Internationale Presseschau zur Bundestagswahl: Merkel auf den Spuren der Eisernen Lady
Königin von Europa, Eiserne Lady, Mutter der Nation: Quer durch Europa begeistern sich Zeitungen für Angela Merkels Wahlsieg. Ihre starke Position weckt aber auch Unbehagen.
Wie viele andere europäische Zeitungen sieht der britische "Guardian" im Wahlsieg Angela Merkels historische Dimensionen - und bemüht den Vergleich zur Eisernen Lady Margaret Thatcher deren Amtszeit sie am Ende der Legislaturperiode übertreffen dürfte: Haltet fest an Mutti", schreibt die linksliberale Zeitung. "Das war die Botschaft der deutschen Wähler am Sonntag, als sich Angela Merkel - die Mutter der Nation, wie sie von ihren Imagemachern dargestellt wird - einen beeindruckenden persönlichen Triumph an den Wahlurnen sicherte, der ihren unangefochtenen Anspruch als dominierende politische Figur im modernen, krisengeschüttelten Europa untermauert.
Seit die Finanzkrise 2008 die Weltwirtschaft traf, haben Wähler in Europa ihre Regierungen hinausgeworfen - ob linke, aus der Mitte, oder Mitte-Rechts. Aber Frau Merkel und ihre Mitte-Rechts-Partei CDU/CSU widerstanden diesem Trend - nicht ein Mal, sondern zwei Mal (...). Das Netto-Ergebnis ist unmissverständlich. Die Deutschen haben Frau Merkel ein starkes Mandat gegeben, um Deutschland zu regieren.
Die Art und Weise, wie sie ihre neue Macht ausübt, wird nicht nur Deutschland betreffen, so wichtig das auch ist, sondern ganz Europa. Und das schließt uns hier in Großbritannien ein. Dies ist das Zeitalter von Merkel."
"Angela die Große" an der Macht bestätigt
Die italienische Tageszeitung "La Repubblica" sieht im Triumph der Kanzlerin eine "Ovation der Nation für ihren Sieg in der europäischen Krise. Es ist ein Triumph, die Rückkehr auf das Schlachtfeld, wo sie Können und Mut unter Beweis gestellt hat. Dem entspricht die Mehrheit im Bundestag, die niemand in dieser Dimension vorherzusagen gewagt hätte. (...) Die Krise hat Präsidenten und Premierminister in Europa hinweggerafft.
Aber im Zentrum des desolaten europäischen Panoramas ist Deutschland eine Insel von Stabilität und Wohlstand, wie es das vielleicht nie zuvor gewesen ist. Und gestern hat das Land mit einer demokratischen Wahl dankbar 'Angela die Große' an der Macht bestätigt."
Für den französischen "Figaro" hat Angela Merkel mit ihrem Wahlsieg begonnen, Spuren in der Geschichte zu hinterlassen: "Die Zeit des vorsichtigen Navigierens im Sturm geht ihrem Ende entgegen. (...) Auch in Europa erwarten die Nachbarn von Deutschland ein neues Projekt und eine neue Dynamik: für mehr Zusammenhalt, Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und politischer Behauptung der Europäischen Union auf der internationalen Bühne. Dieses Ziel läuft über das Wiederankurbeln des deutsch-französischen 'Motors'."
An Deutschland führt kein Weg vorbei
Auch "Le Monde" betont die Bedeutung der deutschen Kanzlerin für Europa: "Die Eurozone befindet sich in einer langwierigen und ungewissen Erholungsphase. Dabei hat (Bundeskanzlerin) Angela Merkel angesichts des Wohlstandes ihres Landes und wegen der relativen Schwäche ihrer Partnerländer eine starke Position. Zugleich ist sie eine der umstrittensten Führungspersönlichkeiten Europas. Man hat ihre zögerliche Haltung in der Schuldenkrise kritisiert. Ihre Aufrufe zum Sparen haben in den Krisenländern Südeuropas sogar eine gewisse Deutschenfeindlichkeit geweckt. Doch an Deutschland und seiner Bundeskanzlerin führt kein Weg vorbei. Alle wichtigen Entscheidungen auf europäischer Ebene in den vergangenen Wochen schienen von der Wahl abzuhängen. Nach der Wahl wird der europäische Terminplan der zukünftigen Koalition prall gefüllt sein."
Für die kommunistische Tageszeitung "L'Humanité" ist das Abschneiden der CDU keine gute Nachricht: "Die Bestätigung von Angela Merkel im Kanzleramt wird die Übel noch verschlimmern, unter denen die Europäische Union leidet. (...) Gestärkt durch dieses Ergebnis wird die Kanzlerin unnachgiebig bleiben, wenn die Bevölkerungen sich nicht einmischen. Hat nicht (der sozialistische, französische Präsident) François Hollande sehr schnell auf seine Wahlversprechen zur Neuorientierung der europäischen Politik zugunsten von Wachstum und Arbeit verzichtet? Die Solidarität und die Aktionsgemeinschaft zwischen den französischen und deutschen Gewerkschaftern, zwischen den Angestellten beiderseits der Rheins, zwischen den Progressiven beider Länder sind zu einer Frage des öffentlichen Wohls geworden."
Auch die französische Regionalzeitung "Dernières Nouvelles d'Alsace" aus Straßburg zeigt sich pessimistisch: "Angela Merkel wird in Europa noch mehr Gewicht haben, auch wenn sie eine Koalition mit einer anderen Partei als der FDP eingehen muss. Und Pech für die südlichen Länder der Eurozone, die darauf gehofft haben, dass die strenge Sparpolitik abgeschwächt wird. Und Pech auch für Frankreich, dessen Stimme nicht mehr zählt und die erst wieder hörbar wird, wenn sich die Lage der französischen Wirtschaft bessert."
Merkel als Gewinnerin der Wirtschaftskrise
Die konservative Zeitung "Lidove Noviny" aus Prag bemerkt, wie selten vergleichbare Wahlausgänge in Europa geworden sind: "Fast 42 Prozent sind für Angela Merkel und ihre Christdemokraten eine fantastische Nachricht und im europäischen Kontext der vergangenen Jahre eine absolute Rarität. Während die Wähler andernorts in der Wirtschaftskrise ihre Politikergarnituren abgestraft haben, ist Merkel an dieser Krise gewachsen. Sie hat zwar nichts gelöst, denn die Konstruktion der Eurozone bleibt ein Risiko für die Prosperität Europas, aber Deutschland genügt das. Der Kontrast zwischen der Lawine schlechter Nachrichten aus dem Süden Europas und dem Wohlstand zu Hause hat bei den Deutschen den Eindruck gefestigt, letzterer wäre der ganz persönliche Verdienst der Kanzlerin."
Doch wie wird die Bundeskanzlerin mit dem neu gewonnenen Vertrauen umgehen? Die konservative polnische Zeitung "Rzeczpospolita" ist sich nicht sicher: "Jetzt wird sich ohne den Wahlkampf über den Köpfen zeigen, wie Deutschland unter der Führung von Superkanzlerin Angela Merkel ihre Position in Europa nutzen will, die so stark ist wie nie zuvor. Die dritte Amtszeit ist die Gelegenheit zu zeigen (...), ob sie an die proeuropäische Tradition früherer Kanzler anknüpft oder sich gefährlich der Charakterisierung auf Plakaten griechischer Demonstranten annähert, die Merkel mit Hitler-Schnauzbart zeigten."
Brown, Berlusconi und Sarkozy mussten gehen - Merkel nicht
Die spanische Tageszeitung "El Mundo" zieht einen Vergleich mit dem Wahlsieg Helmut Kohls von 1990, nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung: Der Unterschied sei aber, "dass Merkel drei Wahlen in Folge gewonnen hat und dass sie die Einzige an der Spitze eines großen europäischen Landes ist, die ihr Mandat inmitten der Krise bestätigt. Gordon Brown, Berlusconi, Sarkozy und Zapatero mussten die Macht abgeben. Der Schlüssel ihres Erfolges war zweifellos das anhaltende Wachstum der deutschen Wirtschaft, mit einer Arbeitslosenquote von fünf Prozent, einer der niedrigsten in der EU, verbunden mit einem Image der Sparsamkeit und Effektivität, mit dem sie die Deutschen erobert hat.“
Die liberale dänische Tageszeitung "Politiken" aus Kopenhagen erwartet nun, dass sich eine neue Bundesregierung unter Angela Merkel an die Spitze einer europäischen Wirtschaftserholung setzt: "Egal ob Merkel nun nach der endgültigen Stimmenauszählung eine absolute Mehrheit hat oder sich einen Koalitionspartner auf der linken Seite suchen muss, es ist entscheidend, dass die deutsche Regierung Stabilität schafft und fest hinter seiner Unterstützung von EU und Euro steht. Gerade jetzt braucht Europa politische Handlungskraft nach dem langen Stillstand vor der deutschen Wahl. Das gilt in Brüssel, wo die vielen harten Reformen in Südeuropa nun mit einem großen Einsatz für Wachstum und Beschäftigung in den Krisenländern ergänzt werden müssen. Aber das gilt vor allem in Berlin, wo es nötig ist, dass die neue deutsche Regierung sich an die Spitze einer europäischen Erholung setzt."
Triumph für die Königin des Spardiktats
Europa werde nach diesem Ergebnis zum "Merkel-Land", meint die größte griechische Tageszeitung "Ta Nea", die den Wahlausgang als "Triumph für die Königin des Spardiktats" bezeichnete. Für das Blatt steht fest: "Europa wird Merkelland."
Der Wiener "Standard" sieht in dem Wahlausgang einen Triumph des Mittelmaßes: "Merkels Mäanderkurs hat der CDU neue Wähler zugeführt - die Konservativen sind zwar verärgert, haben aber keine andere Option, als zähneknirschend doch für die Kanzlerin zu stimmen. (...) Mit Merkels Mittekurs triumphiert das Mittelmaß. Sie vermittelt den Deutschen Solidität und Stabilität - das scheinen viele zu schätzen. Auch auf europäischer Ebene versucht die deutsche Kanzlerin genau das zu vermitteln."
Emotionale Entscheidung für das Vertraute
Die Deutschen hätten in der Bundestagswahl eine gefühlsmäßige Entscheidung getroffen, urteilt "De Morgen" aus Belgien: "Mag der Kurs des strengen Sparens und des Beschneidens des Wohlfahrtsstaates bei uns auch als ein umstrittenes Vorbild «struktureller Reformen« gesehen werden, im eigenen Land wird Merkel gepriesen für ihre Berechenbarkeit und Standhaftigkeit. Das ist langweilig, sicher, aber dies ist nicht die rechte Zeit für große Abenteuer. Einmal mehr scheinen Emotionen und Psychologie an der Wahlurne den entscheidenden Ausschlag gegeben zu haben. Eine Entscheidung für Merkel ist keine logische Entscheidung für ein Programm, sondern eine gefühlsmäßige Entscheidung für das Vertraute. Das ist nachvollziehbar in diesen unruhigen Zeiten."
"De Telegraaf" aus Amsterdam hofft, dass Deutschland Europas Wirtschaft weiter stärkt: "Der sensationelle Sieg von Angela Merkels Partei CDU in Deutschland ist eine Belohnung für ihre stabile Politik, die gerichtet ist auf wirtschaftliches Wachstum, Reformen und einen vertrauenswürdigen außenpolitischen Kurs. Er ist auch ein Beweis dafür, dass die Christdemokratie als kräftige politische Strömung springlebendig ist. Unsere östlichen Nachbarn haben Merkel mit diesem Ergebnis in großer Zahl ihr Vertrauen ausgesprochen, so dass sie ihre Kanzlerschaft fortsetzen kann. Das ist eine gute Nachricht für die Deutschen und für ganz Europa. Die Deutschen profitieren von rechtzeitig eingeleiteten Reformen, und dabei nehmen sie Europa ins Schlepptau.“ (mit AFP/dpa)