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„Berliner Jobwunder“. 77 000 Menschen arbeiten in der Digitalwirtschaft, wie hier bei Finleap. Diese Finanz-Start-ups wachsen nun stärker als der Onlinehandel.
© Thilo Rückeis

"Berliner Jobwunder": Digitalwirtschaft überholt die Industrie

Die Digitalwirtschaft in Berlin wächst immer schneller. Die Zahl der Beschäftigten steigt dieses Jahr um 15 Prozent.

Man braucht nur die Stellenausschreibungen von Zalando aufzurufen, um zu sehen, wie sich die Digitalwirtschaft in Berlin derzeit entwickelt. 462 neue Vollzeitmitarbeiter sucht der Onlinehändler momentan: Vom „Business Intelligence Architect“ bis zum „Creative Technologist“. 5700 Mitarbeiter beschäftigt Zalando in der Hauptstadt bereits.

Das Unternehmen zeigt damit beispielhaft den Aufstieg der Internetwirtschaft. Als Zalando 2008 gegründet wurde, haben in ganz Berlin gerade einmal 803 Personen im digitalen Handel gearbeitet, inzwischen sind es 13 142. Insgesamt sind in diesem Zeitraum mehr als 36 000 neue Stellen in der Digitalwirtschaft entstanden, zeigt eine Studie der Investitionsbank Berlin (IBB), die am Mittwoch vorgestellt wurde. „Jeder achte neue Arbeitsplatz wird von der Digitalbranche geschaffen“, sagte der Vorstandsvorsitzende der IBB, Jürgen Allerkamp. Alles in allem sind in diesem Bereich nun 77 000 Menschen beschäftigt.

Fast zehn Milliarden Umsatz durch Digitalunternehmen

Doch nicht nur für den Arbeitsmarkt sind die Onlineunternehmen zum gewichtigen Faktor geworden. 9,4 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaften sie. „20 Prozent des Berliner Wirtschaftswachstums entsteht in der Digitalwirtschaft“, sagte Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), „die Wertschöpfung ist inzwischen so hoch wie in der Industrie“. 8,5 Prozent des Berliner BIP wird in der Digitalwirtschaft erzeugt. IBB-Chef Allerkamp geht davon aus, dass die Digitalwirtschaft spätestens im nächsten Sommer die Industrie von der wirtschaftlichen Bedeutung überholen wird.

Denn das Wachstum des Sektors beschleunigt sich sogar noch. Zwischen 2008 und 2013 legte die Zahl der Beschäftigten im Schnitt um 7,5 Prozent zu, seit 2014 dann mit knapp zehn Prozent. Und im ersten Quartal 2017 lag das Beschäftigungswachstum in der Digitalwirtschaft sogar bei fast 15 Prozent. „Das ist ein Berliner Jobwunder“, sagt Allerkamp.

Die Dynamik der Entwicklung habe die Volkswirte nun auch dazu gezwungen, die eigenen Prognosen nach oben zu schrauben. So war die IBB bislang davon ausgegangen, dass durch die Digitalisierung der gesamten Wirtschaft bis 2030 insgesamt 270 000 neue Jobs in der Hauptstadt entstehen. „Das könnten wir schon 2025 erreichen“, sagt Allerkamp – jedenfalls wenn sich die Entwicklung mit der bisherigen Dynamik fortsetzt.

„Berlin ist der Gewinner der digitalen Transformation“

„Berlin ist der Gewinner der digitalen Transformation“, sagt Pop. Denn von Autobauern bis hin zu Unternehmen aus der Stahlindustrie verlegen immer mehr Konzerne ihre Digitalsparten nach Berlin oder bauen sie in der Hauptstadt überhaupt erst auf.

Damit ändert sich auch die Struktur in der Digitalwirtschaft. Dominierte in den vergangenen Jahren der Onlinehandel und wuchs am stärksten, so entstehen inzwischen auch vermehrt Start-ups, die Software für Geschäftskunden entwickeln.

Ein anderer Wachstumsbereich sind digitale Finanzdienstleistungen, wo sich der Wandel der Wirtschaft ebenfalls zeigt. Denn die digitalen Herausforderer der Banken entstehen nicht unbedingt am traditionellen Finanzplatz Frankfurt, sondern auch in der Hauptstadt: 324 sogenannte Fintechs gibt es laut IBB in Deutschland, ein Drittel davon in Berlin. Wie schon im Onlinehandel hängt die Hauptstadt andere deutsche Metropolen dabei deutlich ab. So beschäftigen die Berliner Fintechs rund 3000 Mitarbeiter. „Das sind mehr als in Frankfurt, Hamburg und München zusammen“, sagt Allerkamp.

Mehr Fintechs als in Frankfurt, Hamburg und München zusammen

Künftig dürften es noch deutlich mehr werden. 260 000 Jobs prognostiziert die IBB bis 2025 in Fintech-Unternehmen deutschlandweit. Allerdings geht die Entwicklung auch auf Kosten traditioneller Stellen. „Ein Drittel der Jobs in der Bankwirtschaft kann durch Automatisierung wegfallen“, sagt Allerkamp.

Eine der größten Schwierigkeiten ist es weiterhin, die entstehenden Stellen auch mit geeigneten Fachkräften zu besetzen. „Wir brauchen dafür Talente aus dem In- und Ausland“, sagt Pop. Debatten darüber, dass in Berlin zuviel Englisch gesprochen werde, seien daher total widersinnig, erklärte die Wirtschaftssenatorin – ein Seitenhieb auf eine Diskussion, die der CDU-Finanzstaatssekretär Jens Spahn kürzlich angestoßen hatte.

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