Continental-Chef Elmar Degenhart: „Die Politik versteht die Komplexität nicht“
Continental-Chef Elmar Degenhart über eine Batteriezellenfertigung, das Ende des Diesels und Software als Wachstumstreiber.
Elmar Degenhart ist seit 2009 Vorstandsvorsitzender von Continental. Nach dem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität Stuttgart promovierte Degenhart zum Thema Reinraumtechnik. Seine Karriere in der Autobranche begann er 1993 bei ITT Automotive Europa, es folgten weitere Stationen unter anderem bei Bosch.
2009 setzte Conti-Hauptaktionär Schaeffler Degenhart als Vorstandschef durch. Der Vertrag des 60-Jährigen wurde vergangenes Jahr bis 2024 verlängert. Der Dax-Konzern hat weltweit 245 000 Mitarbeiter und erzielte 2018 einen Umsatz von gut 44 Milliarden Euro.
Herr Degenhart, in der Klimadebatte sind Zweifel an der Öko-Bilanz von Elektroautos aufgekommen. Setzt man bei der Elektromobilität auf das falsche Pferd?
Wir setzen nicht auf das falsche Pferd, aber wir müssen die richtigen Prioritäten setzen. Es wird sich nicht eine Technologie als die allein wettbewerbsfähige erweisen, sondern wir müssen in mehrere Richtungen denken. Es geht um einen langen Zeitraum von rund 30 Jahren bis zum Ziel der CO2-Neutralität im Jahr 2050. Auch Benziner und Diesel spielen noch eine wichtige Rolle in künftigen Mobilitätskonzepten. Das hängt von der Anwendung und vom Zeitraum ab.
Wann und wo sind E-Autos denn sinnvoll?
Für Stadtfahrzeuge, die im Schnitt am Tag eine Stunde benutzt werden und die eine Reichweite von maximal 300 Kilometern haben, sind batterieelektrische Fahrzeuge mittel- bis langfristig am ökoeffizientesten. Für größere, schwerere Langstreckenfahrzeuge, Pkw und Nutzfahrzeuge, die mehrere Stunden am Tag auf der Autobahn betrieben werden, wird voraussichtlich die Brennstoffzelle die ökoeffizienteste Variante sein.
Aus deutscher und europäischer Sicht hat sie außerdem einen positiven Nebeneffekt: eine größere Wertschöpfungstiefe. Damit können wir Beschäftigung besser sichern.
Die Technologie ist noch viel zu teuer. Wann rechnet sich die Brennstoffzelle?
Im Zeitraum um 2030 werden die Kosten für einen Brennstoffzellenantrieb auf dem Niveau eines batterieelektrischen Fahrzeugs bei ungefähr 7500 Euro liegen. Zum Vergleich: Die Kosten für einen Dieselantrieb werden in 2030 etwa 4000 bis 5000 Euro betragen.
Das heißt, bis 2030 sehen Sie batterieelektrische Fahrzeuge im Vorteil?
Sie haben mit Blick auf den Industrialisierungszeitraum einen Vorteil. 2025 erwarten wir einen Marktanteil von weltweit rund zehn Prozent. Das entspricht etwa zehn Millionen Pkw und leichten Nutzfahrzeugen. So viele Brennstoffzellenfahrzeuge werden es 2030 nicht sein. Dennoch trauen wir der Brennstoffzelle ein großes Aufholpotenzial zu – vorausgesetzt, man investiert jetzt mehr in die Forschung und Förderung sowie in den Ausbau der Infrastruktur.
Volkswagen investiert massiv in die Elektromobilität mit Lithium-Ionen-Batterien und gibt der Brennstoffzelle erst in ferner Zukunft eine Chance. Ein Fehler?
Jeder Hersteller befindet sich in einer anderen Situation und verfolgt daher seine eigene Strategie. Darüber hinaus ist die Unterscheidung des Zeithorizonts bedeutsam: von kurz- bis langfristig. Als Zulieferer orientieren wir uns an allen unseren Kunden weltweit. Nun zum Thema Elektromobilität: Hier spielt aus unserer Sicht die Energiedichte der Lithium-Ionen-Zellen eine entscheiden Rolle.
Sie liegt heute bei 450 Wattstunden pro Liter, sie lässt sich vielleicht auf 600 optimieren. Wir brauchen aber mindestens 1000 Wattstunden pro Liter, um die Zelle wettbewerbsfähig zu machen. Das gibt Lithium-Ionen nach allem, was Experten uns sagen, nicht her. Und deshalb wird es sehr schwer, Lithium-Ionen-Zellen in immer größerer Stückzahl zu industrialisieren, weil sie absehbar auf Systemebene kostenseitig nicht einmal in die Nähe eines Dieselmotors kommen.
VW hat genau das aber vor.
Wie gesagt: Jeder Hersteller ist einer anderen Situation und jeder braucht eine eigene Strategie. Dabei ist es ein Unterschied, ob man über die nächsten zehn, 20 oder 30 Jahre spricht. Und einen Volumenhersteller kann man nicht mit einem Hersteller von Premiumfahrzeugen vergleichen.
Wie lange wird es noch Verbrennungsmotoren geben?
Wir sehen eine Chance, ab 2040 auf den Verkauf von Verbrennern zu verzichten, weil bis dahin alternative Technologien industrialisiert sind und die Infrastruktur steht. 2030, plus minus zwei Jahre, würde sich die Industrie also von der Weiterentwicklung von Verbrennungsmotoren verabschieden.
Auch Bosch glaubt, dass sich die Brennstoffzelle durchsetzen wird, sogar schon ab 2022. Kann sich Continental überhaupt emanzipieren, wenn sich Kunden und Wettbewerber derart festlegen?
Wir haben unsere eigene Strategie, in der die Brennstoffzelle nicht erst seit 2019 eine Rolle spielt. Wir arbeiten seit Jahren an dem Thema. Natürlich orientieren wir uns an unseren Kunden. Die Brennstoffzelle ist insbesondere sinnvoll für leichte und schwere Nutzfahrzeuge, voraussichtlich schon ab 2022. Nach 2025 auch im Pkw, ab 2030 im Massenmarkt. In diese Roadmap investieren wir. Für uns ergeben sich daraus große Umsatzpotenziale und mehr Chancen als Risiken.
Aber Sie scheuen das Risiko, in eine Batteriezellenfertigung zu investieren. Ist Continental zu zögerlich?
Es gibt gute Gründe, warum noch keiner der konventionellen Zulieferer in die Zelle investiert hat. In den vergangenen zwei, drei Jahren haben wir kontinuierlich neue Erkenntnisse gewonnen. Die Festkörperzelle, also die nächste Generation nach der Lithium-Ionen-Zelle, steht für Pkw nicht vor 2030 zur Verfügung. Es kommt also auf das Timing an.
Beim Verbrenner konnte man ein oder zwei Jahre Rückstand aufholen. Wer mehrere Jahre zu spät in die Batterie- oder Brennstoffzelle investiert, kann den Markt verlieren. Aber wer zu früh investiert, verbrennt Milliarden. Ich kann nicht erkennen, dass wir uns bislang beim Timing vertan haben. Wir stehen nicht unter Zeitdruck.
Die Politik sieht das anders, sie hält die deutsche Branche für risikoscheu.
Die Politik versteht die Komplexität nicht in ausreichendem Maße und ist nicht mehr technologieoffen. Sie hat die CO2-Regulierung ab 2025 strenger als erwartet gestaltet und zwingt die Industrie damit in die Lithium-Ionen-Technologie. Continental hat noch nie Batterien oder Batteriezellen hergestellt, für uns wäre es ein kompletter Neueinstieg, den wir auch nicht komplett ausschließen.
Aber solange wir nicht davon überzeugt sind, dass sich daraus ein attraktives Geschäftsmodell entwickeln lässt, werden wir nicht in diese Richtung gehen. Das wäre unternehmerisch fahrlässig.
Ist der Bundeswirtschaftsminister also ein Träumer, wenn er eine Milliarde Euro Fördergeld auslobt und glaubt, dass ein Drittel der Lithium-Ionen-Zellen aus europäischer Produktion stammen können?
Wir können uns nicht erlauben, Investitionsentscheidungen aufgrund von Subventionen zu treffen. Wenn Continental in Deutschland in eine Zellproduktion investieren würde, hätte das heute einen großen Wettbewerbsnachteil, weil die Energiekosten viel zu hoch sind.
Die Energiewende hat dazu geführt, dass Deutschland in Europa die höchsten und weltweit die zweithöchsten Strompreise hat. Für mich gibt es aus Kostengründen keinen nachvollziehbaren Grund, in Deutschland zu investieren. Außerdem müsste eine Zellfabrik mit grünem Strom arbeiten.
Also ist Deutschland beim Thema Batteriezelle nicht wettbewerbsfähig?
Auf der Entwicklungsseite schon, auf der Produktionsseite ist Deutschland nicht wettbewerbsfähig.
Volkswagen will dem Vernehmen nach auch mit der koreanischen SKI in eine Zellfertigung investieren. Beide kennen Sie gut – wäre eine Partnerschaft eine Option?
Wenn wir in eine Zellfabrik investieren würden, dann nur mit Partnern – und zwar aus der Zulieferindustrie. Eine Partnerschaft mit einem Hersteller kann langfristig nicht funktionieren, dafür wären die Interessenkonflikte zu groß.
Die Zellhersteller aus Asien haben den Anspruch, den Platz der klassischen Autozulieferer einzunehmen. Zugleich geben die Autobauer den wachsenden Margendruck an Sie weiter. Wie bedrohlich ist das?
Die Herausforderung ist enorm. Vernetzung, Digitalisierung, automatisiertes und autonomes Fahren, alternative Antriebe, Optimierung des Verbrenners – in alles muss gleichzeitig mit Milliardenbeträgen investiert werden. Wir haben auch deshalb die Struktur des Unternehmens verändert und geben den Geschäften mehr Selbstständigkeit. Zugleich bieten sich ja auch riesige Möglichkeiten.
Profitiert Continental schon davon?
Als Technologieunternehmen haben wir bezogen auf unseren Automotive-Umsatz den höchsten Anteil an Elektronik, Software und Sensorik in der Zuliefererindustrie. Er liegt bei 60 Prozent und wird in den kommenden Jahren auf 70 Prozent steigen. Wir beschäftigen heute 19 000 Software- und IT-Spezialisten. Ende 2022 werden es bereits 25 000 sein.
Technologiekonzerne wie Google & Co. machen Ihnen diesen Anteil streitig. Wie aggressiv ist der Wettbewerb?
Das ist die Veränderung, die alles überlagert. Sie ist teilweise gravierender als die Transformation im Antriebsbereich. In den 70er Jahren war die Automobilbranche eine Hardwareindustrie. Heute liegt der Softwareanteil am Wert eines Premiumfahrzeugs bei zehn Prozent, 2030 werden es tendenziell 30 Prozent sein.
Das ist gewaltig. Das Wachstumspotenzial in der Automobilindustrie – egal ob beim Antrieb, beim automatisierten Fahren oder bei der Vernetzung – wird zu 90 Prozent aus der Software kommen.
Keine Kernkompetenz der Branche.
Autohersteller und Zulieferer müssen zusätzlich Softwareunternehmen werden. Und die Internet-, IT- und Softwareunternehmen müssen lernen, wie man Autofunktionalität sicher industrialisiert. Wer wird gewinnen? Es wird auf beiden Seiten Gewinner und Verlierer geben.
Absolut erfolgskritisch ist dabei, als Unternehmen attraktiv für neue Talente zu sein. Das gelingt der Branche in Europa und in Deutschland nicht mehr schnell genug. Die Politik erkennt diese Gefahr nicht. Die Ausgaben ins Bildungssystem und in die Forschung nach Zukunftstechnologien sind viel zu niedrig. Der Bundeshaushalt dafür wird 2020 sogar gekürzt. Wir sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen.