Schuldenkrise in Europa: Die nächsten Kandidaten für die Staatspleite
Einige Länder in Europa brauchen in den kommenden Monaten viel frisches Geld. Doch Bundeskanzlerin Angela Merkel zögert.
Wirklich weg war sie eigentlich nie. Sie wurde nur übertönt vom Siegesgeheul der Union nach der Wahl, dem Gejammer der gedemütigten Opposition und dem anschwellenden Getöse um eine neue Koalition: Europas Staatsschuldenkrise. Doch ein Hilferuf aus Griechenland erinnert die Strategen in Berlin an die Probleme, die dringend einer Lösung harren. „Es ist nicht möglich, neue Haushaltsmaßnahmen umzusetzen. Es ist nicht möglich, neue Lohn- und Rentenkürzungen zu beschließen“, klagte Außenminister Evangelos Venizelos dieser Tage.
Sein Land steckt das sechste Jahr in Folge tief in der Rezession. Gerade prüft die Troika der internationalen Geldgeber aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) den Stand der Reformen. 240 Milliarden Euro hat Athen bereits von seinen Partnern zugesagt bekommen. Reichen wird dies kaum – zehn bis zwölf Milliarden Euro fehlen bis 2015 wohl noch. Die Debatte darüber dürfte den neu gewählten deutschen Bundestag gleich von Beginn an prägen.
Slowenien und Portugal brauchen auch frisches Geld
Die unbequeme Wahrheit für die Abgeordneten ist, dass noch mehr Länder frisches Geld nötig haben. Slowenien und Portugal gelten als heiße Kandidaten. Immerhin: Schwergewichte wie Spanien, Italien und Frankreich sind derzeit nicht in der Schusslinie. Das haben sie aber allein der EZB zu verdanken und ihrem Versprechen, den Euro in jedem Fall zu stützen. Doch beim Defizitabbau kommen sie kaum voran, allein Frankreich macht nun erste, zaghafte Versuche. „Endlos werden sich die Kapitalmärkte das nicht ansehen“, warnt Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka-Bank. Entscheidend ist die Konjunktur: Nur wenn der Aufschwung Fuß fasst, klappt es auch mit der Etat-Sanierung.
Die Bankenunion als weitere Baustelle
Hinzu kommt eine weitere Baustelle: die Bankenunion. Die EZB wird nächstes Jahr die Bilanzen der 130 größten Institute unter die Lupe nehmen, die Bankenaufsicht EBA wird zudem einen Stresstest durchführen. Dabei könnten sich neue Löcher auftun, die gestopft werden müssen. „Vorher muss eine politische Lösung her, wie man mit diesem Finanzbedarf umgeht – man kann die Märkte ja nicht mit den Erkenntnissen über womöglich marode Banken im Regen stehen lassen“, findet Kater. Eine Reihe von Staaten dürften als Finanziers nicht infrage kommen – doch Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnt es ab, den Rettungsfonds ESM zur Bankenstabilisierung zu nutzen. Irgendeine europäische Institution wird letztlich das Portemonnaie öffnen müssen. Denn an einem System von Zombiebanken, die keine Kredite vergeben können und so die Erholung der Wirtschaft hemmen, hat kein Regierungschef in der EU Interesse.
Über ein solches Szenario hat sich auch Markus Kerber Gedanken gemacht. Früher war er zeitweise Abteilungsleiter im Finanzministerium, heute leitet er den Industrieverband BDI. Er schlägt vor, den ESM zu einer Art europäischem IWF weiterzuentwickeln. „Wer Staatsvermögen in den Fonds einbringt, bekommt im Gegenzug Schulden erlassen“, lautet seine Idee. Immobilien oder landeseigene Unternehmen gegen Geld aus Europa – nicht nur für Athen könnte das ein Weg sein, ohne neue, schmerzhafte Programme mehr Spielraum zu bekommen.
Carsten Brönstrup