Agrarminister Cem Özdemir zu den Folgen des Kriegs: „Die Lebensmittelversorgung in Deutschland ist sicher“
Weltweit wird Getreide knapp und teuer. In Deutschland ist das nicht so, aber die Lebensmittelpreise steigen. Die G7-Agrarminister fordern offene Märkte.
In Zeiten der schlechten Nachrichten ist jede gute willkommen: „Die Lebensmittelversorgung in Deutschland ist sicher“, sagte Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) am Freitag. Denn bei Weizen ist Deutschland Selbstversorger. Dennoch werden auch die Bundesbürger die Folgen des Krieges zu spüren bekommen. Viele Lebensmittel werden jetzt noch teurer. Wegen der hohen Energiepreise hat sich Mineraldünger im Vergleich zum Vorjahr um bis zu 300 Prozent verteuert, die hohen Strom- und Gaskosten werden nicht nur die Preise für Treibhausgemüse, sondern auch für Molkereiprodukte in die Höhe treiben, befürchtet das Bundesagrarministerium.
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Während Deutschland, was Lebensmittel angeht, vom Krieg in der Ukraine eher indirekt betroffen ist, sind die dort drohenden Ernteausfälle für andere Länder unmittelbar bedrohlich. Die Ukraine, eine der Kornkammern Europas, liefert Weizen vor allem nach Afrika.
Afrika droht eine Versorgungskrise
Nach einer Analyse des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) würde ein Handelsstopp mit der Ukraine dazu führen, dass Tunesien über 15 Prozent und Ägypten sogar über 17 Prozent weniger Weizen importieren könnten. Auf dem afrikanischen Kontinent werde sich die Versorgungssituation „spürbar verschlechtern“, warnte IfW-Handelsforscher Hendrik Mahlkow am Freitag. Nach Angaben der Welthungerhilfe sind auch Jemen, Syrien und Libanon betroffen. Weil die Weizenpreise weltweit in die Höhe schießen, gehen auch die Menschen in der Türkei und im Irak auf die Straße. Länder wie Ungarn und Bulgarien haben Exportbeschränkungen für Getreide verhängt, in Argentinien wird auch über Restriktionen diskutiert.
Die Agrarminister der G7-Staaten verurteilen solche Maßnahmen. Auf Einladung von Özdemir berieten die Minister aus Frankreich, Italien, Großbritannien, Kanada, USA und Japan gemeinsam mit dem ukrainischen Agrarminister Roman Leschtschenko am Freitag über die Auswirkungen des Kriegs auf die Agrarmärkte. Vordringlich soll die Ernährung in der Ukraine sichergestellt werden und den Landwirten geholfen werden, Lebensmittel zu produzieren. Häfen in der Ukraine sind vermint, Saatgut kann nicht ausgebracht werden, die Landwirte müssten kämpfen und könnten daher nicht ihre Felder bestellen, kritisierte Özdemir.
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Die G7 wollen aber auch gegen Spekulation mit Agrarrohstoffen und Handelsbeschränkungen vorgehen. „Wenn alle nur an sich selbst denken, schießen die Preise durch die Decke“, sagte Özdemir im Anschluss an die Beratungen. Russlands Präsident Wladimir Putin nutze den „Hunger als Strategie“.
In Deutschland hat der Krieg zu einer heftigen Debatte über die Agrarpolitik geführt. Im Koalitionsvertrag hatten sich SPD, Grüne und FDP darauf verständigt, dass der Anteil des Ökolandbaus bis zum Jahr 2030 von heute knapp zehn auf 30 Prozent steigen soll. Im Rahmen der EU-Agrarförderung ist zudem vorgesehen, dass Landwirte aus Gründen des Umweltschutzes ab 2023 auf die Bewirtschaftung von vier Prozent ihrer Flächen verzichten sollen. Sowohl die Minister der unionsgeführten Agrarressorts in den Bundesländern als auch die FDP-Bundestagsfraktion fordern nun eine Wende von der Wende. Die verpflichtende Flächenstilllegung müsse ausgesetzt werden, betonten Union und FDP übereinstimmend. Die Liberalen stellen auch die Ausweitung des Ökolandbaus und die ebenfalls beschlossene Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln in Frage. Der Anbau in der Europäischen Union müsse kurzfristig „deutlich ausgeweitet werden“, heißt es in einem Positionspapier der FDP.
Özdemir: Ich mache kein Krisenhopping
Özdemir verurteilte die „Vorschläge von gestern“ als Panikmache. Er sei kein Minister des „Krisenhoppings“, man dürfe nicht eine Krise gegen die andere ausspielen, warnte der Grünen-Politiker. Der Krieg zeige vielmehr, dass es auch in der Agrarpolitik wichtig sei, sich möglichst unabhängig zu machen. 60 Prozent des Getreides landen in Deutschland im Futtertrog. Wenn weniger Nutztiere gehalten werden würden, würde sich das Problem entschärfen, meint der Minister.
Hilfe für die deutschen Bauern
Angesichts der aktuellen Krise kommt der Minister den Landwirten aber dennoch in einigen Punkten entgegen. Özdemir will auf ökologischen Vorrangflächen in einer Größe von rund 1,2 Millionen Hektar ausnahmsweise den Anbau von Futtermitteln erlauben, um den Anstieg der Futtermittelpreise als Folge des Ukraine-Krieges abzumildern. Der Aufwuchs auf diesen Flächen wird als Futter freigegeben, kündigte Özdemir am Freitag an. Normalerweise werden Pflanzen, die auf Brachen oder Zwischenfrüchte-Flächen angebaut werden, zur Bodenverbesserung untergepflügt.
Der Anbau von einheimischen Eiweißpflanzen als Tierfutter soll unterstützt werden. Außerdem sollen Programme für mehr Energieeffizienz und Erneuerbare Energien in der Landwirtschaft entbürokratisiert werden. In diesem Jahr stünden dafür voraussichtlich 48 Millionen Euro bereit. Dies komme auch Verbrauchern zugute, da gestiegene Energiepreise zur Kostensteigerung bei Lebensmitteln beitrügen.
Auf EU-Ebene will sich Özdemir zudem für Ausnahmen von der seit 2022 greifenden Regel einsetzen, dass Tiere im Ökolandbau ausschließlich mit ökologisch erzeugtem Futter versorgt werden dürfen. Diese Vorgabe sei durch den Wegfall von Ökofutter aus der Ukraine schwierig umzusetzen.
Lebensmittel werden immer teurer
Mit Blick auf die Verbraucher in Deutschland will Özdemir verhindern, dass die Lebensmittelpreise durch die Decke gehen. Die Bundesregierung prüfe über die bereits beschlossenen Entlastungen hinaus weitere Schritte zur Abfederung der sozialen Folgen, sagte der Grünen-Politiker, ohne jedoch konkreter zu werden.
Schon vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine sind die Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte gestiegen, teilte das Statistische Bundesamt am Freitag mit. Die Preise für pflanzliche Produkte schossen im Januar verglichen mit dem Vorjahresmonat um 23,6 Prozent in die Höhe, vor allem Getreide verteuerte sich um 28,5 Prozent. Die Preise für tierische Erzeugnisse legten um 19,3 Prozent zu.
Bauernpräsident Joachim Rukwied warnte vor weiteren Preissteigerungen als Folge des Kriegs in der Ukraine. Obwohl die Landwirte nun deutlich mehr Geld für ihr Getreide bekommen, sind sie nach Angaben des Bauernverbands aber keine Krisenprofiteure. Neben steigenden Preisen für Dünger leiden die Bauern auch unter dem hohen Dieselpreis. Zudem verkaufen die Landwirte traditionell einen Teil ihrer Ernte vorab, die Preise für diese Kontrakte liegen deutlich unter den aktuellen Konditionen.