Musterfeststellungsverfahren der Dieselkläger: Richter drängt VW zum Vergleich
Für die Kläger würde das schnelles Geld bedeuten. Bis Jahresende hat der Konzern jetzt Zeit, sich zu entscheiden. Doch VW ist skeptisch.
Der Druck auf VW, sich in der Dieselaffäre auf Vergleichsverhandlungen einzulassen, steigt. Im Musterfeststellungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig drängte der Vorsitzende des vierten Senats, Michael Neef, am Montag Deutschlands größten Autobauer und seine Anwälte, ernsthaft über Vergleichsverhandlungen nachzudenken. Bis zum 31. Dezember hat Volkswagen nun Zeit, sich zu entscheiden. Doch Neef ließ am Montag keinen Zweifel daran, dass er Vergleichsverhandlungen für einen guten Weg hält.
Die Verbraucher würden Volkswagen eine schnelle Lösung danken, gab der Richter zu bedenken. "Vielleicht werden sie sich dann auch wieder für eine Konzernmarke entscheiden", sagte der Jurist mit Blick auf die Vertrauenskrise rund um die Manipulationssoftware. Rechtsanwalt Ralph Sauer, einer der Anwälte auf Seiten des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (VZBV), der für die mehr als 400.000 Dieselkunden den Prozess führt, ist begeistert. "Das ist sensationell", sagte Sauer dem Tagesspiegel. Auch VZBV-Chef Klaus Müller lobte den Senat: "Das Gericht hat mit Nachdruck deutlich gemacht, dass keine Zeit zu verlieren sei und eine schnelle Lösung für die betroffenen Verbraucher die Zielmarke sein muss - sei es mit einem Urteil oder durch einen Vergleich", betonte Müller.
Die Verbraucherschützer haben von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, dass sie einen Vergleich anstreben. Den Menschen, die sich der Musterklage angeschlossen haben, würde das nämlich schnelles Geld bringen. Denn je länger der Prozess läuft, desto größer ist das Risiko, dass sie am Ende leer ausgehen - auch wenn sie in der Sache gewinnen sollten. Denn fast alle Oberlandesgerichte ziehen von einem möglichen Schadensersatzanspruch eine Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer ab.
Wer 250.000 oder 300.000 Kilometer oder mehr mit dem Diesel zurück gelegt hat, kann sich wenig Hoffnung auf Schadensersatz machen. Nach Meinung der meisten Gerichte, ist die Lebensdauer eines Diesel dann vorüber, das Auto ist nichts mehr wert. Das Risiko für die Dieseleigentümer steigt also, je länger der Prozess dauert. Denn nach Abschluss des Musterverfahrens müssen die im Klageregister eingetragenen Verbraucher noch in einem zweiten Prozess ihre individuellen Ansprüche einklagen. Das kann dauern, vor allem wenn das Musterverfahren noch - wie erwartet - zum Bundesgerichtshof gehen sollte. Es sei denn, VW ist zu einem Vergleich bereit.
VW versucht bislang, einen Vergleich zu vermeiden
Der Autobauer hat bislang kein großes Interesse an einem Massenvergleich. Denn zum Jahresende dürften die Ansprüche vieler Kunden verjähren. Wer bis dahin nicht geklagt hat, kann das dann auch nicht mehr tun.
Gedrängt durch Richter Neef erklärte Martina de Lind van Wijngaarden von der Großkanzlei Freshfields, die VW vertritt, dass man "Überlegungen in jede Richtung" anstellen werde. Allerdings will Volkswagen vorher wissen, mit wie vielen Menschen der Konzern es eigentlich zu tun hat. Denn derzeit kann das Bundesamt für Justiz nicht sagen, wie viele Dieseleigentümer noch im Klageregister eingetragen sind. Ursprünglich waren es 445.945, inzwischen hat es aber 77.000 Rücknahmeerklärungen gegeben. Das Problem: Viele Menschen haben sich gleich mehrfach abgemeldet. Mal per Mail, dann noch mal per Brief. Bis die Behörde einen Überblick hat, wird noch Zeit vergehen. Nach Abschluss der Verhandlung machte Volkswagen aber noch einmal deutlich, dass aus Sicht des Unternehmens ein "Vergleich kaum vorstellbar" sei. Und auch wenn ein aktueller und vollständiger Registerauszug vorliegt, will sich VW genau anschauen, "ob wir Vergleichsverhandlungen für überhaupt praktikabel halten", teilte VW in einer Mitteilung mit.
VW steckt in der Klemme
Euphorie sieht anders aus. Volkswagen ist allerdings in einer schwierigen Situation. Im nächsten Jahr wird der Bundesgerichtshof ein erstes Urteil zu Dieselgate fällen. Anfang des Jahres hatten die Richter bereits durchblicken lassen, dass sie die Abgassoftware und die damit ausgestatteten Autos für mängelbehaftet halten. Das könnte für ein verbraucherfreundliches Urteil sprechen. In diesem Fall würden sich die Vergleichssummen für die Verbraucher wahrscheinlich erhöhen und VW wäre gut beraten, einen Vergleich vorher unter Dach und Fach zu bringen.
In dem Musterverfahren will der Bundesverband der Verbraucherzentralen festgestellt wissen, dass der VW-Konzern mit Einbau der Abgasmanipulationssoftware seine Kunden vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt hat. Allein in Deutschland sind 2,4 Millionen Menschen betroffen. Vor den Oberlandesgerichten haben die Kläger, die gegen VW vorgehen, oft Erfolg. Nur in Braunschweig bislang nicht.
Kunden müssen womöglich Nutzungsentschädigung hinnehmen
Das könnte sich jetzt ändern. Zwar will sich der vierte Senat jetzt noch nicht festlegen, doch Neef und seine Kollegen scheinen Schadensersatzansprüchen gegenüber nicht abgeneigt zu sein. Allerdings müssen Kunden damit rechnen, dass sie eine Nutzungsentschädigung zahlen müssen. Vertragliche Ansprüche aus dem Kaufvertrag will der Senat aber wohl nur in den Fällen anerkennen, in denen Kunden ihr Auto direkt bei Volkswagen und nicht bei einem Vertragshändler gekauft haben. Versuche, der Verbraucheranwälte VW über die vom Konzern ausgestellte EG Übereinstimmungsbescheinigung doch noch ins Boot zu holen, scheinen das Gericht nicht zu überzeugen. Bei dieser Bescheinigung erklärt der Autobauer, dass das jeweilige Auto der Typengenehmigung entspricht - die nach Meinung der Anwälte "erschlichen" worden ist. Der Senat geht jedoch bislang davon aus, dass selbst wenn die Typengenehmigung rechtswidrig ist, sie und die Übereinstimmungsbescheinigung dennoch gültig sind.
Neef: "Wir wollen das Verfahren nicht verschleppen"
Sollte VW sich nicht auf Vergleichsverhandlungen einlassen, will Neef Tempo machen. "Wir wollen das Verfahren nicht verschleppen", sagte der Richter am zweiten Verhandlungstag in der Stadthalle Braunschweig. Wie schon bei der ersten Verhandlung am 30. September war der 500-Plätze-Saal mit 50 Besuchern auch am Montag ziemlich leer. Nur die Bänke der Anwälte waren gut gefällt.
Einer der Betroffenen ist Herbert Schuster aus Magdeburg, der seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen will. Er und seine Frau haben einen Skoda mit dem Manipulationsmotor EA189. Schuster will Genugtuung. Ihm geht es nicht nur ums Geld. "VW hat uns für dumm verkauft", ärgert sich der Mann. "Hätten sie mir reinen Wein eingeschenkt, hätte ich einen Katalysator dazu gekauft".