Sechs Wochen im eigenen Garten: Warum Urlaub in Deutschland langweilig ist
Unser Gastautor möchte im Urlaub vor allem Ruhe von der Heimat. Doch das ist in Zeiten der Corona-Pandemie gar nicht so einfach. Eine Glosse.
Ich finde Urlaub in Deutschland langweilig. Natürlich ist das arrogant. Aber ich lebe ja hier – da will ich wenigstens in den Ferien mal nicht bei Rewe oder Edeka einkaufen. Mein Hauptgrund für Urlaub im Ausland ist, andere Produkte kaufen zu können.
Ich bin ein Kind des Kapitalismus. Es kommt einfach kein Urlaubsgefühl auf, wenn ich morgens den gleichen Scheiblettenkäse frühstücken muss wie zuhause. Ich sehe auch die Expansionsgelüste deutscher Discounter skeptisch. Einen Lidl in Spanien zu entdecken, finde ich fast so schlimm, wie andere deutsche Urlauber zu treffen.
„Jutta, kannst du mir bitte den Rücken eincremen. Ja, auch zwischen den Ritzen, da bekomm’ ich immer schlimmen Sonnenbrand.“ Und schon ist jede Urlaubsstimmung verflogen.
Ich gebe zu, mit meiner Freundin in Griechenland schon Englisch gesprochen zu haben – nur um mich von anderen deutschen Touristen abzugrenzen. Der griechische Kellner hielt uns dann für Österreicher. Es geht immer noch schlimmer. Er selbst kam übrigens gar nicht aus Griechenland, sondern war Türke. „Aber nicht Erdogan!“, sagte er lächelnd auf deutsch, das er natürlich perfekt sprach. Das Tsatsiki schmeckte dann leider verdächtig nach Aldi-Eigenmarke.
Ich brauche es nicht exotisch. Mir reicht es schon, wenn auf der Coca-Cola-Flasche die Inhaltsstoffe auf französisch stehen. Oder das Brot wie Pappe schmeckt. Denn nur in Deutschland wird anständiges Vollkornbrot hergestellt. Das können wir Deutschen: Billig-Supermärkte mit unterirdischen Arbeitsbedingungen und Brot mit Körnern.
Drei Tage im Jörg-Haider-Resort?
Nun ist es dieses Jahr dank Corona leider schwierig mit Urlaub im Ausland. Erhöhtes Risiko, sich beim Reisen anzustecken und weniger Kapazitäten. Als ich kürzlich drei Wochen in einer kleinen Pension auf Korsika buchen wollte, war alles schon belegt. Jutta und ihr Mann schienen schneller gewesen zu sein. Ich fand nur noch drei Tage in Kärnten im „Jörg-Haider-Resort“ für 2000 Euro.
Doch Urlaub in Deutschland bringt auch ein paar Vorteile: weniger CO2-Ausstoß, weil man nicht fliegt, man braucht nicht drei Tage, um sich an die Zeitumstellung zu gewöhnen und vielleicht spart man sogar Geld.
Also sechs Wochen in den eigenen Garten! Das ist zwar nicht richtig Urlaub, weil ständig Rasen gemäht oder das Gemüsebeet gewässert werden muss, aber an so einem Gewässer in der Mecklenburgischen Seenplatte ist fast so schön wie das Mittelmeer. Es gibt sogar Flamingos. Allerdings nur welche aus Plastik und mit Kindern drauf.
Manchmal reden wir sogar Englisch miteinander
Dank Klimakatastrophe ist es auch fast so trocken wie in Marokko. Wir pflanzen statt Tulpen jetzt nur noch Kakteen und andere Sukkulenten. Die Kiwis wachsen ebenfalls gut. Kürzlich haben wir einen Olivenbaum gepflanzt. Ich stehe extra früh auf, um mein Handtuch auf den Liegestuhl zu drapieren.
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Auch wenn wir zwei besitzen und außer meiner Freundin niemand mir den Platz streitig machen kann. Aber es geht schließlich um das korrekte Urlaubsgefühl. Beim Frühstück lade ich so viel Käse, Krabbencocktail (ja!) und Croissants auf meinen Teller wie sonst beim Hotelbuffet. Manchmal reden wir sogar Englisch miteinander. Und einkaufen gehe ich bei Netto – den gibt’s bei mir in Schöneberg nämlich nicht.
Sebastian Lehmann ist Poetry Slammer, Autor und Kolumnist bei radioeins.
Sebastian Lehmann
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