne uns keine E-Mobilität mit grünem Strom, ohne uns keine CO2-armen Produktionsprozesse in der Industrie“, sagt sie. In diesem Jahr werde sie eine Roadmap zu Wasserstoff und grünen Gasen sowie einen Plan zum Photovoltaik-Ausbau vorlegen.
Christiane Benner
Der Frühling in diesem Jahr kann heiß werden. Ende März laufen die Tarifverträge in der Metall- und Elektroindustrie aus, und nach Ostern wird die IG Metall Dampf machen. Die zweite Vorsitzende der größten deutschen Gewerkschaft ist seit 2015 Christiane Benner; seit ihrer Wiederwahl im letzten Oktober will sie mehr. Der Vorsitzende Jörg Hofmann ist nach einem dünnen Wahlergebnis von 71 Prozent geschwächt, Benner mit gut 87 Prozent selbstbewusst genug, um die Nachfolge Hofmanns anzustreben.
Das wäre tatsächlich eine Sensation: Zum ersten Mal in der gut 130-jährigen Geschichte der Metallgewerkschaft würde eine Frau die 2,3 Millionen Mitglieder führen. Die 51-jährige Soziologin traut sich das zu. Ob sich das auch die IG Metall zutraut, deren Mitgliedschaft zu 80 Prozent männlich ist? In diesem Jahr steht das SPD-Mitglied Benner, die für die IG Metall in den Aufsichtsräten von BMW und Conti sitzt, jedenfalls unter besonderer Beobachtung.
Janina Kugel
Das kann doch noch nicht alles gewesen sein: In einer Woche feiert Janina Kugel ihren 50. Geburtstag, und einige Wochen später verlässt sie den Vorstand der Siemens AG. Fünf Jahre war die Ökonomin für das Personal im Weltkonzern zuständig – rund 350.000 Beschäftigte. „Keine andere Vorständin in Deutschland sendet so gekonnt und kompetent ihre Botschaften“, würdigte das „Manager Magazin“ die Personalchefin, für die „Inklusion und Empowerment“ die entscheidenden Erfolgsfaktoren sind. Die „strukturelle Diskriminierung in unserer Gesellschaft“ will sie überwinden und die Fähigkeiten und das Wissen aller nutzen. In diesem Jahr als Co-Vorsitzende des neuen „Rat der Arbeitswelt“, eine Art Sachverständigenrat zur Zukunft der Arbeit. Das ist ein Ehrenamt. Und wird Kugel keinesfalls auslasten.
Martina Merz
Als Unternehmensberaterin sollte es eigentlich passen mit der Work-Life-Balance: wenig Arbeit, viel Geld. Womöglich hat sich das Martina Merz 2015 auch so vorgestellt, nachdem sie nach gut zwei Jahrzehnten in operativen Funktionen bei Bosch in den Beraterinnenstatus wechselte, einige gut dotierte Aufsichtsratsmandate inklusive. Im Februar 2019 wurde sie Vorsitzende des Aufsichtsrats bei Thyssen-Krupp – eigentlich ein toller Job bei einer Industrie-Legende.
Doch seit Jahren geht es drunter und drüber im Essener Konzern. Nachdem sich Guido Kerkhoff, der in einer Notlage im Sommer 2018 als Verlegenheitslösung zum Vorstandsvorsitzenden befördert worden war, ein Jahr später wegen notorischer Entscheidungsschwäche abberufen werden musste, hatte Merz keine Wahl: Seit Oktober ist die 56-Jährige nun Vorstandschefin mit einem Rucksack voller Altlasten: Was wird aus dem Stahlbereich, nachdem die EU die Fusion mit Tata torpediert hat? Wer übernimmt wie viele Anteile an der Aufzug- und Fahrtreppensparte? Und gibt es überhaupt Spielraum für Investitionen trotz hohem Schuldenstand? Merz hat ein extrem schweres Jahr vor sich. Glückauf!
Jennifer Morgan
Erstmals überhaupt führt eine Frau einen der 30 Dax-Konzerne: die US-Amerikanerin Jennifer Morgan übernahm im Oktober zusammen mit Christian Klein die Führung des Software-Konzerns SAP. Morgan hat Betriebswirtschaftslehre an der James-Madison-Universität in Harrisonburg studiert. Zu SAP kam sie bereits 2004. Zunächst leitete sie die Public-Sector-Organisation von SAP in Nordamerika. In dieser Funktion beschäftigte sie sich frühzeitig mit Zukunftstechnologien: So sprach Morgan 2012 als Expertin im US-Kongress über die Bedeutung von Cloud- Computing, Big Data und Mobility in Transformationsprozessen.Später wurde Morgan Präsidentin von SAP Nordamerika.
In dieser Position engagierte sie sich für die Themen Gleichstellung und Diversity. Unter Morgans Führung wurde SAP Nordamerika erstmals in der Liste der 100 besten Arbeitgeber des Magazins „Forbes“ aufgeführt. Die Managerin machte jedoch nicht nur durch innerbetriebliche Reformen auf sich aufmerksam. In den vergangenen Jahren wurde sie zu einer der bekanntesten Stimmen von SAP in der internationalen Debatte um Digitalisierungsfragen. Das Magazin „Fortune“ führte sie 2019 in der Liste der 100 einflussreichsten Frauen der Welt.
In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ kündigte Morgan im vergangenen November an, die oft als kompliziert empfundenen Produkte von SAP vereinfachen zu wollen. Das gehe jedoch nur, wenn man weiter an der Unternehmenskultur arbeite. „Wir müssen lernen, selbst einfacher zu werden, sonst können wir keine einfachen Lösungen bieten“, sagte die SAP-Chefin. „Und schon gar nicht einfach erklären.“
Hildegard Müller
Keine andere Branche ist so von Männern dominiert wie die Autoindustrie. Womöglich hat dieser Umstand zu jener Selbstgefälligkeit beigetragen, die diese wichtigste deutsche Industrie von einem Skandal zum nächsten stolpern ließ. Jetzt kommt eine Frau ans Steuer des Verbandes der Autoindustrie (VDA), die viel kann. Hildegard Müller (52) hat Berufserfahrungen, die sie für das VDA-Präsidentenamt prädestinieren: In der Politik zog die Vertraute von Angela Merkel 2005 als deren Staatsministerin mit ins Kanzleramt.
Als Chefin des Energieverbandes BDEW führte Müller von 2008 bis 2016 eine der größten Interessenorganisationen hierzulande, und in den vergangenen Jahren erlebte sie als Vorstand von RWE/Innogy die Konzernwelt von innen. Müller ist ambitioniert und zielorientiert, kundig im Detail und durchsetzungsstark. Nach dem glücklosen Bernhard Mattes an der Spitze des VDA bekommt die Branche eine selbstbewusste Frau, die eine schlichte Botschaft unter das ökologisch geprägte Volk bringen soll: Die Autoindustrie hat verstanden und steht für saubere Mobilität.
Sigrid Nikutta
Mit Baustellen kennt sich Sigrid Nikutta aus. Als Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe war ihr Talent als Krisenmanagerin gefragt, wenn es im ÖPNV klemmte. Am 1. Januar hat die 50-Jährige bei der Deutschen Bahn den neu geschaffenen Vorstandsposten Güterverkehr übernommen. Damit ist Nikutta verantwortlich für die Großbaustelle des Konzerns. 2019 hat DB Cargo 300 Millionen Euro Verlust eingefahren, der Marktanteil ist auf unter 50 Prozent gerutscht, die Motivation der 29.000 Beschäftigten bescheiden.
Flankiert vom „Masterplan Schienengüterverkehr“ der Bundesregierung soll die Frau an der Cargo-Spitze Ideen für eine Trendwende des gesamten Güterverkehrs der DB entwickeln. Nikutta kennt das Unternehmen, bis 2010 leitete sie die polnische DB Cargo-Bahntochter. Der Mutter von fünf Kindern wird nachgesagt, dass sie der Top-Job mit viel Einfluss reizt. Nikutta ist mit Hilfe der Gewerkschaften Vorstand geworden. Das dürfte helfen, wenn die Sanierung auch das Personal trifft.
Christiane Schönefeld
Ihre Vorgängerin war die erste Frau im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA), doch nach einem zähen internen Machtkampf wurde Valerie Holsboer im vergangenen Juli abgewählt. Das war zuvor erst einmal geschehen. Nun kümmert sich Christiane Schönefeld im dreiköpfigen BA-Vorstand um das Thema „Ressourcen“ und soll das schaffen, was Holsboer angeblich nicht konnte: Deutschlands größte Behörde so umbauen, wie es für die Zukunft notwendig ist.
Die Arbeitsagenturen sollen sich nicht mehr nur auf die reine Vermittlung von Jobs konzentrieren, sondern Beschäftigte unterstützen, die im Zuge der Digitalisierung künftig anders arbeiten werden. „Insofern müssen wir – weil wir uns ja dann entsprechend auch dafür aufstellen werden – uns stärker als Beratungsorganisation aufbauen. Das ist für mich die große Transformation, die jetzt ansteht“, sagt Schönefeld. Sie gilt als Urgestein in der Behörde, die rund 100.000 Mitarbeiter beschäftigt und etliche Milliarden bewegt. 1986 hatte sie sich nach dem Jura-Studium arbeitslos gemeldet – und war vom zuständigen Arbeitsamt an die eigene Behörde vermittelt worden. Die vergangenen 15 Jahre leitete sie die Geschäftsführung der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesagentur.
Christine Lagarde
Mit ihren Vorgängern im Amt will die Französin nicht verglichen werden. „Ich werde anders sein“, sagt Christine Lagarde. „Ich werde ich sein.“ Seit Anfang November leitet sie die Europäische Zentralbank (EZB) – als erste Frau und erste Juristin. Von ihr hängt ab, wie lange die Zinsen im Euroraum niedrig bleiben. Wie lange die EZB jeden Monat für Milliarden Anleihen kauft. Diese Entscheidungen trifft sie zwar zusammen mit den Kollegen im EZB-Rat.
Doch dieses Gremium war zuletzt so zerstritten wie nie. Zehn von 25 Mitglieder sollen gegen die weitere Lockerung der Geldpolitik gestimmt haben, die Lagardes Vorgänger Mario Draghi als letzte Amtshandlung noch durchgedrückt hat. Mit Sabine Lautenschläger ist sogar ein Mitglied des Rats zurückgetreten. Lagarde wird das Gremium erst einmal einen müssen. Vorgenommen hat sich die Frau, die zuvor in Frankreich Finanzministerin war und zuletzt acht Jahre lang den Internationalen Währungsfonds (IWF) geleitet hat, aber noch mehr.
Sie will die Strategie der Zentralbank grundsätzlich überprüfen. Es soll sowohl um das Inflationsziel gehen, an dem die EZB ihre Politik ausrichtet, als auch um den Klimawandel – und damit um die Frage, ob die Zentralbank künftig vorrangig grüne Anleihen kaufen wird.
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