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 Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
© dpa

Einbruch der Industrieproduktion: Die deutsche Wirtschaftsschwäche ist hausgemacht

Dass die deutsche Wirtschaft schwächelt, liegt auch an der Ineffizienz und Unzuverlässigkeit des Staates. Die Folge ist ein Vertrauensverlust. Ein Gastbeitrag.

Mit dem Einbruch der Industrieproduktion um 3,5 Prozent im Dezember lässt sich nicht mehr leugnen, dass die deutsche Wirtschaft einer Rezession gefährlich nahekommt. Die Bundesregierung weist in ihrem neuen Jahreswirtschaftsbericht auf die Schwächen und Risiken der Weltwirtschaft hin. Damit macht sie es sich zu leicht, denn viele der Probleme sind hausgemacht und liegen auch nicht nur in der Automobilbranche. Es mangelt an einer öffentlichen Investitionsoffensive in Bildung, Infrastruktur und Klimaschutz und auch guten Rahmenbedingungen für private Investitionen: eine ineffiziente und unflexible Bürokratie und Regulierung, hohe Unsicherheit und ein damit verbundenes, tiefes Misstrauen in staatliche Institutionen halten viele Unternehmen davon ab, Investitionen zu tätigen.

Zwar verbessert sich die Prognose für das Wirtschaftswachstum von 0,6 Prozent im Jahr 2019 auf 1,1 Prozent in diesem Jahr, doch der schöne Schein trügt. Der größte Teil dieser Verbesserung ist auf die drei zusätzlichen Arbeitstage zurückzuführen, nicht auf mehr Investitionen oder Produktivität. Wichtiger noch, diese Prognose ignoriert fast alle der Risiken, die Deutschland hart treffen könnten: die globalen Handelskonflikte, die Deutschland auf Konfrontationskurs mit den USA bringen könnten, der ungelöste Brexit, eine Rezession in den USA und ein fragiles Finanzsystem in Europa. Hinzu kommen die geopolitischen Konflikte im Mittleren Osten und das Coronavirus, das bei weiterer Ausbreitung gerade die deutschen Exporte hart treffen könnte.

Bei den Risiken und dem großen Bedarf an Zukunftsinvestitionen ist es nicht überraschend, dass die Mehrheit der Ökonomen und Ökonominnen es als falsche Entscheidung der Regierung ansieht, an der Schwarzen Null festzuhalten und öffentliche Investitionen zu vernachlässigen.

Bürger halten den Staat für wenig kompetent

Ein genauso großes und vernachlässigtes Problem ist noch ein anderes: Die Unzuverlässigkeit und Ineffizienz des Staates hat in den letzten beiden Jahrzehnten zu einem massiven Vertrauensverlust in staatliche Institutionen geführt. Unternehmen sehen eine ausufernde Bürokratie, sich ständig ändernde Regeln, lange Genehmigungsverfahren und deren hohe Kosten als eine der größten Hürden für private Investitionen und Innovationen an. Der Vertrauensindex der Kommunikationsagentur Edelman zeigt, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger der westlichen Industrieländer, auch in Deutschland, ihre staatlichen Institutionen für wenig kompetent und für unethisch in ihrem Handeln halten.

Die Unzufriedenheit über die Politik kommt auch in den Protesten von Fridays for Future zum Ausdruck.
Die Unzufriedenheit über die Politik kommt auch in den Protesten von Fridays for Future zum Ausdruck.
© imago images/Müller-Stauffenberg

Und dies nicht zu Unrecht. Viele westliche Regierungen, auch die Bundesregierung, haben in den letzten zwei Jahrzehnten eine Politik der Besitzstandswahrung verfolgt, bei der mächtige Interessen bedient und der Status quo zementiert werden. Einige monieren das Verfehlen der deutschen Klimaziele 2020, verschärfen allerdings die Regulierung für Windkraftanlagen und andere erneuerbare Energien so stark, dass deren Produktion einbricht und die Klimaziele in noch weitere Ferne rücken.

Gleichzeitig bedient die Bundesregierung die Kohlelobby für den Kohleausstieg mit fast 50 Milliarden Euro. Die großen Arbeitsplatzverluste bei erneuerbaren Energien werden hingegen ignoriert. Manche klagen über explodierende Mietpreise in den Städten, lehnen jedoch Neubauprojekte wie auf dem Tempelhofer Feld in Berlin ab. Andere fordern zukunftsorientierte Technologien für Deutschland, bekämpfen dann jedoch die Ansiedlung von Tesla außerhalb Berlins auf das Schärfste.

Das Misstrauen in staatliche Institutionen wächst

Es ist daher nicht überraschend, dass die Elite, also Menschen mit guten Einkommen und Bildung, dem Staat eher trauen, wohingegen die restliche Bevölkerung ein tiefes Misstrauen in ihre staatlichen Institutionen hat. Und der Edelman-Vertrauensindex zeigt, dass diese Lücke zwischen Elite und Normalbürgern und Normalbürgerinnen in fast keinem Land so groß ist wie in Deutschland.

Die gute Botschaft ist, dass kaum ein Staat einen so großen finanziellen Spielraum und so starke Strukturen hat wie Deutschland. Genauso wichtig wie eine Stärkung öffentlicher Investitionen ist es, staatliche Institutionen grundlegend zu reformieren. Dazu gehören eine höhere Effizienz und Geschwindigkeit bei Entscheidungen, eine Modernisierung der öffentlichen Verwaltung (beispielsweise durch E-Governance) und regulatorische Sicherheit, worauf sich sowohl Unternehmen als auch Bürgerinnen und Bürger verlassen können. Eine erfolgreiche wirtschaftliche Transformation Deutschlands erfordert starke, effiziente und gleichzeitig anpassungsfähige staatliche Institutionen, ebenso wie den politischen Willen, solche Institutionen zu schaffen. Daran hapert es in Deutschland.

Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.

Marcel Fratzscher

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