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Menschenleerer Strand in Griechenland. Dort gab es schon 2020 ein digitales Einreisemanagement.
© imago images / Peter Schickert

Mit digitalem Impfpass und KI: Dürfen wir so wieder verreisen?

Digitale Corona-Gesundheitspässe mit Testergebnissen und Impfnachweisen sollen Reisen bald wieder möglich machen. Auch darüber verhandeln heute die EU-Regierungschefs.

Als in deutschen Gesundheitsämtern die analogen Aussteigekarten von Reiserückkehrern noch in Papierstapeln vergilbten, lief in Griechenland „Project Eva“ längst auf Hochtouren. Das vom Tourismus abhängige Land wollte coronasichere Einreisen schnell ermöglichen. Die Regierung in Athen nutzte dafür schon im Sommer künstliche Intelligenz und selbstlernende Algorithmen.

„Statt auf ungenaue und pauschale Maßnahmen wie eine zweiwöchige Quarantäne zu setzen, verwertet Eva Echtzeitdaten, um Empfehlungen für Entscheidungsträger zu entwickeln“, erklärt Big-Data-Spezialist Kimon Drakopoulos von der University of Southern California (USC), die die KI-Plattform mitentwickelte. Eva erstellt etwa Risikoprofile für Einreisende, hat die aktuellen Testkapazitäten im Blick und leitet daraus Empfehlungen für zielgenaue Tests ab.

Griechenland war das erste Land, das so ein Echtzeit-Dashbord für das Einreisemanagement einsetzte, heißt es in einer Übersicht für das EU-Parlament. Damit wurden die Informationen der Passagiere nicht nur tatsächlich ausgewertet, sondern auch ein Screening-System etabliert, etwa um die Kontakte eines bei Einreise infizierten Urlaubers automatisiert zu ermitteln. Das System speist komplexe Corona-Informationen ein und entwickelt sich durch maschinelles Lernen weiter.

„Hoffen wir, dass Wissenschaftler und politische Entscheidungsträger auf der ganzen Welt so zusammenarbeiten werden wie in Griechenland, um effektive, evidenzbasierte Lösungen zu entwickeln“, sagte USC-Datenspezialist Vishal Gupta. Bislang hat das Eva-Modell aber noch nicht wirklich Schule gemacht.

Von den Aussteigekarten zur Reise-App

Deutschland beispielsweise hat erst im November die Papierkarten durch eine digitale Einreiseanmeldung ersetzt. Diese dient den Gesundheitsämtern aber nur zu Kontaktermittlungen und theoretisch auch zur Überwachung der Quarantäne, die Pflicht bleibt. Da passt es auch ins Bild, dass Labore erst seit Anfang Januar ihre Testergebnisse nicht mehr per Fax an die Gesundheitsämter übermitteln, wie Bundesminister Jens Spahn (CDU) diese Woche einräumte.

Während ans Reisen in der aktuellen Coronawelle gerade kaum zu denken ist und etwa in Großbritannien sogar über eine mögliche Einstellung des gesamten Flugverkehrs diskutiert wurde, laufen parallel die Vorbereitungen für den Neustart im Frühjahr und Sommer. Geht es nach der Wirtschaft, dann orientieren sich die dafür nötigen Maßnahmen eher am griechischen als am deutschen Ansatz.

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Schon bald könnten „die meisten der großen Fluglinien“ den digitalen Travel Pass der International Air Transport Association (IATA) nutzen, hofft der zuständige IATA-Manager Alan Hayden. Knapp 300 Fluglinien koordinieren sich über den Verband. In einer mobilen App sollen beispielsweise verifizierte Nachweise über Tests und Impfungen zusammen mit Reisepass-Infos gespeichert werden. Singapore Airlines testet seit Dezember die App im Alltag, und Emirates und Etihad werben mit dem Start bis April.

Kontaktlos vom Check-in ins Flugzeug

Die Verbreitung der Anwendung könnte dadurch beschleunigt werden, dass sie auf bereits bestehende digitale Infrastrukturen aufsetzt. Mit dem Programm Timatic beispielsweise verifizieren Fluglinien bislang schon Reisedokumente. Und eine vor Corona entwickelte Anwendung für kontaktlose Identifikation des Softwareentwicklers Evernym habe bei der schnellen Umsetzung geholfen, so die IATA.

„Tests funktionieren ähnlich wie Geld – der ganze Glaube an das System hängt davon ab, wie viel Vertrauen alle Akteure in das System haben“, sagte Hayden kürzlich bei einer virtuellen Diskussionsrunde. „Wir brauchen Vertrauen in Testergebnisse und Impfergebnisse. Dann können wir anfangen, die Beschränkungen an den Grenzen abzubauen."

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An einer ähnlichen Anwendung tüfteln auch die Non-Profit-Stiftung „The Commons Project“ und das Weltwirtschaftsforum (WEF) zusammen mit Flughäfen und Airlines, aber auch weiteren Akteure, die einen Einsatz entlang der Reisekette bis hin zu den Hotels ermöglichen könnten. Die Lufthansa arbeitet bei beiden Projekten mit.

Einer der gerade in der Pandemie gewünschten Nebeneffekte der digitalen Reisedokumente ist der kontaktlose Weg durch den gesamten Airport bis ins Flugzeug. Ziel sei, dass Passagiere beim Einchecken sowie Pass- und Zollkontrolle nichts anfassen müssen, sagte IATA-Sicherheitschef Nick Careen. Es sollen auch mithilfe biometrischer Identifikation keine Dokumente oder Papiere zwischen Reisenden und Kontrolleuren mehr hin- und hergereicht werden müssen, um möglichen Ansteckungen vorzubeugen.

EU-Regierungschefs koordinieren sich heute

Auch wenn bald eine Reihe digitaler Tools zur Verfügung stehen dürfte und sich womöglich auch Branchenstandards dafür entwickeln, sind diese letztlich nur Mittel zum Zweck. Die Entscheidungen über das Hochfahren des Reiseverkehrs ab Frühjahr treffen die Regierungen. Der globale Flickenteppich der sich immer wieder ändernden Corona-Reisevorschriften wird wohl bleiben.

Die Europäische Union strebt eine gemeinsame Linie ihrer Mitglieder zumindest an. So wollen die Staats- und Regierungschefs heute bei ihrem Videogipfel über mehr Koordination bei den Impfstrategien und dem weiteren Pandemie-Management sprechen. Dabei soll es neben der Anerkennung von Tests auch um einen Impfnachweis beim Reisen gehen, heißt es in Brüssel.

Dabei gehen die Meinungen auseinander. Wer geimpft ist, dürfe nicht mehr in seiner Reisefreiheit eingeschränkt werden, sagen die einen. Eine Ungleichbehandlung der Bürger stünde rechtlich womöglich auf einem wackeligen Fundament, so die anderen. Am Ende könnte es auf einen Arbeitsauftrag für die EU-Kommission hinauslaufen.

Das vergleichsweise langsame Tempo der Impfkampagne in vielen EU-Ländern verkompliziert die Klärung. So hat sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gegen eine Impfbescheinigung ausgesprochen, da die Vakzine noch nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stünden. Offiziell ins Spiel gebracht hat den Impfnachweis übrigens der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis – der weiß ja schon, wie es digital klappen könnte. Und der Sommer kommt mit Sicherheit.

Felix Wadewitz

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