Neue Mobilfunktechnik 5G: Die trügerische Hoffnung der Funklochrepublik Deutschland
An diesem Montag wird über die Vergaberegeln für den neuen Mobilfunkstandard 5G entschieden. Lücken im Netz kann der auch nur teilweise schließen.
Wenn Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) auf deutschen Autobahnen unterwegs ist, müssen seine Amtskollegen aus den USA, China oder Frankreich warten. Der Politiker hat sein Büro angewiesen, Anrufe von ausländischen Ministern während Autofahrten nicht mehr durchzustellen. Der Grund: Es ist ihm peinlich, dass die Verbindungen immer wieder abreißen.
Willkommen in der Funklochrepublik Deutschland. Die vor allem auf dem Land vergleichsweise schlechte Mobilfunkabdeckung ist seit dem vergangenen Bundestagswahlkampf auch zum politischen Großthema geworden. Getan hat sich seither jedoch wenig. „Der Zustand, den wir jetzt haben, ist für eine Wirtschaftsnation untragbar“, räumte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) vor gut einem Monat ein. Da wurde die im Koalitionsvertrag versprochene App veröffentlicht, mit der die Bürger nun selbst auf Funklochjagd gehen sollen. Die Bundesnetzagentur will die Daten dann in einer detaillierten Karte zusammenfassen und veröffentlichen.
Große Hoffnungen, die Lücken dann zu schließen, werden vor allem auf den neuen Mobilfunkstandard 5G gesetzt. Über die Vergaberegeln für die Frequenzen soll am Montag endgültig entschieden werden. Seit Wochen streiten die Mobilfunkanbieter, Bundesnetzagentur und Politik erbittert um die Vorgaben. Die wichtigsten Punkte im Überblick:
Streitpunkt Flächendeckung
Knackpunkt ist vor allem die Frage, wie eine bestmögliche flächendeckende Netzverfügbarkeit erreicht werden kann. „5G ist nicht an jeder Milchkanne notwendig“, hatte Forschungsministerin Anja Karliczek gesagt und damit parteiübergreifende Kritik ausgelöst. „Wir brauchen 5G gerade an jeder Milchkanne, weil die Verfügbarkeit von leistungsfähigen Verbindungen für die Landwirtschaft und die Entwicklung der ländlichen Räume eine entscheidende Rolle spielt“, erwiderte auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Doch auch Bundeskanzlerin Merkel bremst die Erwartungen. „Wir brauchen nicht das ganze Land sofort mit 5G auszubauen“, sagte Merkel beim Deutschen Arbeitgebertag.
Technische Grenzen
Tatsächlich ist eine komplette Abdeckung mit 5G im ersten Schritt kaum möglich. Denn zunächst stehen bei der Auktion im Frühjahr Frequenzen im 2-Gigahertz-Band sowie im 3,6-Gigahertz- Band zur Zuteilung. Beide Spektren sind aber nicht für eine Versorgung in der Fläche geeignet: Die Frequenzen bieten zwar eine hohe Kapazität, können aber nur relativ kleine räumliche Bereiche abdecken. Erst Ende 2025 werden Frequenzen nutzbar, die sich besonders für die Flächenversorgung eignen. Über deren Vergabe soll 2021/22 entschieden werden.
Löcher stopfen
Trotzdem kann und soll 5G schon jetzt dabei helfen, die Lücken in der bestehenden Abdeckung zu schließen. Denn die Vergabe wird mit strengeren Auflagen an die Mobilfunkanbieter zur generellen Versorgung mit schnellem Internet verknüpft. Und die Bundesnetzagentur hatte die Vorgaben nach Protest aus der Politik gegenüber dem Ursprungsentwurf noch einmal verschärft. So sollen bis Ende 2022 mindestens 98 Prozent der Haushalte in Deutschland mit mindestens 100 Megabit pro Sekunde versorgt werden. Neu hinzugekommen ist zudem die Auflage, alle Autobahnen, Bundesstraßen und eine großen Zahl Bahngleise ebenfalls mit 100 Mbit zu versorgen. Für Landstraßen sind als Auflage neu 50 Mbit vorgeschrieben.
Eine Flächendeckung wird so trotzdem nicht erreicht. „Denn 98 Prozent der Haushalte bedeuten nur 70 bis 80 Prozent der Fläche“, kritisiert Oliver Krischer, Haushaltsexperte der Grünen. Das zeigt sich auch an einer anderen Rechnung. Jeder Netzbetreiber muss zusätzlich bis Ende 2022 1000 Basisstationen für das neue 5G-Netz aufbauen und weitere 500 Mobilfunkmasten um bestehende Löcher zu schließen. Dabei ist der Bedarf deutlich höher: „Für eine flächendeckende Abdeckung brauchen wir noch mindestens 10 000 neue Funkmasten“, sagt die Kanzlerin. Daher wird es auch in den kommenden Jahren vielen vielerorts so gehen wie Merkel: „Man wäre schon froh, wenn man permanent 3G hätte.“
Bedeutung von 5G
Der auch unter dem Kürzel UMTS bekannte 3G-Standard ist dabei fast 20 Jahre alt – die Frequenzen wurden im Jahr 2000 versteigert, die Bundesrepublik nahm damals die enorme Summe von 98,8 Milliarden DM ein. Diesmal werden deutlich geringere Summen fließen. Im finalen Entwurf wurden die Mindestgebote deutlich gesenkt, um laut Bundesnetzagentur die Verhältnismäßigkeit zu wahren.
5G soll Datengeschwindigkeiten ermöglichen, die sehr viel schneller als die der aktuellen 4G-Netze sind. Ein Film, der im jetzigen 4G-Netz (auch bekannt unter dem Kürzel LTE) in sechs Minuten geladen wird, kann künftig in fünf Sekunden aufs Smartphone kommen (siehe Grafik).
Dazu kommen sehr niedrige Reaktionszeiten und es müssen keine Unterbrechungen während der Übertragung befürchtet werden. Das sind Bedingungen, wie sie für künftige Schlüsseltechnologien nötig sind – etwa das autonome Fahren, virtuelle Realität und Industrie 4.0.
Was die Unternehmen sagen
Die Deutsche Telekom kritisierte, die Auflagen für die Auktion gingen deutlich über das hinaus, was die Behörde zuvor selbst als zumutbar und verhältnismäßig bewertet habe. „Ein solch falsch dimensionierter Ausbau ist wirtschaftlich unrealistisch, setzt falsche Prioritäten, wird an bürokratischen Hindernissen scheitern und ignoriert Grundlagen der Physik.“ Die Entscheidung über Milliarden- Investitionen erforderte „Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit“. Weiter kritisierte United-Internet-Chef Ralph Dommermuth: „Wir hätten uns in den Vergabebedingungen ein stärkeres Bekenntnis zu mehr Wettbewerb gewünscht.“ Damit bleibt weiter offen, ob der Internet- und Mobilfunkanbieter United Internet sich erstmals um eigene Frequenzen bemüht. Sein Interesse hatte Firmenchef Dommermuth in der Vergangenheit immer wieder signalisiert.
Auch Telefónica/O2 und Vodafone äußerten sich kritisch, die Briten stellten sogar die Möglichkeit einer Klage in den Raum. Sie fürchten zudem eine Verpflichtung, ihre Mobilfunknetze in bestimmten Regionen via „Roaming“ füreinander zu öffnen. Dies hatten zuletzt mehrere Vize- Fraktionsvorsitzende der Regierungsparteien in einem gemeinsamen Brief gefordert. Die Frage ist nun, ob es zu diesem Punkt am Montag noch Änderungen gibt. Die Bundesnetzagentur hatte den Betreibern in ihrem finalen Entwurf ein „Verhandlungsgebot zu Kooperationen“ auferlegt. Rechtlich verpflichten, ihre Netze mit Konkurrenten zu teilen, kann die Behörde die großen Anbieter aber nicht. Die Vize-Fraktionschefs von Union und SPD fordern deshalb nun, dass „in den Ausnahmefällen, wo keine freiwilligen Kooperationen zu erwarten sind“, die Bundesnetzagentur die Möglichkeit haben müsse, „verpflichtend ein lokales Roaming anordnen zu können, um für alle Kunden lückenhaft beziehungsweise gar nicht versorgte Gebiete im Rahmen der auferlegten Versorgungsauflagen zu verhindern“. Möglich machen soll dies eine Änderung des Telekommunikationsgesetzes.
Internationaler Vergleich
Laut Koalitionsvertrag soll Deutschland „Leitmarkt für 5G“ werden. Allerdings ist in China, den USA und anderswo der Aufbau der 5G-Netze deutlich weiter. In den USA startet derzeit die erste 5G-Versteigerung und kommerzielle 5G-Projekte werden schon getestet. Solche Testläufe planen Japan und Südkorea für kommendes Jahr, China für 2020. Südkorea hatte 5G-Netze bei den Olympischen Spielen genutzt, um autonom fahrende Busse einzusetzen und Videoübertragungen zu gewährleisten.
Selbst in Lesotho gibt es schon 5G. Als erstes Land in Afrika bietet der kleine Zwei-Millionen-Einwohner-Staat im Süden des Kontinents ein kommerzielles 5G-Angebot an. Schon im Sommer startete die Vodafone-Tochter Vodacom den superschnellen Mobilfunkstandard.
Lesen Sie mehr rund um das Thema 5G in unserem wochentäglichen Entscheider-Briefing Background Digitalisierung und KI.