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 Sylvie Matherat sitzt seit November im Vorstand der Deutschen Bank.
© Thilo Rückeis

Sylvie Matherat: Diese Frau räumt bei der Deutschen Bank auf

Sylvie Matherat ist die erste Frau im Vorstand der Deutschen Bank. Ihre Aufgabe: Sie soll das Institut wieder ehrbar machen.

Zwei Stunden die Woche gehören nur ihr. Samstagnachmittags ist Sylvie Matherat nicht erreichbar. Anrufe landen auf der Mobilbox, Mails müssen warten. Matherat geht dann schwimmen. So schaltet sie ab. Von einem Job, der sonst ihre ganze Aufmerksamkeit braucht.

Matherat ist die erste Frau im Vorstand der Deutschen Bank seit den neunziger Jahren. Sie soll dafür sorgen, dass Deutschlands größtes Geldinstitut wieder ehrenhaft wird. Dass es nicht mehr in einen Skandal nach dem anderen verwickelt wird. Regulierung, Compliance und der Kampf gegen Finanzkriminalität, dafür ist Matherat verantwortlich. Darüber berichtet die Französin direkt an Deutsche-Bank-Chef John Cryan. Viel Ruhe ist da nicht drin, Arbeit am Sonntag ist normal. „Ausruhen kann ich mich, wenn die Deutsche Bank wieder in allen Bestenlisten ganz oben steht“, sagt sie.

Auch an diesem sonnigen Juli-Nachmittag in Frankfurt am Main ist ihr Terminkalender voll. Gerade kommt die 54-Jährige von einem Treffen bei der Europäischen Zentralbank (EZB) zurück. Schnell legt sie ihre Unterlagen zur Seite, tauscht Sonnenbrille gegen Brille. Dann sitzt sie an dem langen Konferenztisch in ihrem Büro im 32. Stock, von wo aus sie über die Stadt bis zum Taunusgebirge blicken kann. Matherat redet schnell, manchmal scheint ihre Stimme sich geradezu zu überschlagen. Als wolle sie möglichst schnell möglichst viel loswerden. Als könne sie den Wandel der Deutschen Bank dadurch beschleunigen. Dabei macht sie keinen Hehl daraus, dass der Umbau des Instituts Zeit braucht.

Die Deutsche Bank steckt in der Krise. Der letzte Quartalsgewinn ist eingebrochen, der Aktienkurs gerade erneut auf ein neues Rekordtief gefallen. Im Stresstest landete das Institut unter den schwächsten zehn Banken Europas. Und auch die Aufarbeitung der Skandale der Vergangenheit dauert an: 5,5 Milliarden Euro hat die Deutsche Bank für Strafzahlungen noch auf der Seite liegen – dabei hat sie 12 Milliarden bereits gezahlt.

Mit dem Wandel der Bank ist das wie mit einer Diät

Matherat sagt, mit dem Wandel der Bank sei das wie mit einer Diät. In der ersten Zeit schaue man in den Spiegel und halte sich immer noch für zu dick – auch wenn man bereits ein paar Kilo abgenommen habe. „Erst mit der Zeit fällt auf, wie viel man doch schon erreicht hat.“ Auf den Vergleich mit der Diät wäre ihr Chef John Cryan wohl kaum gekommen. Inhaltlich dürfte er ihr aber zustimmen. Schließlich hält auch er an dem Glauben fest: Es muss erst schlimmer werden, damit es besser werden kann.

Bereits seit einem Jahr räumt Cryan bei der Deutschen Bank auf. Die Vergangenheit, in der so vieles schiefgelaufen ist, will er abhaken. Die Zeit, in der Banker Zinsen manipuliert haben, in der sie Kunden bei Steuertricksereien geholfen oder gegen Wirtschaftssanktionen verstoßen haben. Deshalb hat Cryan den Vorstand komplett ausgetauscht.

Auch Matherat, Mutter dreier erwachsener Kinder, ist neu dabei: Erst seit November sitzt sie im obersten Führungsgremium. Bevor sie zur Deutschen Bank kam, hat sie fast 30 Jahre bei der französischen Zentralbank gearbeitet, der Banque de France: Dort hat sie Banken beaufsichtigt – ihnen Grenzen gesetzt. Daniele Nouy, heute Chefin der Europäischen Bankenaufsicht, war dabei lange ihre Kollegin. Eine Sonderbehandlung soll die Deutsche Bank deshalb aber nicht bekommen. Matherat sagt, aus ihrer Erfahrung wisse sie: „Aufseher ändern ihre Regeln nicht, bloß weil Banker sich das wünschen.“

Matherat hat die Seiten gewechselt - von der Aufsicht zur Bank

Einen Interessenkonflikt sieht Matherat in ihrem Seitenwechsel nicht, im Sprung vom Regulierer zum Regulierten. Für sie sei das der logisch nächste Schritt gewesen. „Ich setze bei der Deutschen Bank die Arbeit fort, die ich bei der Banque de France angefangen habe“, sagt sie. Nach der Krise hat sie viele Regeln mitentwickelt, an die sich die Banken heute halten müssen. Jetzt setzt sie sie in die Praxis um.

Im Sommer 2007, ein Jahr vor der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers, hat Frankreichs Zentralbankchef Christian Noyer Matherat zur Direktorin für Finanzstabilität berufen. „Diese Position in dieser Zeit innezuhaben, war unglaublich spannend“, sagt sie. Sie hat zum Beispiel Frankreich im Stabilitätsrat der G20-Staaten vertreten, der nach der Krise internationale Standards für die Banken aufgestellt hat. Und sie saß im Baseler Ausschuss für die Bankenregulierung, der den Instituten mehr Eigenkapital verordnet hat.

"Viele Banken haben in der Krise Maß und Mitte verloren"

Auch wenn Matherat heute auf der anderen Seite sitzt, auf der Seite einer Großbank: Geht es um das Verhalten der Institute vor der Finanzkrise, wird sie streng. Dann ist sie wieder ganz die Aufseherin, die sie so lange war. „Viele Banken haben damals Maß und Mitte verloren“, sagt sie. „Sie haben, und da sind wir keine Ausnahme, Geschäfte gemacht, die nach heutigen Maßstäben inakzeptabel sind.“ Was die Fehler waren? „Die Branche hat sich zu wenig um die Kunden gekümmert und zu sehr um sich selbst. So kam es in einigen Bereichen zu Exzessen.“ Exzesse, die eine weltweite Finanzkrise ausgelöst haben. Die die Börsen zum Absturz und zig Sparer um ihr Geld gebracht haben.

 Der letzte Quartalsgewinn der Deutschen Bank ist eingebrochen.
Der letzte Quartalsgewinn der Deutschen Bank ist eingebrochen.
© AFP

Verteufeln will Matherat die Institute deshalb aber nicht – schließlich wäre sie sonst kaum zur Deutschen Bank gewechselt. Sie mag das Bankgeschäft, sagt sie, weil die Institute eine so wichtige Rolle in der Wirtschaft spielten. „Sie halten die Volkswirtschaft am Laufen und dienen so ihren Kunden und der Gesellschaft.“ Gerade deshalb müssten die Banken sich aber auch danach richten, was die Gesellschaft von ihnen erwartet.

Die Bank hat stuft heute mehr Staaten als Hochrisikoländer ein

Der Neuanfang bei der Deutschen Bank hat für Matherat deshalb nicht nur mit Gesetzen und Regeln zu tun. „Es geht nicht nur darum, was legal ist, sondern auch darum, was richtig ist“, sagt sie. Nicht nur auf den Kopf sollen die Banker hören, sondern auch auf den Bauch. „Ich sage meinen Mitarbeitern immer: Wenn sie zwei Mal darüber nachdenken müssen, ob es okay ist, etwas zu tun, dann sollten sie es lieber lassen.“ Dabei ist das eine Gratwanderung. Banker verdienen schließlich Geld, weil sie Risiken eingehen. „Das ist Teil unseres Jobs“, sagt Matherat. Risiken soll es auch weiter geben – nur eben nicht mehr jedes Geschäft um jeden Preis.

Deshalb hat Matherat zum Beispiel die Zahl der Staaten angehoben, die die Bank als Hochrisikoländer einstuft: Waren es früher 30, sind es heute 109. Will das Institut mit Kunden aus solchen Staaten Geschäfte machen, werden sie besonders streng geprüft. Auf diese Weise will sich das Institut weniger angreifbar machen. Zum Beispiel für Vorfälle wie den in Russland: Dort wird der Deutschen Bank vorgeworfen, dass Kunden über ihre Konten Gelder gewaschen haben  – und zwar im großen Stil.

"Wir überprüfen unsere Kunden heute häufiger"

„Wir müssen wissen, mit wem wir Geschäfte machen“, sagt Matherat. Das klingt banal. Doch gerade weil es eine Binse ist, wurde diese Regel in der Vergangenheit oft ignoriert – und zwar branchenweit. Banker haben mit Kunden Verträge unterschrieben, noch bevor alle ihre Angaben überprüft waren. Das hat für mehr Umsatz gesorgt – aber auch für Geschäfte, von denen sich die Banker inzwischen wünschen, sie nie abgeschlossen zu haben. Heute soll es das nicht mehr geben. Die Deutsche Bank habe die Kontrollen deutlich verschärft, sagt Matherat. „Wir überprüfen unsere Kunden jetzt noch häufiger, intensiver und nach strengeren Kriterien.“

Doch auch wenn ihr Team im Hintergrund nun sehr viel mehr checkt, Daten analysiert, Angaben hinterfragt – aus der Verantwortung will Matherat die Bankberater nicht entlassen. Ihre Ansage ist klar: „Ihr Kunde, Ihre Verantwortung.“ Die Mitarbeiter soll das sensibilisieren, sie sollen langfristig denken. Schließlich hat man den Banken nach der Krise gerade das vorgeworfen: dass sie nur auf schnelle Gewinne aus waren. Und dass sie verschwiegen haben, wenn etwas schieflief.

Auch da setzt Matherat an, wirbt für eine neue Fehlerkultur im Haus. Denn: Wer Risiken eingeht, der macht schon mal Fehler. Schlimm sei das nicht. „Schlimm ist nur, wenn man Fehler verschweigt“, sagt Matherat. Sie wünscht sich mehr Offenheit. „Ein Manager, der schon mal einen Fehler gemacht und daraus gelernt hat, ist ein besserer Manager“, sagt sie.

Den Mitarbeitern will sie all das in Schulungen nahebringen. Angefangen bei den Topmanagern, die ihr Team schulen, die das dann wiederum an ihre Mitarbeiter weitergeben. Schnell geht das nicht. Doch Matherat hofft, so alle mitziehen zu können. Bis jeder in der Bank weiß, was geht. Und was nicht.

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