Verjährung droht: Dieselkunden müssen jetzt gegen VW klagen
Zum Jahresende verjähren Ansprüche wegen der Schummelsoftware. Ein Vergleich ist derzeit nicht in Sicht. Bundesgerichtshof verhandelt im Mai.
VW-Kunden könnten mit dem Jahreswechsel viel Geld verlieren. Denn zum 31. Dezember dürften die Ansprüche der Dieseleigentümer auf Entschädigung wegen der Schummelsoftware, die VW in Motoren des Typs EA189 eingebaut hat, verjähren.
Es geht um eine Menge Geld. Mit der Abschaltsoftware, die dafür gesorgt hatte, dass die Abgase nur im Testlabor, nicht aber auch auf der Straße gesenkt worden sind, waren allein in Deutschland 2,4 Millionen Diesel der Marken Volkswagen, Audi, Skoda und Seat ausgerüstet. Doch nur 700.000 Kunden haben bisher rechtliche Schritte unternommen, sei es, dass sie sich der Musterfeststellungsklage des Bundesverbands der Verbraucherzentralen oder den Sammelklagen des Prozessfinanzierers MyRight angeschlossen haben oder selbst Klage eingereicht haben.
1,7 Millionen Menschen haben bislang nichts unternommen, obwohl ihre Chancen auf Entschädigung nach Meinung von Verbraucherschützern und -anwälten gut sind. Nach Berechnungen der Anwaltskanzlei Goldenstein & Partner verschenken VW-Halter damit rund 30 Milliarden Euro. Nach Recherchen der Kanzlei erhalten Kläger im Schnitt eine Entschädigung von 17.510 Euro.
Spätestens Weihnachten ist es zu spät
Kunden, die die Verjährung abwenden wollen, müssen bis zum 31. Dezember dieses Jahres klagen. Doch tatsächlich ist die Zeit, die ihnen zur Verfügung steht, deutlich kürzer. Denn viele Anwälte, die auf Dieselklagen spezialisiert sind, nehmen schon sehr viel früher keine neuen Mandate mehr entgegen. So bearbeitet die Berliner Kanzlei von Rueden nur noch neue Fälle, die bis Ende der Woche bei ihr eintreffen und auch nur dann, wenn die Unterlagen vollständig sind und Kaufverträge, Darlehensverträge und Nachweise über das Softwareupdate vorliegen. Nur so könne sichergestellt sein, dass die Unterlagen pünktlich bei Gericht eingereicht werden, sagt Rechtsanwalt Ehssan Khazaeli.
Der Berliner Diesel-Anwalt Timo Gansel und seine Kollegen hatten sogar ursprünglich bereits an diesem Donnerstag die Bücher schließen wollen, Gansel Rechtsanwälte haben die Frist aber nun bis zum kommenden Montag ausgedehnt. In Berlin sind nach Schätzungen der Kanzlei über 60.000 VW-Diesel mit der Schummelsoftware unterwegs.
Diesel-Anwälte raten zur Klage
Die Kanzlei rät Kunden, die bisher keine rechtlichen Schritte unternommen haben, das unbedingt noch zu tun. Die Erfolgsaussichten seien gut, das finanzielle Risiko übersichtlich. Wer eine Rechtsschutzversicherung hat, kann sowieso auf diese zurückgreifen. Wer keine Versicherung besitzt, kann sich an einen der Prozessfinanzierer wenden, die mit Rechtsanwaltskanzleien zusammenarbeiten. Diese Dienstleister schießen die Prozesskosten vor, dafür behalten sie später bei Erfolg eine Provision von 25 bis 35 Prozent ein.
VW: Ansprüche sind bereits verjährt
Die Richter am Oberlandesgericht München machten dem Volkswagen-Konzern jedoch kürzlich Hoffnung, dass rechtliche Ansprüche von Dieselkunden bereits Ende des vergangenen Jahres verjährt sind. Nach Meinung der Richter hätten die VW-Kunden im Herbst 2015 durch die Medienberichte über den Dieselskandal Bescheid gewusst. Es sei nicht vorstellbar, dass ein in Deutschland lebender Kunde des Konzerns hiervon keine Kenntnis gehabt haben sollte, schreiben die Richter in einem Anfang Dezember veröffentlichten Hinweisbeschluss. VW sieht das genauso aus und hält daher die rund 45.000 in diesem Jahr neu eingereichten Klagen für verjährt. Man werde sich in all diesen Verfahren auf die Einrede der Verjährung berufen, sagte ein VW-Sprecher auf Anfrage.
Doch entschieden ist diese Frage noch nicht. Denn zahlreiche Oberlandesgerichte etwa die in Hamm oder Köln sehen die Verjährungsfrage anders. Auch Verbraucheranwälte halten die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts in München für falsch. Sie halten das Datum des Rückrufs für maßgeblich. Volkswagen war vom Kraftfahrtbundesamt aufgefordert worden, die umstrittene Software upzudaten. Mit den Rückrufen begann der Konzern im Januar 2016. Da Schadensersatzansprüche nach drei Jahren zum Jahresende verjähren, würde die Verjährung daher Ende dieses Jahres eintreten.
Abgesichert sind dagegen die Hunderttausende, die sich der Musterfeststellungsklage der Verbraucherschützer gegen Volkswagen angeschlossen haben. Denn die Beteiligung an der Klage hemmt die Verjährung. 470.000 Menschen hatten sich ursprünglich in das Klageregister eingetragen, einige von ihnen haben sich aber wieder abgemeldet, um doch lieber auf eigene Faust zu klagen. Wie viele Menschen derzeit verbindlich eingetragen sind, kann das Bundesamt für Justiz derzeit nicht sagen, wie ein Behördensprecher auf Tagesspiegel-Anfrage erklärte.
Der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Braunschweig, Michael Neef, hatte Volkswagen bei der letzten Verhandlung im November nahegelegt, in Vergleichsverhandlungen einzutreten. Das würde das Verfahren abkürzen und den Kunden schnelles Geld bringen. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen würde diese Lösung begrüßen, doch Volkswagen weigert sich bislang. "Bisher ist ein Vergleich kaum vorstellbar", sagte ein Konzernsprecher auf Anfrage. "Uns liegt nach wie vor kein aktueller und vollständiger Registerauszug vor."
Neef hatte Volkswagen eine Frist bis zum 31. Dezember gesetzt, innerhalb derer der Konzern entscheiden soll, ob er Vergleichsverhandlungen führen will. Falls VW ablehnt, will Neef das Musterfeststellungsverfahren schnell abschließen. Allerdings ist bereits schon jetzt absehbar, dass das Verfahren danach in die nächste Instanz, also vor den Bundesgerichtshof, gehen wird.
Der Bundesgerichtshof verhandelt im nächsten Jahr
Die höchsten deutschen Zivilrichter werden in jedem Fall im nächsten Jahr Gelegenheit haben, über die Dieselproblematik und die Ansprüche der Kunden zu entscheiden. Am 5. Mai wird ein von MyRight finanzierter Fall in Karlsruhe behandelt werden. Die Richter hatten bereits Anfang des Jahres in einem Hinweisbeschluss durchblicken lassen, dass sie einer verbraucherfreundlichen Auslegung zuneigen.
Zu einem Urteil ist es aber bisher nie gekommen, weil Volkswagen für die Kläger aussichtsreiche Verfahren in der Vergangenheit stets mit Vergleichsangeboten beendet hat.