zum Hauptinhalt
Auf der Hannover Messe gab Kanzlerin Angela Merkel einem Roboter den bei Rappern beliebten „Faustgruß“, mit dabei der mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto, dessen Frau und Forschungsministerin Anja Karliczek (li.).
© Fabian Bimmer/Reuters

Künstliche Intelligenz: Digitales Wettrüsten

Die KI-Märkte werden von China und den USA dominiert. Deutschland und Europa wollen das ändern.

Den Boom der künstlichen Intelligenz (KI) erlebt Robert Müller jedes Semester in seiner Vorlesung. An der Technischen Universität Berlin (TU) unterrichtet er Maschinelles Lernen, wie das Gebiet bei Fachleuten in der Regel genannt wird. Als er damit 2006 an der TU anfing, saßen 40 Studenten in der Veranstaltung, inzwischen sind es 500. Bald will er noch einen Schritt weiter gehen. „Machine Learning kann die Wissenschaft auf vielen Gebieten große Schritte voranbringen“, sagt der Informatiker. Derzeit arbeitet er die Details für ein neues Kompetenzzentrum für maschinelles Lernen aus, das im Oktober mit etwa 30 Mitarbeitern seinen Betrieb in Berlin aufnehmen soll. „Damit wollen wir auch helfen, die Technologie in verschiedenen Disziplinen einzusetzen.“ Partner sind neben den drei großen Berliner Hochschulen die Charité, die Max-Planck-Gesellschaft und das Fraunhofer Institut. Die Kooperationen helfen den Informatikspezialisten dabei, ihre Systeme mit Daten zu füttern und sie mit ganz neuen Problemen zu konfrontieren. „Dadurch kommen Kollegen mit ungelösten Fragen zu uns, an die wir selbst nie gedacht hätten“, sagt Müller.

Doch auch im Alltag und in der Industrie ist die Technologie auf dem Vormarsch. „Künstliche Intelligenz ist eine Schlüsseltechnologie, deren Bedeutung man gar nicht hoch genug einschätzen kann“, sagt Achim Berg, Präsident des Digitalverbands Bitkom. Ob autonome Autos, Roboter als Pflegehelfer, Software, die Tumore erkennt, oder Lautsprecher, mit denen wir uns unterhalten – in all diesen Anwendungen steckt KI. In vielen Branchen und Fachgebieten sehen Unternehmer, Forscher und Politiker daher in den kommenden Jahren enorme Umwälzungen durch die selbstlernenden Algorithmen. „Wie die Dampfmaschine oder der elektrische Strom in der Vergangenheit, ändert künstliche Intelligenz unsere Welt grundlegend“, sagt der für den digitalen Binnenmarkt zuständige EU-Kommissions-Vizepräsident Andrus Ansip. Und so hat mittlerweile ein Wettlauf um die Vorherrschaft begonnen.

Zuletzt waren es vor allem US-Unternehmen wie die Google-Tochter Deepmind, die mit Erfolgen wie dem Sieg ihrer KI im Strategiespiel Go für Aufsehen sorgten. Zudem hat China das Ziel ausgegeben, bis 2030 die Führungsposition in Sachen KI einzunehmen. „Die beiden führenden Nationen bei KI sind derzeit die USA und China“, weiß auch der französische Präsident Emmanuel Macron. Um hier mitzuhalten, stellte er eine eigene Strategie vor und kündigte für die kommenden fünf Jahre Investitionen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro an.

Bis Herbst soll ein deutscher Masterplan KI stehen

Die EU-Kommission hat ebenfalls gerade die Förderung für KI erhöht: Bis 2020 werden 1,5 Milliarden Euro im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 ausgegeben und sollen weitere 2,5 Milliarden Euro an Co-Investitionen mobilisieren. Insgesamt müssten europaweit in diesem Zeitraum jedoch mindestens 20 Milliarden Euro investiert werden, forderte Ansip.

Und was macht Deutschland? Bundeskanzlerin Angela Merkel warnte kürzlich bei der Eröffnung der Hannover Messe, Deutschland dürfe nicht hinter den USA und China zurückfallen, und forderte eine Aufholjagd. „Wir werden bei KI eine ordentliche Schippe drauflegen“, sagt auch Forschungsministerin Anja Karliczek.

Deutschland solle im Bereich KI die „Innovationsführerschaft“ übernehmen und „international Vorreiter“ werden, vereinbarten die Koalitionsfraktionen gerade bei ihrer Klausur auf der Zugspitze. Bis Herbst will die Bundesregierung dazu einen Masterplan KI entwickeln. Am 18. Mai soll es im Kanzleramt ein erstes Treffen von Regierungsvertretern und KI-Experten geben. Anfang Juni soll ein Eckpunktepapier zu dem Thema im Kabinett verabschiedet werden. Ebenfalls im Juni wird dann eine Enquete-Kommission in die Wege geleitet mit der Aufgabe, technische, rechtliche, politische und ethische Fragen rund um lernfähige Systeme zu klären.

Schon im Koalitionsvertrag taucht der Begriff künstliche Intelligenz etwa ein Dutzend Mal auf. Als ein großes Ziel wurde dabei vereinbart, gemeinsam mit Frankreich ein neues Zentrum für KI einzurichten. Besonders weit sind die Planungen dazu noch nicht. Es habe erste Vorgespräche auf Arbeitsebene gegeben, antwortete die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen zu diesem Thema. „Die Gespräche befinden sich noch in einem sehr frühen Stadium“, heißt es, um Fragen der Finanzierung sei es dabei gar nicht gegangen. Dabei sind sich viele Experten einig, dass man für ein neues Spitzenzentrum viel Geld in die Hand nehmen müsste. Und selbst das garantiert noch längst nicht den Erfolg. „Auch wenn man viel Geld in neue Institute steckt, bleibt die Frage, wo die Mitarbeiter herkommen“, sagt Robert Müller. „Der Markt für Machine-Learning-Experten ist leergefegt.“

Internetkonzerne bezahlen ihre Spitzenforscher wie Fußballprofis

Denn auch Google, Amazon & Co. haben inzwischen eigene KI-Zentren eröffnet und betreiben dort klassische Grundlagenforschung. Vom Personal und der Ausstattung könne die klassische Wissenschaft kaum mit deren Forschungszentren konkurrieren. „Google oder Amazon bezahlen die Spitzenforscher wie Profifußballer“, sagt Müller. „Da ist es schwer, mit Oberligagehältern mitzuhalten.“

Ähnliche Sorgen hatten Ende April 21 bekannte Forscher aus ganz Europa – darunter der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Martin Stratmann – in einem offenen Brief geäußert. In Europa gebe es immer noch einige Hotspots, die in Sachen KI in der internationalen Spitzenliga spielen. „Selbst wenn wir nur diese Zentren behalten wollten, müssten wir unsere Investitionen entsprechend dem, was andere Länder tun, erhöhen“, schreiben die Wissenschaftler und fordern daher, die vorhandenen Kräfte in Europa zu bündeln.

Diese Position vertritt auch die Forschungsministerin. Um die Aktivitäten hierzulande zu fördern, sollen insgesamt vier Kompetenzzentren für maschinelles Lernen gegründet werden. Neben Berlin auch in Tübingen, München und Dortmund/St. Augustin. Gefördert werden sie mit etwa 30 Millionen Euro. Das ist ein Anfang, aber im globalen Vergleich auch nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.

Künstliche Intelligenz ist auch Thema auf der vom Tagesspiegel mitorganisierten Konferenz "Digital Future 2018", die heute im Berliner "Kosmos" stattfindet.

Oliver Voss

Zur Startseite