Kartellamt eröffnet Verfahren: Die Marktmacht von Google, Facebook und Co. steht auf dem Prüfstand
Google wird von Wettbewerbshütern durchleuchtet und Verbraucherschützer fordern, dass Whatsapp mit anderen Messengern zusammenarbeitet. Ist das realistisch?
Eine Familiengruppe bei Whatsapp, der monatliche Stammtisch wird bei Signal geplant und diverse Freunde sind bei Telegram. So oder so ähnlich geht es vielen: Weil eine Messenger-App nicht mit einer anderen kommunizieren kann, braucht es für die digitale Kommunikation im Bekannten- und Freundeskreis oft mehrere Messenger.
Wie die deutsche Bevölkerung Messenger-Apps nutzt und an welcher Stelle Politik oder Wettbewerbshüter nachsteuern sollten, hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) mit einer Umfrage und in einem Diskussionspapier untersucht, das am Dienstag veröffentlicht wurde. Deutlich wird darin, dass gut ein Drittel der Nutzer:innen (34 Prozent) das Aufbrechen der geschlossenen Messenger-Kreise befürwortet. Ihnen wäre es wichtig, in der Zukunft Nachrichten zwischen unterschiedlichen Diensten austauschen zu können. Einer ähnlichen Zahl der Befragten (35 Prozent) ist die Interoperabilität dagegen unwichtig; der Rest der Teilnehmer:innen sieht sowohl Vor- als auch Nachteile.
Der mit großem Abstand meistgenutzte Messenger-Dienst ist WhatsApp, gefolgt vom Facebook Messenger. Für neun von zehn Bürger:innen ist einer der beiden Dienste des US-Konzerns die zentrale Plattform für digitale Kommunikation, so der VZBV. Im Schnitt nutzen die Befragten neben WhatsApp einen weiteren Messenger regelmäßig – um die Kontakte zu erreichen, die nicht dort aktiv sind.
Die Marktmacht der Tech-Riesen
„Die Marktmacht des Facebook-Konzerns zwingt Nutzerinnen und Nutzer de facto dazu per WhatsApp zu kommunizieren“, erklärt Lina Ehrig, Leiterin Team Digitales und Medien beim VZBV. „Aus Verbrauchersicht wäre es ideal, wenn Messenger-Dienste rechtlich und technisch so ausgestaltet sind, dass nachhaltiger Wettbewerb sowie die Innovationskraft des Marktes gefördert werden.“
Auch das Bundeskartellamt nimmt sich derzeit der Marktmacht der Tech-Riesen aus den USA an. Im neuesten Verfahren nun auch Google. Deutschlands oberste Wettbewerbshüter nutzen abermals neue rechtliche Möglichkeiten, um gegen den Internetriesen Google vorzugehen. Man habe zwei Verfahren nach den neuen Vorschriften für Digitalkonzerne eingeleitet, teilte das Bundeskartellamt am Dienstag in Bonn mit.
In einem Verfahren wollen die Kartellwächter prüfen, ob Google eine marktübergreifende Bedeutung hat. In einem zweiten Verfahren nimmt die Behörde die Konditionen für die Datenverarbeitung unter die Lupe. Nach Verfahrensabschluss könnten bestimmte Maßnahmen untersagt werden.
Im Januar war ein novelliertes Wettbewerbsgesetz in Kraft getreten. Auf dessen Grundlage kann das Kartellamt leichter gegen Wettbewerbsverzerrungen vorgehen, wenn marktbeherrschende Digitalunternehmen ihre Position ausnutzen. Den neuen Weg beschritt die Behörde erstmals Ende Januar bei Facebook und vor einer Woche bei Amazon.
Bei den Messengern geht es um Interoperabilität
Den Verbraucherschützern geht es in der Frage der Messenger erster Linie um eine Vernetzung verschiedener Dienste. Käme eine Interoperabilitätspflicht, würde dies Facebooks Monopolstellung stark schaden. In diesem Fall würden nur noch knapp drei Viertel der Nutzer hauptsächlich die Apps des Markführers nutzen.
Im Umkehrschluss heißt das: Facebook könnte 15 bis 20 Prozent seiner Nutzer:innen verlieren, wenn sich in Deutschland eine Interoperabilitätspflicht politisch durchsetzt. Profitieren würden dagegen Telegram, Apples iMessage, Threema und Signal. Unterm Strich sehen die Teilnehmer:innen der VZBV-Umfrage leichte Vorteile, wenn die bisher streng geschlossenen Messenger-Ökoysteme gezwungen würden, miteinander kompatibel zu sein.
Allzu große Sorgen vor schärferer Regulierung muss sich Facebook derzeit aber nicht machen. Zwar verprellte der Dienst einiger User:innen durch die undurchsichtigen ABG-Änderungen; diese liegen zudem nach Intervention des Hamburgischen Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar in Deutschland auf Eis. Auch prüft das Bundeskartellamt in mehreren Verfahren, in welcher Form man nach der jüngsten GWB-Novelle gegen den Quasi-Monopolisten tätig werden kann.
Doch eine schärfere Regulierung wird es in nächster Zeit nicht geben. Bereits im März gaben sowohl das Bundesjustiz- (BMJV) als auch das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) gegenüber Tagesspiegel Background an, in der Debatte um Interoperabilität abwarten zu wollen. Man müsse auf die finale Regulierung auf europäischer Ebene schauen und auf die Ergebnisse des Bundeskartellamts warten, hieß es aus den Ministerien. Zudem sei Interoperabilität kein Allheilmittel, so die BMJV-Sprecherin. Eine Konsultation unter Stakeholdern habe gegenüber einer Zwangsheirat unterschiedlicher Messenger deutliche „Bedenken zu Datenschutz, IT-Sicherheit und Innovationshemmnissen“ offengelegt.
Auch die EU hat das Thema auf dem Plan
Auf EU-Ebene findet am Mittwoch der nächste wichtige Termin statt, wenn sich der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz der EU- Kommission in einem Workshop zum Digital Services Act (DSA) und Digital Markets Act (DMA) zusammenfindet. In den beiden Mammut- Entwürfen zu digitalem Wettbewerbsrecht und Plattformregulierung ist die Messenger-Interoperabilität allerdings nur ein Randthema. Laut „Netzpolitik“ spricht wenig dafür, dass die derzeit sehr weichen Vorgaben in den EU-Entwürfen im weiteren Prozess verschärft werden.
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In seinem 30-seitigen Positionspapier spricht sich der VZBV klar dafür aus, dass die EU härtere Rahmenrichtlinien für Facebook und Co vorgibt. Denn abseits der Messenger-Dienste gibt es bereits im DMA-Entwurf eine Interoperabilitätsverpflichtung. Dabei geht es um sogenannte Nebendienstleistungen, die beispielsweise ein Anbieter von Betriebssoftware nicht aus seinem System ausschließen darf. Doch während es diese Vorgabe für Nebendienstleistungen gibt, fehlt ein vergleichbarer Passus für zentrale Serviceangebote von Plattformen.
Es sei nicht nachvollziehbar, warum so eine Regelung für Messenger- Dienste bisher fehle, sagt Lina Ehrig. „Daher fordern wir auch im DMA, dass sich die Interoperabilitätsverpflichtung für Gatekeeper nicht auf Nebendienstleistungen von Drittanbietern beschränken sollte, sondern auch für konkurrierende zentrale Plattformdienste von Drittanbietern gelten.“
Wie genau eine solche Pflicht für Messenger aussehen muss, hat das Team von Ehrig und dem VZBV eng an Faktoren wie technischer und rechtlicher Machbarkeit, Nutzerinteressen, Datenschutz und Wettbewerbsgedanken entwickelt. Ideal sei eine „asymmetrische Interoperabilitätsverpflichtung“ – große Plattformen müssten Schnittstellen für andere Messenger- Dienste bereitstellen. Umgekehrt soll aber nicht jede kleine Plattform rechtlich verpflichtet sein, technische Kompatibilität mit jedem anderen Messenger herzustellen. Gleichzeitig äußern die Marktwächter Zweifel daran, dass eine solche Regelung allein reicht, „um die Markt- und Datenmacht großer Unternehmen im Messengermarkt einzudämmen“.