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EU-Kommissar Oettinger ist besorgt um die Rolle Europas in der Weltwirtschaft.
© dpa

Günther Oettinger in Berlin: "Die deutsche Industrie ist in Lebensgefahr"

Die USA sind Europa in vielem voraus, sagt Günther Oettinger, vor allem bei der Digitalisierung. Aber der EU-Kommissar hat eine Idee für die Aufholjagd. Ein Ortstermin.

Sie sind uns in allem überlegen. Egal ob es um Demografie, Energie, Finanzkraft von Unternehmen oder das Digitale geht: Gegen die USA haben wir – die Europäer und die Deutschen ohnehin – keine Chance. Die Analyse kommt von einem, der den Spieß mit umdrehen soll: Günther Oettinger ist EU-Kommissar für Digitales und war es zuvor fünf Jahre lang für Energie. An diesem Montag steht der CDU-Politiker am Rednerpult der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, einem Berliner Thinktank.

In den USA, sagt Oettinger, liege das Durchschnittsalter bei 37 Jahren, hierzulande bei 45. Das habe auch mit einer fehlenden Willkommenskultur zu tun. Während in den USA die Weltsprache Englisch gesprochen werde, müsse mühselig Schwäbisch lernen, wer nach Tübingen komme, witzelt der EU-Kommissar – wohlwissend, dass er seinerseits wegen seines schwäbisch gefärbten Englischs zum unfreiwilligen YouTube-Star avanciert ist.

Wettlauf um IT ist verloren

Die deutlich jüngere US-Bevölkerung produziert – dem umstrittenen Fracking sei Dank – einen großen Teil ihrer Energieträger selbst. Billiger geht es nicht. Google, Apple, Microsoft, Facebook, Amazon – die wertvollsten Unternehmen kommen aus den USA, konstatiert Oettinger. Sie sind die digitale Welt, in der Europa praktisch keine Rolle spiele. Vor zehn Jahren habe Siemens noch Handys gebaut, vor fünf Jahren sei das finnische Nokia noch Weltmarktführer gewesen. Deutschland habe SAP, gute Hochschulen und die Berliner Start-ups. „Aber den Wettlauf um die IT-Führerschaft haben wir verloren“, sagt Oettinger.

Apple entwickelt das iPhone in Kalifornien, produziert es in Asien, verkauft es weltweit – und sammelt die Daten der Nutzer in Kalifornien. Das Unternehmen habe erkannt: „Wer die Daten hat, hat die Macht.“ Die Geschäftsmodelle der Zukunft fußen auf dem Sammeln und Auswerten von Nutzerdaten, gibt sich Oettinger überzeugt.

"Abmahnen, bestrafen, rausschmeißen"

Nach der IT-Wirtschaft laufe Europa nun Gefahr, bei der Produktion zum Verlierer zu werden. Die Digitalisierung der Industrie werde ganze Branchen verändern, sagt er und entwirft ein Szenario: Das Auto der Zukunft bekommt seine Karbon-Karosserie aus den USA, die Batterien aus Asien, die digitale Komponenten aus dem Silicon Valley und auch für die einfach konstruierten Elektromotoren braucht man keine deutsche Ingenieurskunst mehr. „Die deutsche Industrie ist in Lebensgefahr – sie weiß es nur noch nicht.“

Oettinger lächelt. Der Retter der Industrie, der Retter Deutschlands heißt Europa. Bessere Infrastruktur, gezielte Weiterbildung der alternden Gesellschaften, Datensicherheit, um Unternehmen vor Industriespionage zu schützen: Die EU brauche eine Agenda, die die Europäisierung des Digitalen in den Mittelpunkt stellt, fordert Oettinger. Nur wenn alle 28 Staaten an einem Strang ziehen, ordnen sich auch Weltkonzerne aus den USA unter. „Abmahnen, bestrafen, rausschmeißen – diese Sprache versteht Microsoft.“ Und diese Sprache werde auch Google verstehen, sagt er mit Blick auf die im Raum stehende marktbeherrschende Stellung der Suchmaschine.

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