Zukunft der Arbeit: Digital Girls
Sie sind hochqualifiziert, kommunikationsstark, flexibel: Deshalb könnten Frauen in der digitalen Welt die Führung übernehmen, prophezeien Experten. Doch ihr Aufstieg ist kein Selbstläufer.
Die Arbeitswelt befindet sich im Umbruch. Davon werden vor allem Frauen profitieren, sagen einige Experten: Denn typisch weibliche Kompetenzen seien in der Arbeitswelt der Zukunft besonders gefragt. Andere Fachleute zweifeln daran. Also: Werden Frauen künftig das Sagen haben? Oder doch nicht?
In der Arbeitswelt der Zukunft gibt es keine Ungerechtigkeit mehr. Männer und Frauen werden gleichberechtigt sein. Der Gender Pay Gap, also die geringere Entlohnung von Frauen im Vergleich zu Männern, ist dann kein Thema mehr. Dass es wie heute weniger Frauen als Männer in Führungspositionen gibt – passé. Dass es so kommen könnte, klingt für viele Menschen weiterhin utopisch. Doch einige Experten halten es für möglich, dass sich die berufliche Lage der Frauen durch die Digitalisierung deutlich verbessern könnte. Entspannt auf die Zukunft vertrauen sollten Frauen aber lieber nicht.
Die Stärken der Frauen
„Ich weiß, dass ich eine steile These vertrete“, sagt Christiane Funken. Die Soziologin beschäftigt sich an der Technischen Universität Berlin mit Kommunikations- und Mediensoziologie sowie Geschlechterforschung. In ihrem neuen Sachbuch „Sheconomy: Warum die Zukunft der Arbeitswelt weiblich ist“, argumentiert sie: Künftig werden in der Arbeitswelt Stärken und Talente gefragt sein, die vor allem Frauen mitbringen. Die Folge: Bestehende Machtverhältnisse könnten sich umkehren, und Frauen künftig den Ton angeben. Funken betont zugleich, dass sich diese Entwicklung nur auf Wissensarbeiterinnen beziehe – also auf hoch qualifizierte Arbeitnehmerinnen. Sie geht davon aus, dass Firmen künftig noch stärker im globalen Wettbewerb miteinander stehen. Um erfolgreich zu sein, müssten sie noch kundenorientierter arbeiten. Um das zu erreichen, gebe es weniger starre Abteilungsgrenzen, sondern es werde häufiger in sich immer neu bildenden Teams zusammengearbeitet.
„Zu kommunizieren, zu vernetzen, zu integrieren, das wird künftig noch wichtiger werden als heute“, sagt Funken. Empathie, Kommunikationsfähigkeit, Flexibilität und Kreativität seien die entscheidenden Kompetenzen der Zukunft, und die brächten vor allem Frauen mit: „Nicht, dass ich Geschlechterspezifika festbacken will, aber es verfügen vor allem Frauen über diese Eigenschaften.“
In die gleiche Richtung denkt Kira Marrs. Sie forscht am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung München unter anderem zum Thema weibliche Karrieren – und geht davon aus, dass sich derzeit im Zuge der Digitalisierung viele Firmen neu aufstellen und etwa nach neuen Geschäftsmodellen suchen. Dadurch verändere sich die Art und Weise, wie Unternehmen funktionieren. Starre Hierarchien lösten sich zunehmend auf. Viele Firmen fangen etwa an, in den Communities im Intranet darüber zu diskutieren, wie sie sich künftig aufstellen und ihr Unternehmen neu denken wollen. „Auf diesem Weg erhalten Mitarbeiter neue Chancen, sich einzubringen, denn alle bis hin zum Vorstand nutzen die gleiche Plattform“, erklärt Marrs. Das berge für Frauen neue Möglichkeiten, sichtbar zu werden. Bisher kamen mit dem Vorstand vor allem die Führungspersonen in Kontakt – und das waren meist Männer.
Das Wissen von Teams
Heute entwickelt sich die Arbeitswelt so rasant, dass es kaum mehr eine Person gibt, die ein Fachgebiet überblickt. Vielmehr braucht es das Wissen ganzer Teams. Deshalb müssten Führungskräfte stärker Teams ermuntern können und ihre Mitarbeiter wirken lassen. „Und das fällt Frauen häufig viel leichter als Männern“, sagt Marrs. Als Fazit stellt sie fest: Die Arbeitswelt könne sich durch die Digitalisierung positiv für Frauen entwickeln – ein Selbstläufer sei das aber nicht.
Die Gegner dieser These stellen zunächst einmal infrage, dass es überhaupt Eigenschaften gibt, die typisch weiblich sind. Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin gibt noch einen anderen Punkt zu bedenken: Laut einer Studie der Universität Oxford aus dem Jahr 2013 werden durch die sogenannte vierte industrielle Revolution aufgrund des Einsatzes von Robotern viele Arbeitsplätze verloren gehen. Die Autoren geben dabei auch Berufsprofile vor, die voraussichtlich verschwinden werden. Grabka hat sich angeschaut, wer vor allem in den Top 10 der bedrohten Berufe und wer in den am wenigsten gefährdeten Berufen arbeitet. Dabei zeige sich: Frauen könnten überdurchschnittlich stark vom potenziellen Beschäftigungsabbau betroffen sein.
Wer gerade seine Berufsausbildung macht, kann kaum wissen, wie sich die Arbeitswelt der Zukunft entwickelt. Doch einige Eigenschaften, die dann gefragt sein werden, zeichnen sich ab, sagt Marrs. Und die sollte man im Blick haben. Es sei sicher nicht verkehrt, in einen Beruf im Bereich MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) zu gehen, sofern man dazu eine Neigung habe. „Denn Experten aus diesen Berufsfeldern sind auch in Zukunft stark gefragt“, ist sich Kira Marrs vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung München sicher. Außerdem rät sie dazu, sich im eigenen Berufsfeld anzuschauen, wie die Digitalisierung die Branche verändert. Es sei zudem wichtig, interdisziplinäre Kompetenzen zu erwerben. Dafür müsse nicht jeder an der Hochschule lernen, wie man programmiert. Aber es sei wichtig, mit digitalen Werkzeugen umgehen zu können und sich auf dem Laufenden zu halten, welche neuen Entwicklungen es gibt. Dann könne die Digitalisierung der Arbeitswelt für Frauen durchaus eine Erfolgsgeschichte werden. dpa
Kristin Kruthaup