Wie moderne Produkte den Freizeitsport verändern: Die Vermessung des Selbst
Kilometer, Kalorien, Herzschlag: All das dokumentiert der Freizeitsportler mit immer neuem Zubehör. Wieso eigentlich?
In der Komödie „Was Frauen Wollen“ spielt Mel Gibson einen Werber, der Gedanken lesen kann. Für einen großen Sportartikelhersteller fasst er in Worte, wonach sich Frauen sehnen, wenn sie joggen gehen: nach einer Umwelt, die keinerlei Ansprüche stellt, in der sie sich ohne jeden Selbstdarstellungszwang, fernab aller Regeln einfach frei bewegen können. Der gefeierte Slogan lautet: „No Games. Just Sports.“ Keine Spielchen, einfach Sport. Der Film ist aus dem Jahr 2000.
15 Jahre später erscheint kaum etwas so durchorganisiert, wie nach Feierabend eine Runde laufen zu gehen. Ein paar Turnschuhe an den Füßen reichen dem gemeinen Deutschen nicht mehr, mit Fitness-Trackern, sogenannten Wearables und speziellen Smartphone-Apps werden Energieverbrauch, Herzschlag und Blutdruck unentwegt überwacht. Auch die Strecke wird dokumentiert. Viele Anwendungen übertragen die Daten gleich ins Netz: Simon Superstar ist 5,8 Kilometer in 28 Minuten gelaufen und hat dabei 418 Kalorien verbraucht.
Im ersten Quartal wuchs der Markt um 69 Prozent
„Der Markt boomt“, sagt Robert Wucher von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Hersteller wie Fitbit, Garmin oder Withings bringen ein Gerät nach dem anderen heraus, etablierte Marken wie Sony und Samsung ziehen mit. Allein von Januar bis März zählten die Marktbeobachter in Deutschland 390 000 verkaufte Geräte – „das ist ein Plus von 69 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal.“ Apples Watch ist da noch gar nicht mit erfasst. „Wir gehen davon aus, dass sich das Segment auch in den kommenden Jahren stark entwickeln wird“, sagt Wucher. „Was als Nischenprodukt begonnen hat, setzt sich immer weiter durch.“
Woher kommt der Drang zur Selbstvermessung? „Das Bewusstsein für den eigenen Körper und die Gesundheit hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen“, sagt Karsten Hollasch vom Beratungsunternehmen Deloitte. Gleichzeitig gehen Menschen selbstverständlicher mit Daten um – schon jetzt bieten Krankenkassen günstigere Verträge für jene, die sich „tracken“ lassen. „Digital Natives haben ein sehr lockeres Verhältnis zum Thema Daten“, sagt Hollasch. Wo sie verfügbar sind, werden sie genutzt. Das Effizienzdiktat aus der Arbeitswelt hat längst auf die Freizeit übergegriffen.
Für Vereinssport ist in der modernen Arbeitswelt kein Platz
Auch, weil die eine knappe Ressource ist. „Mehr als eine Stunde Zeit am Tag haben viel nicht, um Sport zu treiben“, sagt Hollasch. „Da wollen sie maximale Trainingsergebnisse.“ Mit einem Vereinsdasein ist der moderne Arbeitsalltag oft schwer vereinbar. „Um 18:30 Uhr auf dem Sportplatz zu stehen und anderthalb Stunden zu kicken, das klappt für viele nicht mehr“, sagt Hollasch. Mit dem Hightech-Zubehör darf man sich trotzdem als ernstzunehmender Sportler fühlen. „Wer die Daten öffentlich macht und mit anderen teilt, erzeugt sogar ein Wir-Gefühl. Der Mensch ist ja ein kommunikatives Wesen.“
Kommunikativ sind indes auch die Hilfsmittel, auf die er sich einlässt. Nicht nur, dass sie mithin mehr Informationen weitergeben, als der Träger ahnt (siehe Interview). Wurde zu lange gefaulenzt, beginnen sie leuchtend oder vibrierend zu quengeln. Sie ersetzen damit den ebenfalls beliebten Personal Trainer – „die Menschen wollen individuelle Lösungen“, sagt Hollasch. „Aber in den Morgen- und Abendstunden sind Personal Trainer oft schwer zu kriegen.“ Einer Deloitte-Studie zufolge verwenden bereits 57 Prozent der deutschen Freizeitsportler ihr Smartphone in Verbindung mit Fitness-Apps wie „Runtastic“.
Es geht darum, beachtet zu werden
„Die technisch gestützte Selbstoptimierung ist mächtig im Kommen und wird sehr effizient beworben. Selbstoptimierung ist aber auch ein zentrales Prinzip der Evolution“, sagt Peter Walschburger, Biopsychologe an der Freien Universität Berlin. „Früher ging es dabei ums Überleben, heute testet man seine Grenzen, um sich Beachtung und Applaus seiner Mitmenschen zu sichern.“ In einer Welt, die uns in ihrer Komplexität zunehmend entgleitet, sei es verlockend, die innere Betriebsorganisation sichtbar zu machen und so die Kontrolle zu übernehmen. Allein die Technik übe speziell auf Männer aber wohl auch eine große Faszination aus: „Die Menschen lassen sich blenden, wenn da irgendetwas blinkt und piepst und am Ende eine Statistik rauskommt.“
Eine gewisse Nötigung ist auch dabei. „Wenn alle ihre Erfolge posten, fühlt man sich schnell im Zugzwang“, sagt Hollasch. „Früher traf man sich mit Kumpels auf eine Runde Skat. Jetzt wird per What’s App der Startpunkt für den nächsten Lauf mitgeteilt.“ Sehr ausgeprägt sei der Drang zur Selbstüberwachung außer bei den ganz Jungen in der Gruppe der Endvierziger, die auch bereit seien, Geld dafür auszugeben. Je nach Material und Grad der Ausstattung kostet eine Laufuhr 150 bis 600 Euro. „Der Mechanismus funktioniert besonders gut bei Managern, die ohnehin meist im Wettbewerbsmodus leben.“ Sowohl der jüngst zurückgetretene Deutsche-Bank-Chef Anshu Jain als auch Großbritanniens Premierminister David Cameron zeigten sich bereits mit Fitnesstrackern am Arm.
Der Körper – eine Challenge
Durchaus könne man mit den spielerischen Anwendungen wohl aber auch Menschen zur Aktivität verführen, die sich sonst nicht von der Couch aufraffen würden, sagt GfK-Analyst Wucher. Der Körper, eine „Challenge“: Höherer Puls, besserer Blutzucker, nächstes Level. „Es ist schon Wahnsinn, was sich da entwickelt hat. Das einzige Problem ist: die Leistung müssen Sie immer noch selber erbringen.“
Peter Walschburger meint: Wer ein paar Mal gelaufen sei, bekomme auch intuitiv ein Gefühl dafür, wie es dem Körper geht. Die Zuverlässigkeit der Messungen sei zudem oft fraglich. Bei aller Begeisterung über die Möglichkeiten sollten die Nutzer auch nicht vergessen: „Viele Körperfunktionen hat die Natur zu Recht unserer Aufmerksamkeit entzogen.“ Besser geworden, sagt Marktanalyst Hollasch, seien die Leistungen unter dem Strich eher nicht.