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Derzeit ist nur ein Bruchteil der Zimmer im Estrel belegt.
© Thilo Rückeis
Exklusiv

Estrel-Chefin im Interview: „Die Hotelbranche wird im Stich gelassen“

Ute Jacobs, Geschäftsführerin im Berliner Estrel-Hotel, über den Lockdown, Planungssicherheit für Kongresse und Mitarbeiterkündigungen. Ein Interview

Ute Jacobs leitet seit der Eröffnung 1995 das Estrel in Neukölln als geschäftsführende Direktorin. Neben 1125 Zimmern und Suiten gehört dazu ein Kongresszentrum mit inzwischen 30.000 Quadratmetern Veranstaltungsfläche. Dort finden normalerweise regelmäßig Shows wie "Stars in Concert" statt. Damit ist das Estrel das größte Hotel Deutschlands.

Frau Jacobs, gibt es Gäste im Estrel?
Wir haben 1125 Zimmer, davon sind rund fünf Prozent belegt. Zugelassen sind nur Geschäftsleute. Unser Haus ist umgeben von Industriebetrieben, und viele Gäste haben mit diesen Unternehmen zu tun. Dagegen ist das Kongressgeschäft tot.

Wie war 2020? Gab es wenigstens im Sommer eine ordentliche Auslastung?
Ja. Wir hatten im August eine große Veranstaltung der Formel E mit 1000 Teilnehmern für eine Woche. Die wurden täglich getestet, das hat gut funktioniert. Im Spätsommer und Herbst gab es dann noch kleinere Veranstaltungen, unter anderem den Bundesparteitag der FDP.

Und die Shows?
Im Sommer gab es ein paar Vorstellungen der „Stars in Concert“, mit coronakonformen Abständen und Plexiglas vor den Mikrofonen. Doch insgesamt sind rund 350 Shows inklusive der Tourneen ausgefallen.

Wie viele Tagungen und Kongresse konnten stattfinden?
Das Estrel ist neben dem City Cube der größte Veranstaltungsort in Berlin. In normalen Jahren gibt es rund 1800 Tagungen und Kongresse mit 450 000 Teilnehmern im Estrel, im vergangenen Jahr waren es gerade mal 250 Veranstaltungen. 2019 hatten wir mit gut 80 Millionen Euro Umsatz einen Rekord aufgestellt, und im Januar und Februar letzten Jahres sah es auch sehr gut aus. Dann kam Corona und der ganz krasse Einbruch.

Ute Jacobs ist geschäftsführende Direktorin im Estrel.
Ute Jacobs ist geschäftsführende Direktorin im Estrel.
© Andreas Friese

Sind Staatshilfen im Estrel angekommen?
Ja, Ende März haben wir nun die so genannte Novemberhilfe bekommen. Ansonsten unterstützt uns der Eigentümer Ekkehard Streletzki aus eigener Tasche.

Die 550 Mitarbeitende sind in Kurzarbeit?
Ganz überwiegend. Aber rund 120 haben auch gekündigt, um sich beruflich neu zu orientieren. Das ist übrigens in anderen Hotels auch so. Viele Mitarbeiter haben Angst und suchen sich etwas Neues.

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Betrifft das alle Beschäftigtengruppen?
Im Prinzip ja. Besonders auffällig ist es bei den Köchen, unsere fünf Restaurants und die zehn Küchen im Congress Center sind ja seit November geschlossen. Auch viele Auszubildende orientieren sich um. Wir haben normalerweise 70 Azubis im Haus, deren Ausbildung aber seit einem Jahr kaum noch stattfindet. Deshalb haben wir im vergangenen Herbst keine neuen Azubis aufgenommen.

Wie viele Mitarbeiter sind derzeit überhaupt noch im Einsatz?
Ungefähr 30. Die Rezeption muss besetzt sein. In der Buchhaltung, der Reservierungsabteilung, im Housekeeping und in der Salesabteilung sind einige Kollegen da, aber die meisten in der Eventabteilung. Wir sind ein Kongresshotel, und größere Veranstaltungen haben einen Vorlauf von Monaten. Derzeit müssen wir ständig mit den Kunden Stornierungen bearbeiten und umbuchen.

Das Estrel steht in Berlin-Neukölln. Die wenigen Gäste sind derzeit Geschäftsreisende, die umliegende Firmen besuchen.
Das Estrel steht in Berlin-Neukölln. Die wenigen Gäste sind derzeit Geschäftsreisende, die umliegende Firmen besuchen.
© Thilo Rückeis

Sind Sie jeden Tag im Hotel?
Ja. Und das Haus so leer zu sehen ist durchaus gespenstisch. Wir erwarten jetzt von der Politik, dass unsere Appelle endlich gehört werden und wir eine Planungsgrundlage bekommen. Im Moment sind nur 20 Personen für eine Veranstaltung zugelassen, dabei wäre mit unseren Sicherheitskonzepten viel mehr möglich. Wir brauchen verbindliche Ansagen für einen Re-Start schon für Mai und Juni.

Sie haben die Zeit immerhin genutzt für Investitionen in die Veranstaltungsräume.
Wir sind optimistisch und haben ein Auditorium für 800 Personen gebaut und im Januar ein digitales Studio für hybride Events eingerichtet. Das Kongressgeschäft lief bis zur Pandemie hervorragend. Daran wollen wir anknüpfen.

Vor zwei Wochen gab es im Estrel eine Test-Veranstaltung mit 100 Teilnehmern. Wie ist das gelaufen?
Bereits Ende vergangenen Jahres haben wir mit Schnelltests gearbeitet, um kleinere Veranstaltungen mit bis zu 50 Personen sicher durchführen zu können. In dem Pilotprojekt der Senatsverwaltung für Kultur haben wir dann Ende März binnen 15 Minuten alle Teilnehmer getestet. Der Abstand ist groß und unsere großen, durchlüfteten Räume sind so sicher wie kaum ein anderer Ort. Dazu richten wir noch im April ein eigenes Testzentrum im Hotel ein – für Mitarbeiter und Gäste, aber auch für die Öffentlichkeit.

Dann könnten Sie jetzt Tagungen mit 100 Personen machen?
In unseren beiden Convention Halls auch weitaus mehr, aber dazu brauchen wir von der Politik eine Zahl. Die 20 Personen als Obergrenze, die wie derzeit haben, ist ein Witz. Wir haben 30 000 Quadratmeter Kongressfläche – eine Begrenzung auf 20 schmerzt da schon sehr.

Unternehmer Ekkehard Streletzki hat das Estrel erbaut.
Unternehmer Ekkehard Streletzki hat das Estrel erbaut.
© Thilo Rückeis

Welche Zahl hätten Sie gerne?
Da muss man differenzieren und die jeweilige Größe des Raumes mit in Betracht ziehen, also eine Teilnehmerzahl definieren, die sich sowohl auf die vorhandenen Quadratmeter als auch auf das Raumvolumen bezieht. Für alle diese Kriterien gibt es bereits eine Formel des „Forums Veranstaltungswirtschaft“, die der Politik vorliegt. Unser Congress Center ist elf Meter hoch und verfügt über einhundert Prozent Frischluftzufuhr. Von der Politik wird aber eine Halle mit Platz für 6000 Personen genauso behandelt wie ein Tagungsraum mit Platz für 100 Teilnehmer.

Woran hakt es besonders?
An vorausschauender Planung. Während für Schulen, Einzelhandel, Gastronomie und Kultur die ersten Lockerungsschritte in Abhängigkeit von der Inzidenzzahl definiert sind, wird die Hotel- und Tagungsbranche angesichts fehlender Öffnungsperspektiven massiv im Stich gelassen. Dabei hat kaum eine andere Branche so viel in Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen investiert.

Ist dieses Jahr überhaupt noch zu retten?
Das internationale Geschäft wird 2021 nicht stattfinden. Aber kleinere nationale Veranstaltungen stehen auch noch für Mai und Juni sowie für den Herbst im Kalender. Für den lebensnotwendigen Neustart in den nächsten Monaten braucht es jetzt eine klare Perspektive.

Es gibt also potenzielle Kunden?
Auf jeden Fall. Unsere Kunden würden kommen, wenn sie wüssten, mit wie vielen Leuten sie in welchem Raum tagen dürfen. Doch wenn wir keine Klarheit und keine Richtwerte haben, bekommen wir eine Stornierung nach der anderen. Ein Planungshorizont nur für die nächsten zwei Wochen greift definitiv viel zu kurz.

Wie halten Sie sich selbst und Ihre Mitarbeiter bei Laune?
Wir haben eine Whatsapp-Gruppe und informieren mit kleinen Videos zum Beispiel über die Baufortschritte im Auditorium. Unsere fünf Restaurants sind geschlossen, doch wir bieten ein Take Away-Angebot. Und für die paar Hausgäste gibt es selbstverständlich auch ein Frühstück.

Und wenn ich abends ein Bier trinken will in dem riesigen Hotel?
An der Rezeption gibt es gekühlte Getränke. Sobald es sich einigermaßen lohnt, öffnen wir auch ein Restaurant und die Bar.

Der Bau des mehr als 150 Meter hohen Estrel Towers neben dem Stammhaus läuft derweil planmäßig?
Ja, die Einrichtung der Baustelle beginnt demnächst und 2024 wollen wir das neue Gebäude mit 720 Zimmern eröffnen. Corona ist dann hoffentlich nur noch eine schlimme Erinnerung.

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