Zu viel oder zu wenig zu tun?: Die Deutschen sind mit ihrer Arbeitszeit unzufrieden
Viele Männer würden gern kürzer treten, viele Frauen gern aufstocken. Sind Arbeitgeber zu unflexibel?
Die einen drehen Däumchen, die anderen arbeiten wie im Hamsterrad: Jeder zehnte Deutsche ist mit seiner Arbeitszeit unzufrieden. 2,9 Millionen Erwerbstätige sehen sich selbst als unterbeschäftigt, dagegen würden 900000 gerne mehr arbeiten, teilte das Statistische Bundesamt am Montag mit. Im Schnitt wünschen sich die Deutschen 36 Minuten mehr Arbeitszeit, bei genauerem Hinsehen geht es aber um bestimmte Gruppen, die besonders große Änderungswünsche haben. Unter denen, die sich selbst als unterbeschäftigt einstufen, sind es vor allem Frauen, die bei entsprechend höherem Verdienst länger arbeiten wollen – fast 12 Stunden pro Woche. Bei den Erwerbstätigen, die sich für überbeschäftigt halten, sind es vor allem Männer, die ihre Arbeitszeit gerne kräftig reduzieren und dafür auch geringere Einkünfte in Kauf nehmen würden. Durchschnittlich 11,5 Stunden weniger pro Woche wünschen sie sich. Die Ergebnisse beruhen auf dem Mikrozensus 2014. Fast 40000 Erwerbstätige wurden befragt, 53 Prozent davon waren männlich.
„Es wäre nun interessant zu wissen, in welchen konkreten Branchen die Leute weniger arbeiten wollen“, sagte Karl Brenke, Arbeitsmarktexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), dem Tagesspiegel. Allgemein seien es vor allem Kraftfahrer, die unter langen Einsatzzeiten litten. Führungskräfte seien dagegen generell sogar oft bereit, überdurchschnittlich viel zu arbeiten.
Warum die Erwerbstätigen in Deutschland tendenziell eher zur Mehrarbeit neigen, erklärt sich Brenke vor allem durch den Minijob-Sektor. Von 1,6 Millionen Teilzeitbeschäftigten, die unfreiwillig wenig arbeiten, dürften ein großer Teil Minijobber sein. „Für die ist ihre Tätigkeit nur eine Notlösung“, sagt Brenke. In der Tat zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes, dass es gerade die unterbeschäftigten Teilzeitkräfte sind, die mehr arbeiten wollen. Bei durchschnittlich 19 Wochenarbeitsstunden würden sie gern 14,7 Stunden mehr arbeiten. Und sie haben gute Chancen, dass sich ihre Hoffnungen erfüllen: Über Jahrzehnte hat sich die Teilzeitarbeit in Deutschland verbreitet. Doch dieser Trend sei seit etwa zwei Jahren vorbei, sagt Brenke. Bleibe die Konjunktur günstig, dürfte diese Entwicklung anhalten.
Verband wirbt für flexible Tarifverträge
Die Arbeitgeber sehen die Umfragewerte gelassen. „Die Zahlen belegen, dass mehr als 90 Prozent aller Beschäftigten mit ihrer Arbeitszeit in vollem Umfang zufrieden sind“, sagte ein Sprecher der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Die Vereinbarungen seien mehrheitlich „passgenau“, es seien nur wenige Werktätige, die Änderungen wollten und auch dann gehe es „im Schnitt nur um wenige Minuten“. Der Verband wirbt für flexible Tarifverträge mit Arbeitszeitkorridoren und Arbeitszeitkonten, damit Beschäftigte Familie und Beruf besser vereinbaren können.
„Meistens geht es in arbeitsmarktpolitischen Diskussionen um allgemeine Flexibilisierung, aber vielleicht sollte man sich mehr an den Bedürfnissen der Frauen orientieren“, sagt Ingrid Kurz-Scherf, Politikwissenschaftlerin und Mitglied der Forschungs- und Kooperationsstelle Arbeit, Demokratie und Geschlecht an der Universität Marburg. Die tarifvertraglichen Normalarbeitszeiten orientierten sich an den Arbeitszeiten der Männer, die mit durchschnittlich 40 Stunden weit über denen der Frauen (30 Stunden) lägen. „Das drängt Frauen automatisch in die Teilzeitarbeit.“ Die Nachteile von Geringbeschäftigung liegen für Kurz-Scherf auf der Hand: Kaum Beteiligung an betrieblichen Kommunikationswegen, begrenzte Aufstiegschancen. Hinzu komme der sogenannte Gender Wage Gap, die Einkommenslücke zwischen den Geschlechtern, die sich mit wachsendem Arbeitszeitunterschied sogar verdoppele. „Und immer noch wird vergessen, dass Frauen mehr unentgeltlich arbeiten als Männer, etwa im Haushalt.“
Bei der Gewerkschaft Verdi stellt man seit Jahren fest, dass Arbeitszeitwünsche in bestimmten Branchen und die Realität „weit auseinanderklaffen“, sagt Sprecherin Eva Völpel. Eine gängige Situation: Frauen bekommen Kinder, reduzieren für einige Jahre ihre Arbeitszeit und bleiben dann ungewollt in der Teilzeitbeschäftigung stecken. Für diese Frauen müsse es daher ein Rückkehrrecht zur Vollzeitstelle geben. Auch würden Frauen häufig in Branchen arbeiten, in denen es nur Teilzeitbeschäftigung gibt, etwa im Einzelhandel. Völpel kritisiert, dass sich der Arbeitsmarkt der veränderten gesellschaftlichen Realität nicht genügend anpasse.
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