zum Hauptinhalt
Kassenschlager. Etwa jede zweiter Einkauf in Deutschland wird noch bar bezahlt.
© picture alliance / dpa

Weltweit mehr Scheine im Umlauf: Die unheimliche Liebe zum Bargeld

Banken und Händler akzeptieren langsam, dass so viele Kunden hierzulande weiter an Scheinen und Münzen hängen. Weltweit nehmen Barzahlungen sogar zu.

Samstagsmarkt an einem Frühlingstag in Frankfurt am Main. Gezahlt wird an den meisten Ständen bar, Münzen und Scheine wechseln den Besitzer. Giro- und Kreditkarten werden kaum gezückt. „Wir haben uns trotzdem darauf eingestellt“, sagt der freundliche Herr an einem Käsestand. Prompt fragt eine Kundin: „Kann ich auch mit Karte bezahlen?“ Der Verkäufer nickt. Und zückt sein Smartphone mit einem kleinen aufgesteckten Kartenlesegerät. Er nimmt die Girokarte, gibt den Rechnungsbetrag über eine App ein. Schon haben zwölf Euro den Besitzer gewechselt.

Es ist die Ausnahme. Bargeld ist nicht nur auf Wochenmärkten weiter Trumpf. Dabei soll es nach dem Willen der meisten Deutschen bleiben. Der Würzburger Volkswirtschaftsprofessor Peter Bofinger hatte im vergangenen Jahr einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, als er Bargeld als „Anachronismus“ bezeichnete und die Abschaffung von Münzen und Scheinen propagierte, weil damit Schwarzarbeit, Drogengeschäfte, Steuerhinterziehung und Geldwäsche wirksam bekämpft werden könne.

Bargeld abschaffen gehe nicht, Bürger würden noch gläserner, wenn sie nur mit Karte zahlen könnten, dem Zugriff auf das Sparvermögen werde Tür und Tor geöffnet, Freiheit und Selbstbestimmung würden abgeschafft, erregten sich einige. Damit ließen sich auch leichter Negativzinsen durchsetzen. Die Idee sei „total krank“. Nur wenige fanden sie gut, weil unter anderem das Risiko von Überfällen sinke.

In Skandinavien nehmen sogar Bettler Plastikgeld

Vor allen Dingen die skandinavischen Länder gelten als Zentren des Anti-Bargeld-Trends. Tatsächlich werden etwa in Schweden verschiedenen Quellen zufolge 80 Prozent aller Zahlungen per Karte oder elektronisch getätigt. Laut Umfragen nutzten 2017 nur noch ein Viertel der Bürger jede Woche Bargeld. 2013 waren es noch 60 Prozent. Manche Parkuhren akzeptieren kein Cash mehr und angeblich setzen auch Obdachlose bei Spenden auf eine App. Andererseits wollen sieben von zehn Schweden Bargeld als Option behalten.

Zu einem durchaus erstaunlichen Ergebnis kam im April der „World Cash Report“: Demnach steigt der Anteil von Barzahlungen in knapp 50 Ländern mit einem Anteil von 75 Prozent an der Weltbevölkerung. Gemessen an der Wirtschaftsleistung dieser Länder ist der Bargeldumlauf von acht Prozent im Jahr 2011 auf fast zehn Prozent im vergangenen Jahr geklettert. In Europa werde in 79 Prozent der Fälle mit Scheinen und Münzen bezahlt. Nur in Korea und Schweden sei die Bedeutung von Bargeld deutlich geschrumpft. Die Münchner Banknoten-Druckerei Giesecke&Devrient, eine der größten weltweit, konnte damit 2017 rund zehn Prozent mehr umsetzen. Die Zahl der Geldscheine nehme jedes Jahr um drei bis fünf Prozent zu, heißt es dort. Selbst der Fahrdienstleister Uber akzeptiere, so der „World Cash Report“, in einigen Ländern mittlerweile Bares.

Jeder Deutsche hat im Schnitt 107 Euro im Portemonnaie

„Der technische Fortschritt macht bargeldloses Bezahlen immer bequemer und effizienter“, sagt Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. „Und doch hat Bargeld weiterhin seine Berechtigung“. Die Bundesbank schätzt, dass in Deutschland rund 150 Milliarden Euro bar gehalten werden – pro Einwohner vom Säugling bis zum Greis etwa 1800 Euro. Im Schnitt hat jeder Bundesbürger 107 Euro in seinem Portemonnaie.

Bargeld spielt für sie beim Bezahlen weiter die mit Abstand wichtigste Rolle, auch wenn der Anteil 2017 erstmals knapp unter die Schwelle von 50 Prozent gesunken ist. Gemessen am Wert der Einkäufe und Dienstleistungen ist die Bedeutung mit einem Anteil von drei Viertel immer noch sehr hoch. Viele Geschäfte und Restaurants akzeptieren weiter nur Bargeld. In Berlin und Frankfurt heißt es an vielen Cafés: „Cash only“. Girokarten haben, so die jüngste Analyse der Notenbank, einen Anteil an den Zahlungen von 19 Prozent nach 15 Prozent 2014. Kreditkarten kommen auf nicht einmal fünf Prozent. Apps auf dem Smartphone spielen beim Bezahlen hierzulande faktisch noch keine Rolle.

An diesen Relationen wird sich auf absehbare Zeit nur langsam etwas ändern. Fast 90 Prozent der Bundesbürger, heißt es bei der Bundesbank, wollen auch in Zukunft bar bezahlen können. Die Abschaffung von Münzen und Banknoten lehnen sie ab. Die Bundesbank meint: Die Bürger sollen weiter frei entscheiden, wie sie bezahlen wollen. Münzen und Scheine werden nicht umsonst als geprägte und gedruckte Freiheit bezeichnet.

John Cryan, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, nannte Bargeld vor einigen Monaten "fürchterlich teuer und ineffizient".
John Cryan, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, nannte Bargeld vor einigen Monaten "fürchterlich teuer und ineffizient".
© Boris Roessler/dpa

Mit ihrer Einschätzung sieht die Bundesbank auch die Deutsche Bank auf ihrer Seite, auch wenn Ex-Vorstandschef John Cryan Bargeld vor wenigen Monaten als „fürchterlich teuer und ineffizient“ bezeichnet hatte und meinte, Münzen und Scheine seien in zehn Jahren verschwunden. Die Volkswirte der Bank dagegen sehen in Bargeld einen Teil der Bürgerrechte. Sie bezweifeln, dass Bargeld wie oft behauptet eine große Bedeutung für Kriminalität, Schattenwirtschaft und Terrorfinanzierung habe. Bargeld sei zugleich ein Schutz gegen Bankpleiten, funktioniere auch im Notfall. Tenor auch der Deutsche Bank-Ökonomen: Der Verbraucher soll entscheiden, ob und wie er Bargeld nutzt.

Bitcoin und andere Kryptowährungen sind im Übrigen nach Ansicht von Bundesbank-Präsident Weidmann keine „ernsthafte“ Konkurrenten für Münzen und Scheine. Überschaubar ist hierzulande bislang ohnehin die Zahl der Geschäfte oder Restaurants, die Bitcoins akzeptieren. Der Herr am Käsestand auf dem Wochenmarkt jedenfalls nicht.

Zur Startseite